Ein historischer Rückblick

Atomwaffen und Friedensbewegung

von Andreas Buro

Am Anfang stand das Erschrecken über die atomare Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki. Das hat sich den Menschen tief eingeprägt. Das Gedenken dieses Massenmordes ist bis heute erhalten geblieben. In den folgenden etwa zehn Jahren stand jedoch nicht der Kampf gegen Atomwaffen, sondern die Abwehr der Remilitarisierung Westdeutschlands im Vordergrund. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde abgewehrt. Der Beitritt zur NATO und alle Folgeschritte der Remilitarisierung konnten nicht verhindert werden. Bundeskanzler Adenauer, der sich sehr für die Remilitarisierung eingesetzt hatte, trat in den Jahren 1956/57 auch für eine Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen ein. Er sprach von taktischen Atomwaffen als einer Fortentwicklung der Artillerie.

Die Göttinger Erklärung von 18 bekannten Atomwissenschaftlern vom 12. April 1957 widersprach Adenauer öffentlich. Sie erklärten:

„Taktische Atomwaffen haben die zerstörende Wirkung normaler Atombomben. Als ‚taktisch’ bezeichnet man sie, um auszudrücken, daß sie nicht nur gegen menschliche Siedlungen, sondern auch gegen Truppen im Erdkampf eingesetzt werden sollen. Jede einzelne taktische Atombombe oder -granate hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat. Da die taktischen Atomwaffen heute in großer Zahl vorhanden sind, würde ihre zerstörende Wirkung im ganzen sehr viel größer sein. Als ‚klein’ bezeichnet man diese Bomben nur im Vergleich zur Wirkung der inzwischen entwickelten ‚strategischen’ Bomben, vor allem der Wasserstoffbomben.“

Ihre Erklärung und viele folgende brachten das Thema Atomwaffen vordringlich auf die Tagesordnung der friedensbewegten Gruppierungen. NATO-Manöver zeigten, dass im Kriegsfall nach den gültigen Strategien von Deutschland nichts übrig bleiben würde.

Die frühe westliche Friedensbewegung
SPD und Gewerkschaften riefen zum „Kampf dem Atomtod“ auf. Aus dem Gründungsaufruf vom März 1958:

„Das deutsche Volk diesseits und jenseits der Zonengrenze ist im Fall eines Krieges zwischen Ost und West dem sicheren Atomtod ausgeliefert. Einen Schutz dagegen gibt es nicht. (....)
Beteiligung am atomaren Wettrüsten und die Bereitstellung deutschen Gebietes für Abschußbasen von Atomwaffen können diese Bedrohung nur erhöhen. (....)
 Wir fordern Bundestag und Bundesregierung auf, den Rüstungswettlauf mit atomaren Waffen nicht mitzumachen, sondern als Beitrag zur Entspannung alle Bemühungen um eine atomwaffenfreie Zone in Europa zu unterstützen. (....) Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod unser Volk bedroht.“

Große Veranstaltungen folgten, konnten aber für die SPD bei den Wahlen keine ausschlaggebenden Erfolge bewirken. Die SPD orientierte auf eine Große Koalition. „Kampf dem Atomtod“ wurde daraufhin eingestellt.

Pazifistische Gruppen veranstalteten 1960 den ersten Oster-Sternmarsch in Norddeutschland. Zunächst firmierten sie unter dem Namen Ostermarsch gegen Atomwaffen in Ost und West In den späten 60er Jahren nannten sie sich, damit einen sozialen Lernprozess anzeigend, „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“. Sie griffen zunächst weitgehend die Forderungen von „Kampf dem Atomtod“ auf. Sie kritisierten das herrschende Abschreckungssystem und seine Gefahren, das unter der militärischen Abkürzung MAD (Mutual Assured Destruction) bekannt wurde. Die ersten Atom-Fliegerbomben wurden im März 1955 von US-Truppen in die Bundesrepublik gebracht, danach auch Atomsprengköpfe für Marschflugkörper und Kurzstreckenraketen sowie nukleare Artilleriegranaten und Minen. In den folgenden Jahren erhielt die Bundeswehr Trägersysteme für Atomwaffen. Eine sogenannte nukleare Teilhabe für die BRD wurde beschlossen und selbstverständlich Gegenstand der Kritik durch die Friedensbewegung.

In den USA wurden seit 1974 etwa 800 Sprengsätze für Neutronenbomben gebaut. Sie sollten Land und Infrastruktur weniger zerstören als herkömmliche Atomwaffen und die Einsatzschwelle für Atomwaffen anheben. Gegen die zynische Begründung richtete sich ein Sturm der Empörung. Die letzten Neutronenbomben wurden 1992 offiziell verschrottet.

Die Erklärungen und Aktionen der Friedensbewegung wurden darüber hinaus auf Wege zur Entspannung und Abrüstung gerichtet. Die Forderung nach Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa, die vor allem von dem polnischen Außenminister Rapacki vertreten wurde, spielte eine große Rolle. Auch die Erörterung von Disengagement- und Neutralitätskonzepten war mit der Problematik der Stationierung oder Nicht-Stationierung von Atomwaffen verbunden.

Der NATO-Doppelbeschluss
Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 rückte die Bedrohung von Atomwaffen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Kritik, denn die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen in West und Ost führte zu einer äußersten Bedrohungssituation der Menschen in Mitteleuropa. Die Warnungszeiten waren so kurz, dass kleinste Fehler zu einer Zerstörung des ganzen mitteleuropäischen Raumes führen konnten. Diese Bedrohung war für die Bevölkerung unmittelbar begreiflich. Das führte zu einer enormen Mobilisierung. Die Blockaden in Mutlangen wurden zum Symbol dieses Protestes. Die Stationierung von Pershing II, Cruise Missiles, die neue Weltraumrüstung, das US-Chemiewaffen-Programm, Präzisionslenkwaffen, Miniaturisierung von Kernwaffen, die Bezeichnung der UdSSR als das „Reich des Bösen“, und das offensive Air-Land-Battle-Militärkonzept wurden von vielen als reale Planung und Strategie der Reagan-Administration verstanden, die nukleare Erstschlagsfähigkeit gegenüber der UdSSR zu erlangen. Das gab der neuen Situation eine besondere Brisanz.

Parallel zu Empörung, Protest und Kritik entfaltete sich eine sehr konstruktive Diskussion, ob und wie man eine Entspannung und Deeskalation durch Defensiv-Konzepte erreichen könne. Es sollten demnach möglichst in gegenseitigen Schritten die offensiven Potentiale in Mitteleuropa abgebaut werden und nur noch die defensiven Elemente erhalten bleiben, was in eine Abrüstungsspirale hätte einmünden können. An dieser Diskussion beteiligten sich auch ehemalige Militärs. Eine Delegation der Friedensbewegung hat 1984 in Moskau hierzu Thesen vorgelegt und sie mit hochrangigen Vertretern der UdSSR diskutiert.

Rüstungskontrollabkommen
Eine langfristige und zeitlich überlappende Diskussion wurde über internationale Rüstungskontrollabkommen geführt, welche die Gefährdung durch Atomwaffen eingrenzen sollten. Die wichtigsten sind der Nichtweiterverbreitungsvertrag, der ABM-Vertrag, die Reduzierung der strategischen Waffenarsenale (SALT I und II, START I und II) und der Teststopp-Vertrag.

Im Nichtweiterverbreitungs-(Atomwaffensperr-) Vertrag (NVV oder englisch NPT) verzichteten die Unterzeichnerstaaten ohne Atomwaffen auf nukleare Rüstung. Die fünf offiziellen Atommächte verpflichten sich dagegen, über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu verhandeln. Dies ist die einzige bindende Verpflichtung zur vollständigen Abrüstung der Atomwaffenstaaten in einem multilateralen Vertrag. Der Vertrag wurde am 1. Juli 1968 von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnet und trat 1970 in Kraft. Auch die BRD hat den Vertrag unterzeichnet.

Die Friedensbewegung kritisiert bis heute die mangelhafte Durchführung des Vertrages, denn die offiziellen Atommächte sind ihren Verpflichtungen zur Abrüstung dieser Waffen bisher nicht nachgekommen. Indien, Israel, Nord-Korea und Pakistan haben den Vertrag nicht unterzeichnet oder wieder gekündigt und sich teils mit amerikanischer Billigung atomar bewaffnet. Die internationalen Überprüfungskonferenzen dienten der Friedensbewegung immer wieder dazu, ihre Kritik in die Öffentlichkeit zu tragen.

Der ABM-Vertrag über die Begrenzung der Stationierung von Raketenabwehrsystemen (ABM -Anti Ballistic Missiles) von 1972 zwischen den USA und der UdSSR dient vor allem der Stabilisierung des Abschreckungssystems. Keine Seite sollte sich unverwundbar machen dürfen, um damit möglicherweise eine Erstschlagkapazität zu gewinnen. Abrüstung war also nicht sein Anliegen. Die Friedensbewegung war sehr beunruhigt, als die USA unter Präsident Ronald Reagan im Juni 2002 den Vertrag kündigte.

Die Verträge zur nuklearen Rüstungsbegrenzung (SALT - Strategic Arms Limitation Talks) wurden von 1969 bis 1979 zwischen den USA und der UdSSR geführt. Ein Ergebnis war der ABM-Vertrag. Ferner sollte die Zahl der Interkontinentalen Raketen nach dem Stand von 1972 für fünf Jahre eingefroren werden. Beide Staaten hatten danach noch immer eine mehrfache Overkill-Kapazität. Die beiden START-Verträge wurden 1991 und 1993 zwischen den USA und Russland geschlossen. Es ging um die Verringerung der Zahl der weit reichenden Interkontinentalraketen und ein Verbot von Mehrfachsprengköpfen auf diesen Raketen. Die START-Verträge sind Ende 2009 ausgelaufen. Über ihre Verlängerung wird noch verhandelt.

Über ein Verbot, Kernwaffen zu testen, wurde seit den 50er Jahren immer wieder verhandelt. 1963 wurde ein teilweises Testverbot vereinbart. Doch erst 1996 verabschiedete eine Sondersitzung der Vereinten Nationen das Testverbot-Abkommen (Test Ban Treaty). Die USA, China, Israel, Iran, Indonesien und Ägypten müssen noch ratifizieren. Nordkorea, Indien und Pakistan haben noch nicht einmal unterzeichnet. Das Abkommen ist also nach wie vor nicht bindend. Es kann weiter getestet werden. Der Vertrag ist ohnehin unzureichend, da er die Weiterentwicklung von Atomwaffen nicht verhindern könnte.

US-Präsident Obama hat sich in seiner Rede in Prag 2009 für eine Welt ohne Atomwaffen ausgesprochen. Die Friedensbewegung hat dies aufgegriffen und den Abzug der letzten etwa 20 US-Atomwaffen aus Büchel gefordert. Bisher haben weder die US-Administration noch die Bundesregierung dieser Forderung entsprochen. Im Kern geht es hierbei um die Frage, ob Deutschland ein kernwaffenfreies Land wird oder ob eine neue Modernisierungsrunde der nicht-strategischen Atomwaffen in EU-Europa eingeleitet wird. Dazu müsste dann Deutschland mit neuen Trägerwaffen ausgerüstet werden, um weiter seine „technisch nukleare Teilhabe“ aufrechterhalten zu können. Es geht in Büchel also nicht nur um ein paar im Augenblick bedeutungslose Atombomben, sondern um eine weit reichende militärstrategische Entscheidung.

Atomwaffen in den NATO-Strategien
Diese Problematik leitet über zu der Rolle von Atomwaffen in den NATO-Militärstrategien, die sich mit der waffentechnischen Entwicklung und der politischen Konstellation ständig verändert haben. Diese Veränderungen können hier nur sehr grob angedeutet werden. Seit den 50er Jahren spielten Atomwaffen eine Rolle im Abschreckungssystem (MAD) zwischen West und Ost (s.o.). Dabei ging es vorrangig darum, die jeweilige Zweitschlagfähigkeit zu sichern, um eine Erstschlagfähigkeit der anderen Seite zu verhindern. Die atomar betriebenen Unterseeboote spielten dabei eine besondere Rolle.

Für Mitteleuropa war der geplante Einsatz von Atomwaffen gegen sowjetische Panzerarmeen von größter Brisanz, hätte dies doch eine Zerstörung des ganzen mitteleuropäischen Raumes zur Folge gehabt. Die USA und die UdSSR hätten in einem solchen Kriegsfall ein Interesse gehabt, die strategischen Atomwaffen, mit denen sich die Großmächte gegenseitig bedrohten, nicht zum Einsatz kommen zu lassen. Mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen verschärfte sich seit 1979 diese Situation. Es galt für die Friedensbewegung, dieses ruchlose Kriegsszenarium der Bevölkerung zu vermitteln.

Nach dem Ende des West-Ost-Konflikts, als sich das bipolare Machtsystem in ein unipolares gewandelt hatte, verloren die bisherigen Strategien an Bedeutung. An ihre Stelle traten Militärstrategien der NATO, in denen Nuklearwaffen präventiv und präemptiv auch gegen Nicht-Nuklearstaaten weltweit eingesetzt werden sollen. Nach der Kündigung des ABM-Vertrages (s.o.) bemühen sich die USA, Raketenabwehrsysteme im europäischen und asiatischen Raum aufzubauen. Zu vermuten ist, dass Russland dies als Versuch der USA wertet, einer Erstschlagfähigkeit nahe zu kommen. Die Abwehrsysteme hätten die Funktion, die bei einem Erstschlag nicht zerstörten russischen Raketen abzufangen.

Trotz der rhetorischen Anstrengungen Obamas und der euphorischen Hoffnungen, die auf eine Friedenspolitik dieses Präsidenten gesetzt wurden, bleibt für die Friedensbewegung die Bedrohung durch Nuklearwaffen nach wie vor ein wichtiges Thema.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt