Atomwaffenverzicht genügt nicht

von Wolfgang Biermann

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich 1955 völkerrechtlich verpflichtet, "in ihrem Gebiet keine Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen herzustellen." (Bundesgesetzblatt 1955 II, S.267)

Im Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen vom 1.7.1968 - für die Bundesrepublik in Kraft seit dem 2.5.1975 - verpflichtet sich die Bundesrepublik "Atomwaffen und sonstige Atomsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber" an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben – Art.I - und von niemandem anzunehmen, "Atomwaffen oder sonstige Atomsprengkörper weder herzustellen noch sonst. wie zu erwerben." - Art. II - (Bundesgesetzblatt 1976 II, S. 552)

Trotz dieser rechtlich bindenden Verpflichtungen ist die Bundesrepublik das am dichtesten mit Atomwaffen gefüllte Land der Erde. Die Bundesregierung beteiligt sich politisch und militärisch an einer Allianz, die den Einsatz, sogar den Ersteinsatz von Atomwaffen im Kriegsfalle fest eingeplant hat. Die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland sind mit Trägersystemen (Flugzeugen, Kanonen, Raketen) ausgerüstet, mit denen Bundeswehrsoldaten auch Atomwaffen nach der Freigabe durch den Präsidenten der USA ins Ziel bringen können. Dieser Atomwaffeneinsatz wird in den Manövern mit den Alliierten jährlich erprobt.

Es gab und gibt Stimmen vor allem in den Unionsparteien, die sich für eine Mitverfügung der Bundesrepublik an Atomwaffen aussprechen. Sie vertreten die Auffassung, daß die rechtlichen Voraussetzungen dafür im Rahmen einer westeuropäischen Atomstreitmacht gegeben sind.

Die jüngsten Skandale über illegalen Handel mit Plutonium und anderem spaltbarem Material haben gezeigt, daß zwischen Recht und Rechtspraxis eine erhebliche Lücke klafft. Nicht zuletzt aus diesem Grunde wenden wir uns gegen jede Form der Plutoniumwirtschaft, d.h. auch gegen den Bau Schneller Brüter und einer Wiederaufbereitungsanlage. Der Ausstieg aus der Atomwirtschaft muß jetzt beginnen. Damit würden die politischen Voraussetzungen geschaffen, die Gefahren der illegalen Herstellung von Atomwaffen und ihrer Weiterverbreitung durch internationalen Handel von vorneherein zu unterbinden. Diese Kontrollen müssen parlamentarisch abgesichert werden.

Jetzt müssen Schritte eingeleitet werden, die unser Land darüber hinaus schrittweise und dauerhaft von US-amerikanischen, britischen und französischen Atomwaffen befreien. Wir brauchen ein Konzept, mit dem wir unsere atomar bewaffneten verbündeten Nationen überzeugen können, gemeinsame Sicherheit mit dem Osten den Vorzug vor atomarer Abschreckung zu geben. Dazu gehören auch konventionelle Abrüstungsmaßnahmen, die einen Angriff von der Struktur der Bewaffnung und der Streitkräfte in Europa ausschließen.

Ein deklaratorischer Verzicht auf Atomwaffen - dies zeigt die jüngere Geschichte - alleine reicht nicht mehr aus. Wer allerdings diesen bisher rechtlich und politisch gültigen Verzicht in Frage stellt, läuft Gefahr jenen Argumente zu liefern, die den Wunsch nach der deutschen Atombombe hegen. Dies wäre fatal.

Es ist vor allem die politische Aufgabe der Friedensbewegung eine Zukunftsperspektive zu entwickeln, die vorwärtsgerichtet ist. Je mehr gemeinsame Sicherheit, je mehr konventionelle Stabilität in Europa durch Abrüstung geschaffen werden kann, je geringer wird die Legitimation nuklearer Abschreckung und desto größer wird die Chance für eine Denuklearisierung Europas. Dies ist meiner Ansicht nach bedeutsamer als eine Debatte, die den Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz verankern will nicht zuletzt, weil dies den Blick für die heute existierenden Waffen verstellt. Die Entscheidung darüber, daß auf deutschem Boden niemals mehr atomare, chemische und biologische Waffen entwickelt, gelagert, und eingesetzt werden, kann mittel- und langfristig in einem verfassungsrechtlichen Rahmen verankert werden, der für alle Zeiten und alle Regierungen bindend wird.

 

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