Probleme einer Kampagne

Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz

von Martin Böttger

Bis 1995 läuft der Atomwaffensperrvertrag aus. Zu Beginn der 90er Jahre wird  sich eine Überprüfungskommision der Unterzeichnerstaaten mit seinem weiteren Schicksal befassen, Teile der Friedensbewegung, die sich nicht darauf verlassen wollen, formieren sich bereits jetzt, um ihrer Forderung nach einem bundesdeutschen Atomwaffenverzicht im Grundgesetz Nachdruck zu verleihen. Die SPD dagegen setzt auf die deutsch-französische Militärzusammenarbeit und das Erringen "politischer Mehrheiten" in beiden Ländern, um Strategieänderungen durchzusetzen. Braut sich da neues Konfliktpotential zusammen?

Anfang Dezember hat die SPD-Bundestagsfraktion dem Zusatzprotokoll zum Elysee- Vertrag, das die deutsch-französische Militärzusammenarbeit regelt, zugestimmt. SPD-MdB Karsten Voigt verteidigte bei der Internationalen Aktionskonferenz "Denuklearisieren statt modernisieren - Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz" am 25.-27. 11. in Köln brav diese Fraktionslinie. Zwar widerspricht das dem Willen des letzten SPD-Bundesparteitages, die Abschreckung zu überwinden, es entspricht aber dem gleichen Beschluß, der sich für einen "europäischen Pfeiler in der NATO" ausspricht. Atomare Abschreckung, so Voigt, werde von der Achse Bonn-Paris nicht zementiert: "Wie die künftige Strategie aussehen wird, darüber entscheiden politische Mehrheiten in Bonn und Paris. Der Inhalt einer derartigen Strategie", so sei der SPD sowohl von der Bundesregierung als auch von "Berichterstattern des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses der "Assemblee Nationale" versichert worden; "wird völkerrechtlich durch die Protokolle zum Elysee-Vertrag nicht präjudiziert." Der Forderung nach Verankerung des  bundesdeutschen Atomwaffenverzichts irrt Grundgesetz kommt Voigt nichts abgewinnen. Er kündigte stattdessen die Vorlage einer Entschließung durch die SPD-Fraktion an, den Atomwaffensperrvertrag (korrekte Übersetzung: Nichtverbreitungsvertrag) über 1995 hinaus unbefristet zu verlängern. Sollte er nicht verschärft werden, weil er z. B. BRD-Teilhabe an einer multinationalen, westeuropäischen Atom-streitmacht nicht verbietet? Voigt dazu; "Wir sind nicht dafür, den Vertrag zu kündigen." 

Das Vertrauen der Konferenzteilnehmerinnen hatte er dadurch nicht eben erhöht. Sie forderten daher eine Grundgesetzergänzung mit folgendem Wortlaut:
"Die BRD verzichtet auf die Entwicklung und Herstellung, den Besitz oder Mitbesitz, die Verwendung von und Mitverfügung über Atomwaffen. Die Mitwirkung an der Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen eines anderen Staates ist verboten."

Bis zum 8. Mai sollen Abgeordnete des Bundestages eine solche Initiative - überparteilich - einbringen. Parallel dazu sollen in der Bevölkerung Unterschriften für eine entsprechende Petition gesammelt werden.

Bemerkenswert an diesem Kampagnenvorhaben ist, daß es früher als in der Vergangenheit der Friedensbewegung üblich, in einen politischen Prozeß (Aufbau der Plutoniumindustrie, Verhandlungen über den Atomwaffensperrvertrag) eingreift. Doch damit sind gleichzeitig seine Probleme beschrieben. Wie wichtig ist das Anliegen jetzt? Vertreter der Jungsozialisten, die sich von Karsten Voigts Linie deutlich distanzierten, wiesen auf das "vorrangige" Problem bereits existierender US-Atomwaffen in der BRD hin. Anwesende Grüne sahen in diesem Hinweis den Versuch, ein für die SPD unangenehmes Thema "niedrig zu hängen. Nur wenige - wie die heute grünen-nahen Jungdemokraten - artikulieren ein Unbehagen darüber, daß sich die Kampagne vorschnell auf einen parlamentarischen Streit orientiere, statt zunächst Konzepte für eine außerparlamentarische Bewegung zu entwickeln.

Denn bei aller Kritik muß der SPD zu gebilligt werden: daß sie dem Zusatzprotokoll zum Elysee-Vertrag zustimmt und (noch?) einen Atomwaffenverzicht im Grundgesetz ablehnt, liegt nicht daran, daß sie böse, gemein und verräterisch ist, sondern weil sie ein gutes Gespür für gesellschaftliche Kräfteverhältnisse hat. Diese Kräfte Verhältnisse müssen bewegt werden (und keineswegs "nur" wegen der SPD).

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Martin Böttger ist Mitarbeiter des Ko­mitees für Frieden, Abrüstung und Zu­sammenarbeit und Mitglied im Bun­deshauptausschuß der Jungdemokraten.