Die F-Frage

Außerirdische evaluieren die Friedensbewegung

von Ulrich Wohland

Die Berechnungen stimmten. Die Bremsraketen hatten einwandfrei gearbeitet. Das Hitzeschild funktionierte. Die Crew schaltete die Tarnvorrichtung für ihr Raumschiff ein und landete sanft auf einer mittelgroßen Wiese. Man kam offensichtlich gerade zur rechten Zeit. Draußen auf der Wiese stand ein Häuflein Menschen mit vielen kleinen Regenbogenfahnen und einem großen Transparent. Dieses konnte man vom Raumschiff aus gut sehen. Aber die Crew wusste, das war keine Begrüßung für sie. Obwohl der Text auf dem Transparent ihre Mission gut umschrieb: „Macht Frieden“.

Auf ihrem Heimatplaneten, sie kamen übrigens aus dem Sternbild Waage, hatte man beschlossen, in regelmäßigen Abständen kleine Beobachtungstrupps auf E42zu schicken, um dort die zivilisatorische Entwicklung zu evaluieren. E42, so hatten sie den 42. ihnen bekannten habitablen Planeten in diesem Quadranten der Galaxie beziffert.

E42 war ein interessantes Studienobjekt. War doch noch unentschieden, ob sich die höchstentwickelte Spezies, der Mensch, auf diesem Objekt auf eine neue zivilisatorische Stufe oder in die Selbstzerstörung begeben würde. Auf dem Heimatplanten der Crew war diese Phase vor ungezählten Äonen erfolgreich durchschritten worden. Wenn es heute Streitigkeiten gab, und die waren nicht selten, wurden sie in langen Palavern besprochen und immer gelöst. Schließlich hatte man alle Zeit des Universums. Und als oberstes Gesetz auf ihrem Planeten galt, das alle Regelungen und Gesetze dem nachhaltigen Erhalt ihres Planeten und der Galaxie und dem fürsorglichen Schutz aller Lebewesen, und das waren viele, genügen mussten. Dieses Mal schickte man zwei Fact Finding Missionen, mit unterschiedlichen Aufträgen, zu E42. Die eine hatte das Kürzel U&A, was für Umwelt & Ausbeutung und die andere die Bezeichnung K&F, was für Krieg & Frieden stand. Damit sollten die beiden größten Bedrohungen und die wichtigsten Enwicklungsnotwendigkeiten für E42 und den darauf lebenden Spezies untersucht werden. Die Crewmitglieder waren gespannt, was sich seit dem letzten Besuch vor einigen Dezennien entwickelt hatte.

Ehe man sich unter die heimische Spezies mischen wollte, kam die Crew nochmal im Briefing-Center ihres Raumfahrzeuges zusammen, um alles, was seit der letzten Mission von permanenten, unbemannten Beobachtungseinheiten im Orbit gesammelt worden war, zusammen zu fassen. Hier einige der Briefing-News:

  • Seit dem letzten Mal hatte es auf E42 wieder deutliche Fortschritte bei technischen Geräten gegeben. Überhaupt war die Spezies technisch höchst innovativ, jedoch sozial schockierend langsam. Seit dem ersten Besuch, vor ziemlich genau einer Lichtsekunde, man hatte damals der Spezies als Morgengabe die Angst vor dem Feuer genommen, hatte sich die Fähigkeit zur Kommunikation von Jahrhundert zu Jahrhundert deutlich beschleunigt. Neuerdings waren die intelligiblen Tiere von E42 sogar fast alle digital miteinander verbunden (die Kommunikation mit anderen Lebewesen z.B. Walen und Delphinen misslang jedoch weiterhin). Immer mehr Menschen untereinander nannten sich sogar „Freunde“ und „likten“ sich. Doch die ganze Flut neuer Informationen half offensichtlich wenig dabei, Ordnung, Solidarität und Freundlichkeit in diese Welt bringen. Im Gegenteil.

Die Crew wollte sich auch dieses Mal wieder auf einen Landstrich ziemlich weit im Westen einer großen Landmasse konzentrieren. Von hier waren in den letzten Zeiteinheiten zwei große Gewalteskalationen ausgegangen, mit verheerenden Folgen. Die Crew vermutete, hier ließen sich am ehesten Fortschritte hin zum Besseren studieren, müsste doch soziales Lernen und Einsichten in die Selbsterhaltungskompetenz hier am leichtesten wachsen und zu beobachten sein. 

Doch weiter mit einigen Tops aus dem Briefing:

  • Die VertreterInnen der Spezies, die sich mit den K&F-Themen beschäftigten, waren deutlich überaltert. Viele träumten davon, wie toll es war, als sie jung und viele waren. Sie hatten jedoch unverständlicherweise in der vergangen Zeit wenig Initiativen ergriffen, sich zu verjüngen. Jetzt klagten sie wortreich, wie grau und gebrechlich fast alle geworden waren.
  • Große Teile der aktiven VertreterInnen beschäftige sich eher mit K-Fragen, also neuen Waffen und geostrategische Optionen, wie sie das nannten, und wenige mit den Fragen, wie ein menschenfreundlicher Austrag von Konflikten, also den eigentlichen F-Fragen, ganz praktisch  aussehen könnte. Bei den K-Fragen wuchs das Wissen beständig, bei den friedensförderlichen F-Fragen blieb das Wissen rudimentär.
  • Ein großer Teil der kommunikativen Energie war in den letzten Zeiteinheiten zudem in den Austausch untereinander geflossen. Nach optimistischen Schätzungen beschäftigen sich etwa 3000-6000 Personen in diesem Landstrich mit K&F Fragen (in den Organisationen waren ca. 20 000 Menschen registriert, aber fast alle hatten doppelte oder dreifachen Mitgliedschaften!) Man kommunizierte, wie gesagt, weitgehend untereinander. Dies wurde z.B. auch bei einer quantitativen Feldanalyse wichtiger Zeitschriften deutlich: die Namen der Schreibenden waren begrenzt und wiederholten sich zyklisch.
  • Auch hatte die Auswertung der Kommunikation ergeben, dass fast jedes Mitglied der K&F Kohorte ein eigenes, privates Thema bearbeitete und nirgendwo flossen die Ergebnisse integriert zusammen. Ein Crewmitglied sagte, das wäre gerade so, als wenn jeder irgendwo im Raumschiff nomadisch sein Pegasusthema (kosmologisches Synonym für Steckenpferd) betriebe, und nirgendwo eine Zentraleinheit, ein Leitstand vorhanden wäre, bei dem alle Informationen zusammenflössen. Tatsächlich gab es wohl solche zentralen Leitstände und Koordinationsstrukturen, nur hatten die nichts zu sagen oder sagten häufig auch einfach gar nichts.
  • Auch in den vergangenen Dezennien war es immer wieder zu großen sogar E42 umspannenden Demonstrationen gegen diverse, drohende gewaltsame Eskalationen gekommen. Sobald diese Eskalationen dann tatsächlich eintraten, lösten sich die Menschenansammlungen jedoch rasch auf und die meisten Aktiven taten so, als ginge sie die nun stattfindende Eskalation der Gewalt nichts mehr an. Dieses paradoxe Verhalten der Menschen löste bei den Crewmitgliedern Kopfschütteln aus.
  • Bei der Analyse der finanzielle Buchführung, die den Crew Mitgliedern von vielen der K&F Organisationen vorlagen, fiel auf, wie viele Ressourcen in Treffen und analoge Kommunikation untereinander mit geringster Außenwirkung gesteckt wurde. Gerade so, als ob man sich gegenseitig immer neu versichern wollte, das man irgendwie noch da sei. 
  • Hingegen werden vergleichsweise geringe Ressourcen in strategische Aktivitäten investiert, um sogenannte Entscheider-Personen zu beeinflussen. Man formuliert oft und umfangreich auf zahllosen Treffen, was getan werden sollte, aber man tut es nicht. Und irritierenderweise kommuniziert man es auch gar nicht mit den Menschen, die die Entscheidungen treffen.

Aus der Analyse aller Protokolle von großen Zusammenkünften der K&F Organisationen, wurde schnell deutlich, dass die Zeit, die auf die Analyse dessen was ist, verwendet wurde, ein vielfaches von dem ausmachte, was aufgebaut werden sollte. Die Crew analysierte dieses Phänomen als offenkundig magisches Ritual: Durch die wiederholte Benennung des „Bösen“ dieses auch gleichzeitig irgendwie zu „Bannen“. Eine offenkundig vor-vernünftige Vorstellung, an der gleichwohl stabil festgehalten wurde, auch wenn sie zu keinerlei messbaren Ergebnissen führte.

  • Bei den vorliegenden Daten zu den im Reifungsstadium befindlichen Altersgruppen der Spezies Mensch, wurde ein weiterer befremdlicher Trend sichtbar. Die Spiele, die eher K-Themen zur Grundlage hatten, nahmen immer größere Anteile im Alltag der Spezies ein. Hingegen Spiele, in denen auf spannende Weise Frieden gelernt werden konnte, wurden so gut wie keine gefunden. Hier wurde Krieg und Selbstzerstörung gelernt und nicht Frieden und Selbsterhaltung.
  • Zuletzt wurde im Briefingraum noch ein kleiner Film vorgeführt. In einer Szene standen vielleicht ein Dutzend singender Personen vor einem Tor und in einer anderen Szene standen viele Menschen im Regen, die sich, eine Kette bildend, festhielten. Hinter ihnen starteten in regelmäßigen Abständen Donnervögel, einfache Vorläufer von Raumschiffen. Hier wurde offensichtlich gegen die gewaltvolle Kraft von Atomteilchen und gegen andere Waffen demonstriert. Das Problem war unseren Crewmitgliedern aus ihrem Sternbild der Waage nur zu bekannt. Dort hatte es vor nicht allzu langer Zeit die atomare Explosion einer Supernova gegeben. Doch erstaunlich war bei diesem Filmchen, dass die EntscheiderInnen in der großen Palaverhalle von diesen Aktivitäten so gut wie nichts mitbekamen, offenkundig noch nicht eimnal darüber informiert wurden. Jedenfalls legte dies eine Inhaltsanalyse sogenannter „Leitmedien für öffentliches Bewusstsein“ nahe. Dort fand sich praktisch kein Widerhall dieser Aktivitäten oder sollte es vielleicht auch gar nicht? Auch hier magisches Denken und rituelle Beschwörungen. Oftmals auch in Richtung einer irgendwie transzendenten Instanz, so die Vermutung unser Sternenreisenden. Zumal bei der Inhaltsanalyse nicht so ganz klar wurde, ob diese Transzendenz nun eingreifen sollte oder überhaupt konnte und irgendwie gab es mehrere davon oder doch nur eine? Verwirrend jedenfalls!

Die Stimmung in der Crew war zu diesem Zeitpunkt irgendwo zwischen Amüsement und Erschrecken. Was war in dem untersuchten Segment von E42 los? Wo waren die sozialen Lernprozesse, die so interessierten, um derentwegen man gekommen war. Übrigens schien die Stimmung bei der U&A Crew in einem zweiten Raumschiff, ein Kurzinfo war gerade eingetroffen, aus anderem Segment von E42 noch ambivalenter zu sein. Diese wären fast im Wasser versunken, als sie an einem Ort landeten, wo beim letzten Besuch noch tropisches Land war und jetzt das Meer watete. Der Ort hieß im Menschensprech Tuvalu oder Tohuwabohu oder so ähnlich.

Alle schwärmten nach dem Briefing aus, mit Ziel im persönlichen Gespräch zu erfahren, wie es um die K&F Fragen stand, in der vorsichtig, skeptischen Hoffnung, doch noch Anzeichen für soziale Lernprozesse in Richtung Frieden zu finden.

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Hintergrund
Ulrich Wohland arbeitet ehrenamtlich bei der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden und ist Initiator der Ausbildung "Campapeace". Er ist Moderator, Coach, Campaigner und Kommunikationstrainer.