Stell Dir vor, es ist Krieg - und keiner geht hin!

Belarus: Nash Dom

von Stephan Brües

Belarus gilt als die letzte Diktatur Europas. Hat der seit 1993 amtierende Präsident Alexander Lukoschenko aber das Land tatsächlich im Griff? Oder beißt er sich am Widerstand einer kleinen oppositionellen Bewegung die Zähne aus? Beispielsweise beim Versuch, Putin in seinem Krieg gegen die Ukraine militärisch zu helfen?
Eine dieser kleinen oppositionellen Bewegungen ist Nash Dom (Unser Haus), eine Bürgerrechtsbewegung, die seit 2005 existiert. Sie hat angefangen als eine Bewegung, die Mieter*innen über ihre Rechte aufklärte und ihnen gegen die Willkür der Hausverwaltungen half. Sie arbeitete eng an den Sorgen des Alltags und wurde daher von den Belaruss*innen landesweit gekannt und geschätzt.
Mit der Breite der Menschenrechtsverletzungen in Belarus wuchs die Breite der Aktionen. Die Willkür der Polizei und Sicherheitskräfte wurde öffentlich bloßgestellt. Gewalt gegen Frauen und die Inhaftierung von Jugendlichen wegen angeblichem Drogenbesitz waren weitere Themen, die Nash Dom mit kreativen Aktionen, Videos und Öffentlichkeitsarbeit bearbeitete.
So ist es nicht verwunderlich, dass der Staat Nash Dom verbot und weite Teile der Aktiven ins Exil trieb, meist nach Vilnius in Litauen. Inzwischen werden ihre Aktivist*innen im staatlichen Fernsehen als Terrorist*innen tituliert - ein Titel, den die Gründerin und Direktorin von Nash Dom, Olga Karatch, mit einem gewissen Stolz trägt.

Gewaltfreiheit und Kriegsdienstverweigerung
Kurz nach der Gründung 2005 hatte Olga Karatch Kontakt gesucht mit dem Bund für Soziale Verteidigung (BSV). Dessen damaligem Geschäftsführer, Björn Kunter, gelang es, einige EU- und deutsche Gelder zu akquirieren, um die Arbeit von Nash Dom in Belarus zu unterstützen. Dazu gehörte auch die Vermittlung von Wissen über Gewaltfreie Aktionen und Zivile Konfliktbearbeitung. Wissen, das - wie Olga Karatch selbst sagt - zuvor in Belarus unbekannt war. Aktive aus Belarus gingen während der Kampagne X-tausend-mal quer im Wendland in ein Training in Gewaltfreier Aktion und Konsensbildung. Eine antimilitaristische Organisation war Nash Dom nicht.
Das änderte sich mit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine.
In einem weit verbreiteten Video rief Olga Karatch die jungen Männer von Belarus dazu auf, Einberufungen nicht folgen zu leisten und unterzutauchen. Sie sollten nicht an der Seite von Putins Armee gegen die Ukraine kämpfen. Mütter im Widerstand, die sog. Eulen, sollten ihre Söhne entsprechend überzeugen. Von den 42.000 einberufenen Männern tauchte tatsächlich die Hälfte unter oder floh ins Ausland. In der deutschen Presse ist von ihnen kaum die Rede, der Newsletter von Nash Dom berichtet regelmäßig davon. Auch, dass der Oberste General der Streitkräfte Anfang März aus Frust über die Weigerung der Männer, beim Militär zu erscheinen, zurückgetreten ist.
Die Kampagne geht weiter. Olga Karatch reist durch Europa, besucht das EU-Parlament in Brüssel und Straßburg und wirbt dafür, einen Korridor für die Wehrdienstentzieher und Kriegsdienstverweigerer zu errichten und sie zu unterstützen - entweder in der Türkei, Georgien, Polen oder Litauen, wohin sie geflohen sind - oder sie aufzunehmen.
Und damit dafür zu sorgen, dass das Motto der Kampagne umgesetzt wird: „Nein heißt Nein. Wir wollen Lukashenko seine Armee klauen!“ Das ist geglückt. Und wird anerkannt.
Am 10. Dezember 2022 hat Olga Karatch im Namen von Nash Dom in Weimar den dortigen Friedenspreis entgegengenommen - und ihrerseits Schokolade verteilt, ein Mitbringsel für die Aktiven in den belarussischen Gefängnissen und damit ein Symbol für Freiheit.

Repression und mangelnde Hilfe
Die Freiheit schwindet. Der belarussische Geheimdienst KGB schleuste in Litauen einen litauischen Anwalt bei Nash Dom ein, der jedoch aufflog. Die EU-Staaten zeigen sich wenig gewillt, die Wehrdienstentzieher zu unterstützen. Sie haben Angst, Spione aufzunehmen. Dabei sind die jungen Menschen verzweifelt und in Belarus massivster Verfolgung ausgesetzt.

Fazit
Eine kleine, großes Vertrauen genießende Organisation wie Nash Dom hat den Militärapparat von Belarus herausgefordert und ein Stück weit den alten Friedensslogan „Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ in die Tat umgesetzt.
Unter großer Gefahr, in großer Angst, mit größter Courage.

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Rubrik

Friedensbewegung international
Stephan Brües ist freier Journalist und Co-Vorsitzender des Bund für Soziale Verteidigung.