Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge?

von Kai Weber
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Die Innenministerkonferenz hat am 17.11.2006 eine Bleiberechtsregelung für Flüchtlinge beschlossen, die sechs Jahre (Familien mit Kindern, die zur Schule gehen oder den Kindergarten besuchen) oder. acht Jahre (Einzelpersonen) im Bundesgebiet leben. Für die von dieser Regelung möglicherweise profitierenden Flüchtlinge wurde die Abschiebung daraufhin ausgesetzt.

Das ist freilich schon alles, was positiv über den Beschluss der Innenminister gesagt werden kann. Er fällt weit hinter den Koalitionskompromiss zurück, der vor der Innenministerkonferenz zwischen Schäuble, Bosbach, Müntefering und Wiefelspütz vereinbart worden war: Statte entsprechend dieser politischen Einigung allen qeduldten Flüchtlingen bei Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre zu erteilen, sollen die Flüchtlinge nach den Vorstellungen der Innenminister nur eine Duldung längstens bis zum 30.9.2007 erhalten. Nur bei Nachweis einer dauerhaften Arbeit und Vorlage eines Nationalpasses sollen die Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Die Innenminister begründen. dies mit dem Hinweis; eine „Einwanderung in die Sozialkassen" solle um jeden Preis verhindert werden. Entsprechend wird für alte, kranke oder behinderte Personen ein Bleiberecht auch nur gewährt, wenn keine Sozialleistungen für diesen Personenkreis in Anspruch genommen werden, weil begüterte Angehörige die Kosten übernehmen.

Es liegt auf der Hand, dass Flüchtlinge, die in den letzten Jahren durch gesetzliche Arbeitsverbote oder administrative Auflagen vom Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschlossen waren, Schwierigkeiten haben werden, innerhalb weniger Monate einen dauerhaften Arbeitsplatz nachzuweisen: Einen Flüchtling mit einer auf höchstens sechs Monate befristeten Duldung will kaum ein Arbeitgeber einstellen, und die Arbeitsagentur verweigert die Vermittlung von Geduldeten. Die Forderung nach Vorlage einer dauerhaften Beschäftigung überspannt angesichts der Arbeitsmarktlage und der Tendenz zur Befristung von Arbeitsverträgen die Anforderungen an die Betroffenen. Insbesondere Bürgerkriegsflüchtlinge werden häufig nicht in der Lage sein, den geforderten Nationalpass zu beschaffen. Studierende oder Schüler/innen wären gezwungen, ihre Ausbildung abzubrechen und eine bezahlte Beschäftigung zu suchen. Integrationspotitisch ist das ausgemachter Unsinn.

Damit nicht genug, haben sich die Innenminister eine Reihe von Gründen ausgedacht, die selbst bei Vorliegen der übrigen Bedingungen einen Ausschluss von der Bleiberechtsregelung bewirken sollen: Zwar waren die Betroffenen in der Vergangenheit von Sprach- und Integrationskursen rechtlich ausgeschlossen, sie sollen aber dennoch ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen. Wer seine Abschiebung nicht tatkräftig unterstützt und etwa bei der Beschaffung von Abschiebungspapieren nicht mitgeholfen hat, soll wegen mangelnder Mitwirkung vom Bleiberecht ausgeschlossen werden. Bereits das „Vorliegen von Ausweisungsgründen" soll zum Ausschluss führen können, selbst wenn die Ausweisung noch gar nicht erfolgt ist.

Fazit: Der von der offiziellen Politik. immer wieder ins Feld geführte Grundsatz des „Förderns und Forderns" wird auf Flüchtlinge nicht angewendet. Ihnen werden Integrationsleistungen abverlangt, Integrationshilfen jedoch verweigert. Der Beschluss der Innenminister stellt eine Perspektive allenfalls für 10% der in Deutschland Geduldeten dar. Die anpassungsbereite, leistungsfähige Elite unter den Flüchtlingen soll bleiben können, die Übrigen werden davon gejagt.

Bei diesem Beschluss kann es nicht bleiben. Wir werden darum kämpfen, dass entsprechend der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD im Frühjahr 2007 eine gesetzliche Bleiberechtsregelung im Zuwanderungsgesetz festgeschrieben wird, die den Flüchtlingen Rechtssicherheit verschafft Und Zeit für der Erwerb weiterer Qualifikationen einräumt.

Das Gerede der Innenminister von einer angeblichen „Einwanderung in die Sozialkassen" entbehrt jeder empirischen Grundlage. Fakt ist, dass Miqrantlnnen erheblich mehr Steuern und Abgaben zahlen, als Transferleistungen erhalten. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies für Flüchtlinge anders sein sollte, wenn man ihnen endlich Aufenthaltssicherheit garantierte und eine Arbeitserlaubnis erteilte. Im Übrigen ist die Erteilung eines Aufenthaltsrechts für Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten in Deutschland Leben und hier' ihren Lebensmittelpunkt haben, eine Frage des menschlichen Anstands.

Gefordert ist eine Politik, die Migration als eine Chance versteht und Migranten nicht von vornherein als eine potentielle Gefahr beschreibt. Eine Politik, die nicht begreift, dass Integration auch etwas kosten darf und nur gelingen kann, wenn die Eingewanderten sich in Deutschland sicher und willkommen fühlen, ist inteqrationsunfähiq, Der viel beschworene Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik steht immer noch aus.

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Kai Weber ist Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen e. V.