Erfolgreiche Friedensprozesse

Das Beispiel Nordirland

von Christine Schweitzer

„Do no harm“- keinen Schaden zufügen, ist zu einem weitbekannten Standard in der humanitären und Entwicklungshilfe geworden. Das Konzept wurde kreiert von Mary B. Anderson und ihrer Organisation Collaborative for Development Action - Collaborative Learning Projects (http://www.cdainc.com). Dies ist eine gemeinnützige Organisation, die seit Mitte der 90er Jahre eine Reihe von Projekten durchführt, bei denen es darum geht, konfliktsensible Entwicklungs- und humanitäre Arbeit zu fördern sowie Erkenntnisse über erfolgreiche Ansätze und Instrumente der Friedensarbeit zu gewinnen. Dazu gehört auch eine neue Serie von Kurzstudien über erfolgreiche Friedensprozesse, die im Rahmen des Projektes Reflecting on Peace Practice erstellt werden. Im folgenden ist die Studie zu Nordirland kurz zusammengefasst.

Die Studie beruht auf 29 intensiven Interviews mit Personen aus verschiedenen Bereichen und Sektoren Nordirlands. Sie fragte vorrangig danach, was nach der Ansicht dieser Schlüsselpersonen entscheidend für den erfolgreichen Friedensprozess in Nordirland bis 2007 war.

In den Interviews wurden auf die Frage nach Initiativen, die entscheidend waren für den Friedensprozess, vier doppelt so oft genannt wie alle anderen:

  • Die Hume-Adams Gespräche 1988-93 (zwischen John Hume, Vorsitzenden der britischen Labourpartei und Gerry Adams, dem Vorsitzenden der Sinn Fein - ein damals sehr mutiger Schritt für die britische Seite, der zunächst von vielen Menschen mit Misstrauen betrachtet wurde),
  • Arbeit mit den politischen Gefangenen seit 1971 durch Gruppen der Zivilgesellschaft, die die Gefangenen humanitär betreuten. Die Gefangenen spielten eine wichtige Rolle in dem Konflikt und stellten die Gruppe in Nordirland dar, die vielleicht der wichtigste Motor zu politischem Wandel hin zu Mäßigung und Kompromiss wurde.
  • Das englisch-irische Abkommen von 1985, sich gemeinsam für eine Lösung des Nordirland-Problems einzusetzen.
  • Gesetzgebung zu fairer Beschäftigung (Antidiskriminierungsgesetz, das Katholiken Zugang zu mehr und besseren Jobs verschaffte) von 1976:

Zu einem Wandel trugen verschiedene Faktoren bei: Eine allgemeine Erschöpfung und das Älterwerden der Führungspersonen auf allen Seiten, eine militärische und politische Sackgasse, bei der keine Seite mehr gewinnen konnte. Und auch die sich verändernden Zeiten u. a. mit dem Einfluss der EU,  Wirtschaftswandel, Ende des Kalten Krieges und der neuen Aktualität des Begriffs des Terrorismus nach dem 11. September 2001, mit dem keine der bewaffneten Seiten in Verbindung gebracht werden wollte.

Die AutorInnen formulieren ihre Schlussfolgerungen als Hypothesen:

  • Verschiedene Initiativen haben einen kumulativen Effekt, wenn sie sicherstellen, dass alle Themen und gegenseitigen Vorwürfe angesprochen werden.
  • Die Zivilgesellschaft war wichtig, weil sie eine Vielfalt von Programmen entwickelte und weil sie aufgrund ihres Wirkens im Hintergrund mit paramilitärischen Gruppen entscheidende Kontakte aufbaute.
  • Akteure auf allen Ebenen hatten wichtige Beiträge zu machen, von Basisinitiativen zu internationalen Regierungen.
  • Komplexe und auch sich doppelnde Initiativen waren nützlich.
  • Gesellschaften, die aus einem Konflikt herauskommen, haben mehr als andere zu tun, und insbesondere die Regierungen müssen höhere Standards erfüllen, um Vertrauen aufzubauen.
  • Paradigmenwechsel waren verknüpft mit Schlüsselereignissen (‚iconic events’), z. B. auf der positiven Seite ein Statement der britischen Regierung, dass sie kein strategisches Interesse an Nordirland habe, oder die Bereitschaft der irischen Regierung, ein Referendum abzuhalten, um die irische Verfassung zu ändern, die bis dahin Anspruch auf Nordirland erhob. (Negative Schlüsselereignisse gab es natürlich auch, z. B. die Proteste von Protestanten gegen den Besuch katholischer Kinder in einer bestimmten Schule.)
  • Handlungen von mutigen Individuen, eine visionäre Führerschaft (besonders Hume wird hier genannt) und Wandel in Politik und Struktur trugen alle zum Wandel in Nordirland bei.

Die Zusammenfassung von Fitzduff, Nial und Williams, Sue (2007) Cumulative Impact Case Study. How did Northern Ireland Move Towards Peace? RPP. http://www.cdainc.com (54 S.) wurde entnommen der Publikation Schweitzer, Christine (2009) Erfolgreich gewaltfrei. Professionelle Praxis in ziviler Friedensförderung. Hrsg. IFA, www.ifa.de/zivik

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.