Kooperationsmacht

Das Friedensgutachten 2012

von Andreas Buro

Das Friedensgutachten 2012, herausgegeben von den Forschungsinstituten in Bonn, Frankfurt, Hamburg und Heidelberg, behandelt drei interessante Schwerpunktthemen: 1. Machtverschiebungen im Zeichen der globalen Beschleunigung; 2. Der „Süden“ als Objekt und Subjekt der Machtverschiebungen und 3. Nach dem Arabischen Frühling – wie weiter? Die Stellungnahme der HerausgeberInnen folgt dieser Dreiteilung. Den Themenbereichen sind insgesamt 21 Einzelaufsätze zugeordnet, die spezielle Aspekte aufarbeiten. Die folgende Buchbesprechung bezieht sich auf die Stellungnahme der HerausgeberInnen, die als eine Zusammenfassung der Friedensforschung in den drei Bereichen zu verstehen ist.

Das Gutachten bezeichnet deutlich die machtpolitischen Verschiebungen durch den Aufstieg der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), wobei das Verhältnis USA zu China dominierend sei. Konfrontation müsse kein Naturgesetz sein, eine kluge Politik sei gefragt.

„Im Aufstieg der BRICS-Staaten liegt die Chance, Macht und Einfluss künftig nicht gegen andere zu entwickeln, sondern globale Verantwortung mit anderen auszuüben. (....) Soft Power ist die Fähigkeit, andere mittels Kooperation, Agendasetting, Überzeugung und positiver Anreize so zu beeinflussen, dass man ihre Zustimmung erreicht – Kooperationsmacht nannte das Jonathan Schell.“ (S. 6/7)

Eine solche Politik verlange ‚Interessenausgleich und Respekt statt Gegenmacht und Angstexport’ und eine andere Diplomatie. Das ist eine kluge Orientierung, unklar bleibt jedoch an dem Begriff, ob es sich um die Ausübung von Macht mit zivilen Mitteln oder um Verständigung und Kooperation unter Berücksichtigung allgemeiner und legitimer spezifischer Interessen handelt.

In dem Bericht wird die ‚Responsibility to Protect’ (R2P) positiv und negativ erörtert. Er enthält aber auch sonderbar hegemoniale Sätze wie:

„Es gilt die aufsteigenden Mächte zu überzeugen, statt an der Spirale eines neuen Wettrüstens mit zu drehen, auf Vertrauensbildung und gemeinsame Sicherheit zu setzen und die zivilen Kapazitäten des Peace Building zu fördern.“ (S. 12)

Ich frage mich, wer dreht eigentlich an der Rüstungsschraube, wo setzt der Westen auf Vertrauensbildung und gemeinsame Sicherheit und wo fördert er zivile Kapazitäten des Peace Buildings als ein Politik bestimmendes Anliegen? In dem Gutachtentext steckt trotz aller kritischen Ansätzen noch immer das Vorurteil, die westlichen Industriestaaten könnten als Vorbild dienen. Dies wird auch an dem obigen Zitat zur ‚Kooperationsmacht’ deutlich.

Im zweiten Themenfeld über die Machtverschiebungen im „Süden“ geht es um die Konkurrenz der alten und neuen Groß- und Mittelmächte und ihre Begehrlichkeiten. Hier werden Forderungen im Sinne von Nachhaltigkeit und Umverteilung aufgestellt. Noch immer leben 27% der Weltbevölkerung in absoluter Armut. Die Militärmissionen zur Bekämpfung der Piraterie werden kritisiert, wie auch der Versuch des Westens, Staatsaufbau nach eigenem Muster zu betreiben. Gefordert wird: Zivile Konfliktbearbeitung „muss Priorität einer insgesamt friedensgeleiteten Außenpolitik sein“.(S. 20)

Die Migrationspolitik wird unter dem Gesichtspunkt „Steuern statt abwehren“ behandelt. Die EU-Länder hätten im Libyen-Krieg von den besonders Hilfsbedürftigen 8.000 Menschen insgesamt nur 400 aufgenommen. Die Festung Europa sei eine „doppelte Solidaritätsverweigerung“. Grundlegende Reformen des EU-Grenzschutzes und Asylrechts werden gefordert.

Im Abschnitt zum ‚Arabischen Frühling’ wird ein ökonomischer Beitrag der EU verlangt. Endlich sollten die Bedingungen für fairen Handel geschaffen und die Subventionierung des Exports von Agrargütern unterbunden werden. Die EU dürfe auch die Repression in den Golf-Staaten nicht ignorieren:

„Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien zu unterbinden ist das Mindeste, was man tun kann, um das erklärte Ziel der Bundesregierung zu erreichen: das Freiheitsbegehren in den arabischen Ländern mit aller Kraft zu unterstützen.“

Hier hätte ich mir deutlichere Worte gewünscht, denn weit und breit ist von diesem angeblichen Ziel der Bundesregierung nichts zu erkennen.

Bezogen auf den Syrien-Konflikt treffen die HerausgeberInnen eine interessante Aussage:

„Wer nicht intervenieren will oder kann, sollte nicht den Eindruck erwecken, Schuld daran sei nur die Blockade Russlands und Chinas, sondern sich um deren Krisenmanagement bemühen“ (S. 27)

Sie verweisen auf Erfahrungen aus dem Libanon. Dort einigten sich nach 15 Jahren Bürgerkrieg ohne Sieger die Antagonisten 1989/90 auf ein Friedensabkommen unter der Formel: „Keine Sieger, keine Besiegten“: Sie haben sich auf eine Teilung der Macht eingelassen. Krieger seien zu Politikern geworden. Das Gutachten folgert daraus: „Ein ‚schmutziger Frieden’ wäre in Syrien besser als ein endloser Bürgerkrieg.“

Auch im Iran-Konflikt plädiert das Gutachten für eine politische Lösung: „Ein Angriff wäre fatal.“ Deutschland solle sich mit seinen europäischen Partnern gegen einen Militärschlag aussprechen (S. 29) Sie fordern eine Deeskalationsstrategie mit Sicherheitsgarantien für Israel und Iran und plädieren dafür, die Forderungen an Iran, die Urananreicherung auszusetzen, fallen zu lassen, sowie eine atomwaffenfreie Zone einzurichten. In diesen Forderungen nähern sich Friedensforschung und Friedensbewegung in ihren Positionen an.

Die den Hauptkapiteln zugeordneten Beiträge werden in Kurzfassung übersichtlich referiert. Das erleichtert die Übersicht. Insgesamt ist das Friedensgutachten trotz der vorgetragenen Kritik eine interessante Lektüre.

Schoch, Bruno; Hauswedell, Corinna; Kursawe Janet; Johannsen; Margret (Hrsg.) (2012) Friedensgutachten 2012. Berlin: Lit Verlag, ISBN 978-3-643-11136-4, 400 S., 12,90 €

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