Buchbesprechung

"Der gerechte Friede" - Ermutigung zum säkularen und kirchlichen Handeln

von Ulrich Frey

Die Kirchen werden danach gefragt, welche friedensethische und friedenspolitische Linie sie für ihre eigene Entwicklung und in der öffentlichen Auseinandersetzung um die großen gesellschaftlichen und politischen Fragen verfolgen. Eine Antwort gibt das Leitbild des "gerechten Friedens". Es steht für eine weite Öffnung des Verständnisses von Frieden in Richtung eines nachhaltigen Schutzes von Leben. Es verlässt die engen und überlebten Grenzen einer Friedensethik, die sich noch an die Illusion eines "gerechten Krieges" klammerte.

Der frühere Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Prof. Dr. Konrad Raiser, und der württembergische Ökumeniker Ulrich Schmitthenner haben die spannende Genese und die praktische Bedeutung des Leitbildes vom gerechten Frieden in dem Handbuch "Gerechter Friede. Ein ökumenischer Aufruf zum gerechten Frieden. Begleitdokument des Ökumenischen Rates der Kirchen" zusammengefasst.

Der "Ökumenische Aufruf zum gerechten Frieden" und das erläuternde Begleitdokument waren die maßgeblich von Raiser als Moderator einer internationalen Referenzgruppe inspirierten Texte des ÖRK, die die Internationale Ökumenische Friedenskonvokation (IöFK) des ÖRK im Mai 2011 in Kingston / Jamaika zum Abschluss der Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001 - 2010) anleiteten.

Ganz allgemein beschreibt der Paradigmenwechsel, was mehr und mehr ökumenisches Gemeingut wird. Danach ist unter einem gerechten Frieden "ein kollektiver und dynamischer, doch zugleich fest verankerter Prozess zu verstehen, der darauf ausgerichtet ist, dass Menschen frei von Angst und Not leben können, dass sie Feindschaft, Diskriminierung und Unterdrückung überwinden und die Voraussetzungen schaffen können für gerechte Beziehungen, die den Erfahrungen der am stärksten Gefährdeten Vorrang einräumen und die Integrität der Schöpfung achten" (Ziffer 11 des Aufrufes).

Dieses Verständnis eines umfassenden Friedens entfaltet der ÖRK auf biblischer Grundlage in vier sehr praktischen Kontexten: »» für Frieden in der Gemeinschaft - damit alle Menschen frei von Angst leben können,

für Frieden mit der Erde - damit Leben erhalten bleibt,

für Frieden in der Wirtschaft - damit alle in Würde leben können,

für Frieden unter den Völkern - damit Menschenleben geschützt werden.

Diese Dimensionen des gerechten Friedens öffnen den Zugang zu gesellschaftlich und politisch bedeutsamen Themen wie Revision des Lebensstiles, Klima und Gerechtigkeit, Schutz bedrohter Völker (responsibility to protect) oder zur Debatte über den Einsatz von rechtserhaltender militärischer Gewalt.Das in dem Band erläuterte Verständnis vom gerechten Frieden ist das Ergebnis eines jahrelangen Beratungsprozess fast aller Konfessionsfamilien.

In Deutschland haben die Bischöfe mit ihrem Wort "Gerechter Friede" (2000) und die Evangelische Kirche in Deutschland mit ihrer Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" (2007) für das neue Verständnis von Frieden geworben. Der ÖRK stellt es mit dem Motto "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden" in den Mittelpunkt seiner 10. Vollversammlung in Busan / Südkorea 2013.

Das Handbuch von Raiserund Schmitthenner erscheint im Sommer 2013 in zweiter Auflage. Die deutschen Übersetzungen aus dem Englischen wurden an kritischen Stellen überarbeitet. Im Anhang haben die Herausgeber wichtige Dokumente zur Entwicklung der ökumenischen Debatte über den gerechten Frieden abgedruckt. Das Begleitdokument zum gerechten Frieden, das Raiser und Schmitthenner in deutscher Sprache veröffentlichen, ist unter www. http://www.oikoumene. org in englischer Sprache nachzulesen.

Dr. Mathews George Chunakara, Direktor der Commission of the Churches on International Affairs (CCIA) des ÖRK und Leiter der Planungsgruppe für die IöFK, komplettiert die Arbeit von Raiser und Schmitthenner mit einem Bericht über den Ablauf, den Inhalt und die Nacharbeit zur IöFK in Kingston / Jamaika in dem Berichtsband "Building Peace on Earth".

Wenn man mit Ernst Lange die Ökumene als den "Ernstfall des Glaubens" versteht, ist die Lektüre des Handbuches von Raiser und Schmitthenner und des Berichtes von Chunakara gegen offensichtliche Ermüdungserscheinungen der ökumenischen Bewegung sehr zu empfehlen.

Konrad Raiser, Ulrich Schmitthenner (Hg.) (2012) Gerechter Friede. Ein ökumenischer Aufruf zum gerechten Frieden. Begleitdokument des Ökumenischen Rates der Kirchen. Mit Anhang. Münster: LIT-Verlag, ISBN 978-3643115591, 251 S., 24,90 EUR

Chunakara, Mathews George (Hg.) (2013) Building Peace on Earth. Report of the International Ecumenical Peace Convocation, World Council of Churches Publications, Genf, ISBN 978-2825415917, 288 S., ca. 25 EUR

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Hintergrund
Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.