Streitfragen

Die Friedensbewegung und gewaltfreie Aufstände: Alles nur gekauft?

von Christine Schweitzer

Eine in jüngster Zeit oft zitierte Studie von Erica Chenoweth und Maria Stephan hat in einem historischen Vergleich von 216 bewaffneten und 107 unbewaffneten Aufständen zwischen 1900 und 2006 herausgefunden, dass gewaltfreie Aufstände zweimal so häufig erfolgreich waren als ihre bewaffneten Counterparts; nur eine von vier endete in einer totalen Niederlage. (1)

Seit den 1970er Jahren hat die Zahl solcher Aufstände gegen totalitäre oder korrupte Regimes stark zugenommen, beginnend mit den Umstürzen in Griechenland (1974), Spanien (1975), Portugal (1976), Iran (1977-79) und den Philippinen (1986). In den späten 1980er Jahren kam dann der Umbruch in Osteuropa, mit dem Aufstand in der DDR und den anderen osteuropäischen Ländern und kurz danach den „singenden Revolutionen“ in den drei baltischen Ländern, die sich von Russland abspalteten. In den 2000er Jahren waren vor allem die Aufstände in Serbien 2000 und einigen post-sowjetischen Ländern (Georgien 2003, Ukraine 2004, Kirgisien 2005) bemerkenswert. 2011 erreichte die Welle den arabischen Raum, und auch in den letzten beiden Jahren gab es mehrere neue Aufstände, z.B. in der Türkei 2013, der Ukraine 2013-14 und Hongkong 2014. Auch die Massenproteste in Mexiko im Herbst 2014 nahmen teilweise schon aufstandsartige Züge an.

Manche aus der Friedensbewegung beäugen diese Aufstände mit Misstrauen, zumal einige der gestürzten Regierungen keine Freunde des Westens, speziell der USA, gewesen sind. (Andere allerdings waren es – zum Beispiel das Regime Mubarak in Ägypten.) Es ist dann ein kurzer Schritt von der Wahrnehmung, dass ein Umsturz der EU und den USA willkommen ist, zu der Folgerung, dass er von ihnen betrieben und gesteuert wurde. Finanzielle und politische Unterstützung der Aufständischen durch den Westen, zumeist durch regierungsnahe staatliche und private Stiftungen, wie er in vielen Fällen vorgekommen ist, scheint dann die Beweiskette zu schließen. (2) Man mag dann auch noch auf all die Fälle hinweisen, in denen die USA offen oder klandestin Regierungen in der Vergangenheit gestürzt haben – die bekanntesten Fälle sind sicher der Umsturz 1973 in Chile, bei dem die sozialistische Regierung von Präsident Allende durch einen US-treuen Diktator, Pinochet, abgelöst wurde, und der Krieg gegen den Irak 2003 mit dem Ziel, Saddam Hussein zu stürzen.

Aber ist diese Beweiskette wirklich so schlüssig? Eigentlich sollten die Älteren unter uns es aus eigener Erfahrung erinnern: Die Friedensbewegung der 1980er Jahre stand genauso unter Verdacht, vom Gegner finanziert und gesteuert zu sein. Nur dass es in diesem Falle nicht die USA, sondern die Warschauer Pakt Staaten, speziell die DDR waren, denen der Vorwurf gemacht wurde. Auch hier war die Gleichung dieselbe: Politisches Interesse + Geld = Steuerung durch den Gegner. Und dieser hat versucht zu steuern, kein Zweifel. Die DKP und ihre Vorfeldorganisationen (DFU, Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ), Pahl-Rugenstein-Verlag u.a. mehr) waren in der Friedensbewegung aktiv und besetzten im Rahmen des ausgeprägten Spektrendenkens im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung wichtige Führungspositionen. Dass ihre Mittel aus der DDR kamen, ist nach 1989 schlüssig nachgewiesen worden, und mit Ausnahme der DKP selbst haben sich die anderen Organisationen schnell aufgelöst bzw. mussten wie Pahl-Rugenstein Insolvenz anmelden. Und trotzdem war die Friedensbewegung der 1980er kein Produkt der DDR. Die Mehrzahl aller Aktiven kamen aus anderen Zusammenhängen – von Kirchen über unabhängig-linksradikale-anarchistische Gruppen bis hin zu Gewerkschaften, SPD (wobei letztere beide mit KommunistInnen in ihren Reihen zu tun hatten) und einfachen Bürgerinnen und Bürgern, darunter auch etlichen CDU-WählerInnen. In den meisten BürgerInneninitiativen, Stadtteilplenata, etablierten Friedensorganisationen wie der DFG-VK und auch im erwähnten Koordinierungsausschuss wurde heftig gestritten. Zum Beispiel darüber, ob man die östlichen Mittelstreckenraketen (SS 20) ebenso verurteilen müsse wie die westlichen „Nachrüstungs“pläne, oder ob man für sie nicht Verständnis haben sollte, denn schließlich befände sich die Sowjetunion in der Defensive ... . Die Friedensbewegung hätte es auch ohne die finanzielle Unterstützung aus der DDR gegeben. Diese Unterstützung war hilfreich – gerade die Bücher aus dem Pahl-Rugenstein-Verlag hat wohl fast jede/r sehr geschätzt, und ich vermute, dass auch die Großdemos von der Hilfe des KoFAZ-Spektrums profitierten. Aber das macht aus der Friedensbewegung jener Zeit noch keine von der DDR ferngelenkte Bewegung und delegitimiert ihren Protest und ihre Anliegen nicht.

Das gleiche gilt für die gewaltfreien Aufstände der jüngeren Zeit. Wer einzelne dieser Bewegungen und die in ihnen Aktiven persönlich kennt, wird die Parallele zur Friedensbewegung der 1980er Jahre deutlich sehen. Finanzielle Hilfe aus dem Ausland ist sehr nützlich, auch Seminare und Trainings werden gerne wahrgenommen, zumal wenn sie für die Teilnehmenden kostenlos sind, aber daraus folgt nicht, dass der Geldgeber das Steuer in der Hand hat. Weder in Serbien, wo schon seit 1990 immer wieder Massenproteste besonders von Seiten der städtischen Jugend gegen Milosevic stattfanden, noch in der Ukraine 2013/2014 waren die Aufstände ein Produkt des Westens. Sie hatten ihre Ursache darin, dass viele BürgerInnen es schlicht satt hatten, was ihre PolitikerInnen und die herrschende Schicht trieben. Genauso wie wir vor fünfunddreißig Jahren.

 

Anmerkungen
1 Chenoweth, Erica & Stephan, Maria J. (2011) Why Civil Resistance Works. The Strategic Logic of Nonviolent Conflict. New York: Colombia University Press

Eine deutsche Zusammenfassung dieser Studien ist hier erschienen: Schweitzer, Christine (2015) Soziale Verteidigung und Gewaltfreier Aufstand Reloaded. Neue Einblicke in zivilen Widerstand. Hintergrund- und Diskussionspapier Nr. 41, Minden: Bund für Soziale Verteidigung

3 In den USA sind dies vor allem die vom US-Kongress finanzierte National Endowment for Democracy, den Demokraten nahesehende National Democratic Institute (NDI), das International Republican Institute (IRI) und die Open Society Foundations des Multimillionärs George Soros. In Deutschland spielen die parteinahen Stiftungen eine ähnliche Rolle, wobei diese noch enger an eine Partei gebunden sind als ihre amerikanischen Counterparts.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.