Die GUS-Erweiterung der NATO

von Bernhard Clasen

Die NATO stellt die Weichen für die Aufnahme neuer Mitglieder. Auf dem im November 2006 in Riga, der Hauptstadt Lettlands, anstehenden Gipfel sind Signale an Staaten zu erwarten, die gerne Mitglied werden möchten. Ende März 2004 waren Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien der NATO beigetreten. Heute klopfen Kroatien, Mazedonien, Albanien, aber auch die GUS-Staaten Georgien und die Ukraine an die Tür.

Alle Staaten des „Warschauer Paktes" und die baltischen Staaten sind inzwischen in der NATO. Es fehlen nur noch die Republiken der GUS. Im Folgenden soll ein Überblick über den Stand der Bemühungen gegeben werden, GUS-Staaten in den Einflussbereich der NATO zubringen.

Ukraine
Ende Mai 2006 war ein Kriegsschiff der US-Marine im Hafen von Feodossija, gerade einmal 140 Kilometer von Sewastopel, dem Stationierungsort und Herzen der russischen Schwarzmeerflotte entfernt, gelandet. 250 US-Marines sollten die für Herbst geplanten NATO-Manöver vorbereiten. Doch man traf keine Bevölkerung an, die sich über die Ankunft dieser Gäste gefreut hätte. Wütende Bürger blockierten tagelang den Zugang zur An~ legestelle. Und als sich die Soldaten im Sanatorium „Druschba" (Freundschaft) einquartiert hatten, begrüßte sie das Personal mit einem Streik. Alles andere als freundschaftlich behandelte man die Gäste, Strom und Wasser wurden abgestellt, für die Marines blieb die Küche kalt. Frustriert mussten sich die Amerikaner eine andere Unterkunft suchen. Aus Protest erklärte das Parlament der Krim wenige Tage später die Krim zum „NATO-freien Territorium". Am 11. Juni zogen die NATO-Soldaten ab, nach Deutschland.
Inzwischen ist in der Ukraine die sog. „orangene" Koalition geplatzt. Die neue ukrainische Regierung scheint einen Eintritt in die NATO nicht zu wollen.

Georgien
Wohl in keiner Republik der ehemaligen Sowjetunion ist in der Bevölkerung der Wunsch nach NATO-Mitgliedschaft so eindeutig wie in Georgien. Georgien sieht sich als stabilen Verbündeten von USA und NATO. 850 georgische Soldaten beteiligen sich fest an der Seite der USA an der Besetzung des Irak.
Selbst in der 0pposition ist die Mehrheit für den NATO-Beitritt. Ende Mai 2006 hatten zwei Oppositionsparteien im georgischen Parlament, die Republikaner und die Konservativen, gemeinsam die Regierung aufgefordert, nicht von ihrem Kurs zu
einem Beitritt zur NATO abzugehen2• Gleichzeitig plant Georgien aus der GUS auszutreten. Und ebenfalls Ende Mai hatte die Parlamentarische Versammlung der NATO in Paris die nächste Stufe zur Integration Georgiens in die NATO eingeläutet. In einer Resolution forderte die Versammlung die NATO-Mitgliedsländer auf, einen intensiven Dialog mit Georgien zu beginnen. Dies stellte einen weiteren, Schritt der georgischen Regierung auf dem Weg zu einem NATO-Beitritt dar. In der Deklaration forderte die Versammlung die Mitgliedsländer der NATO auf, technische Unterstützung zu leisten, um die Integration Georgiens in die Strukturen der NATO zu beschleunigen.
In der Nähe von Gori hat Georgien mit dem Bau einer 15 Millionen Euro teuren Militärbasis begonnen. Die Basis soll nach NATO-Standards eingerichtet werden. Eine weitere Basis in Senaki ist bereits nach NATO-Standards fertiggestellt.
Die Situation in Georgien ist derzeit so angespannt, dass ein Krieg zwischen Georgien und den abtrünnigen Republiken, Abchasien und Südossetien, nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Dies käme einer direkten militärischen Konfrontation mit Russland gleich. Das georgische Parlament hatte im Juli die eigene Regierung aufgefordert, die russischen Truppen, die auf der Grundlage von Waffenstillstandsabkommen über zehn Jahre in Abchasien und Südossetien stationiert sind, zum Abzug aufzufordern.

Die Republik Moldau
Die moldawische Regierung ist an einer Annäherung an das westliche Militärbündnis interessiert. Man hat eine kleine Gruppe Von 11 Soldaten in den Irak entsandt, die dort die US-Militärs unterstützen sollen. Am 30. Mai 2006 wurde am Flughafen von Merkulescht eine Kaserne fertig gestellt, die westlichen Standards entspricht, und als Unterkunft für Soldaten der westlichen Allianz gedacht ist. Das Parlament hat am 18. Mai 2006 in großer Eile ein Gesetz verabschiedet, das Angehörige der NATO-Truppen von der Visa-Pflicht befreit".
Im Juni 2006 hatten Georgij Sima von der Partei „Union der Arbeit" und Jewgenij Scholar von der Initiativ-Gruppe „Anti NATO" die Gründung eines Komitees angeregt, das die Unabhängigkeit der Republik Moldau schützen und sich gegen eine Zusammenarbeit mit der NATO aussprechen soll.

Aserbaidschan
Im Städtchen Gabala befindet sich eine Radaranlage, die noch bis 2007 von der russischen Armee genutzt werden darf. Diese Anlage dient der Beobachtung Mittelasiens und Irans und beschäftigt 2000 Soldaten und Fachleute. Es ist davon auszugehen, dass Aserbaidschan den Vertrag nicht verlängern wird, die russische Armee also 2007 das Land am Kaspischen Meer verlassen muss.
Unterdessen bauen die Amerikaner an einer Radarstation im Süden Aserbaidschans in der Region Astara, an der Grenze zu Iran.
Mit einer riesigen Werbekampagne wirbt die NATO in der aserbaidschanischen Bevölkerung um Ansehen. Der stellvertretende Parlamentssprecher, Ziafet Askerow, berichtet stolz, dass die NATO allein 2005 insgesamt 250 verschiedene Veranstaltungen in Aserbaidschan durchgeführt habe.
Das ölreiche Aserbaidschan erlebt derzeit einen riesigen Boom. Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 verfolgten verschiedene US-Regierungen beharrlich das Ziel, die rohstoffreichen Regionen im Kaukasus und in· Zentralasien mit den Weltmärkten zu verbinden - und sich gleichzeitig aus der Gefangenschaft des russischen Pipelinemonopols zu lösen. Der damalige US-Präsident Bill Clinton ließ es sich nicht nehmen, 1994 den Spatenstich für den Bau der durch Aserbaidschan führenden Baku-Tiftis-Ceyhun-Pipeline zu setzen.
In der Folge steigt nicht nur der Haushalt, sondern auch der Militärhaushalt. Der Premierminister von Aserbaidschan, Artur Rasizade, geht davon aus, dass das Verteidigungsbudget deslandes 2006 doppelt so hoch sein wird wie 2005.
Derzeit vermittelt die OSZE im Rahmen der „Minsk-Gruppe" im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt um das Gebiet Naqornij Karabach. In letzter Zeit wird in Aserbaidschan verstärkt gefordert, der „Minsk-Gruppe“ das Mandat zu entziehen und die NATO in die Vermittlung einzube-ziehen. Mittelfristig könnte dies auch die Stationierung von NATO-Streitkräften im Konfliktgebiet bedeuten.
Zentralasien
Beim NATO-Gipfel im Juni 2004 in Istanbul hatte das Militärbündnis beschlossen, seine Beziehungen mit Zentralasien zu intensivieren. Im September 2004 wurde ein Sonderbeauftragter für die Region ernannt: NATO-Generalssekretär
Jaap de Hoop Scheffer reiste selbst im Oktober 2004 in die fünf zentralasiatischen Republiken Kirgisien, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan. Diese Staaten sind gewiss keine Speerspitzen in Sachen Demokratie. Während die NATO 1999 in Jugoslawien Menschenrechtsverletzungen mit Bombenterror ahndete, finden NATO-Vertreter für Diktatoren in Mittelasien nicht einmal kritische Worte.
Seit einiger Zeit weht den USA hier der Wind ins Gesicht. Kirgisien und Tadschikistan möchten am liebsten die nach 2001 für den Krieg gegen die Taliban in Afghanistan aufgebauten amerikanischen Militärbasen wieder loswerden. Und nachdem das diktatorische Regime in Usbekistan die US-Truppen des Landes verwiesen hat, halten nur noch die deutschen Bundeswehrtruppen dem usbekischen .Staatsterroristen Islam Karimow im Kampf gegen den nichtstaatlichen Terror in Afghanistan die Stange.

Unsere Bündnispartner in der GUS?
Es ist beängstigend beobachten zu müssen, wie zielstrebig die NATO auf eine Weltherrschaft hinarbeitet. Doch gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass die Gegner der NATO in den Ländern der GUS keine potentiellen Bündnispartner einer auf Emanzipation zielenden Friedensbewegung sind. So erfreulich der Widerstand gegen die NATO ist, darf er nicht als Ausdruck eines gewachsenen Pazifismus in den GUS-Republiken verstanden werden. Dies zeigen auch einige Akteure deutlich. Wladimir Schirinowski, russischer Nationalist und Chauvinist, Mitglieder der Russischen Kommunistischen Partei und Kasaken kämpfen nicht nurqegen die Ausbreitung der NATO. Sie sind es auch, die von einer starken Großmacht Russland träumen, sexuelle Minderheiten diskriminieren, eine kriegerische Haltung im Tschetschenien-Krieg und offen rassistische Positionen einnehmen. ,,Keine NATO auf slawischem Boden", Unser Bruder ist Russland, nicht die USA waren denn auch häufige Losungen der Anti-NATO-Demonstrationen auf der Krim.
Und das offizielle Russland nutzt ethnische Konflikte in NATO-freundlichen Staaten als Druckmittel. Über 80 % der Bürger der nicht anerkannten separatistischen Republiken Transnistrien (Moldau), Südossetien und Abchasien (beide zu Georgien gehörend) hatten die russische Staatsbürgerschaft erhalten. Wer weiß, wie schwer es für Bürger der verschiedensten GUS-Republiken ist, die russische Staatsbürgerschaft zu erhalten, mag sich über diese· unerwartete · Großzügigkeit wundern. Doch sie passt in die russische Doktrin, jederzeit in Gebieten militärisch intervenieren zu können, in denen das Leben der eigenen Staatsbürger gefährdet ist.

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