Die Rüstungsexportberichte der Kirchen

Die Mühen der Kritik

von Bernhard Moltmann

Lange Zeit hat sich der Streit über das Pro und Contra von Rüstungsexporten auf einen überschaubaren Kreis von Fachleuten in Politik und Wissenschaft sowie in Nichtregierungsorganisationen beschränkt. Geheimhaltungsvorschriften und das Pochen der Exekutive, hier gegenüber Parlament und Öffentlichkeit in der Vorhand zu sein, förderten die Exklusivität dieses Diskurses. Nur in Fällen, in denen Rüstungsgeschäfte in den Rang eines politischen Skandals hineinwuchsen, wunderte sich ein aufgeschrecktes Publikum, warum und wie Rüstungsgüter deutscher Herkunft an Orte und in Hände geraten waren, wo sie nach Gesetz und politischem Selbstverständnis nicht hätten sein sollen.

Das Beschweigen der deutschen Rüstungsexportpolitik ist mit einem Ansteigen der Rüstungsausfuhren einhergegangen. Seit vielen Jahren bestätigen das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI und der US-Congressional Resarch Service die herausragende Position von Deutschland nach den USA und Russland auf dem Weltrüstungsmarkt.

Dabei fallen folgende Spezifika der deutschen Rüstungstransfers ins Gewicht: Ein großer Teil der Rüstungsausfuhren (jährlich mehr als 50 Prozent) gehen an wirtschaftliche und militärische Kooperationspartner. Bei Drittstaaten sind es vor allem solche, deren Finanzkraft die Anschaffung kostenaufwändiger Waffensysteme deutscher Herkunft zulässt oder die für ihre Rüstung überproportional hohe Etatmittel aufwenden. Hinzu kommen als Abnehmer Staaten, die am Transfer von Technologie und Fertigungsanlagen interessiert sind, um Rüstungsgüter mit deutschem Design in eigener Regie herzustellen. Arme Länder können sich deutsche Rüstungsgüter nicht leisten.

Bei alledem profitieren deutsche Hersteller von ihrer Kompetenz, Nischenprodukte und Waffensysteme in modularer Bauweise anzubieten, die sich den Bedürfnissen der Abnehmer anpassen lassen (Kriegsschiffsbau). Jenseits dessen sind gepanzerte Fahrzeuge und schwere Artillerie Trümpfe deutscher Anbieter, ergänzt durch Lieferungen von Telekommunikation, Elektronik und Überwachungsanlagen. Eine weitere deutsche Stärke liegt darin, eine Vielzahl von Komponenten liefern zu können. Sie werden von Empfängerländern ihrerseits in Rüstungsgüter integriert. Diese mögen für den eigenen Bedarf oder aber für den Reexport bestimmt sein. Ein wichtiges Segment ist hier das Angebot von Dieselmotoren und Antriebsaggregaten für Panzer und Schiffe.

Von den internationalen Statistiken weitgehend unbemerkt expandieren ferner die deutschen Ausfuhren von kleinen und leichten Waffen sowie von Munition und Fertigungsanlagen. Der Umbau der Bundeswehr setzt schließlich überschüssige Waffen und Rüstungsgüter frei. Sie finden nicht nur bei Allianzpartnern Absatz, sondern auch in Drittstaaten.

Im Vergleich zu den gesamten Exporten der deutschen Wirtschaft ist der Anteil von Rüstungsausfuhren jedoch extrem gering: Sein Wert liegt unter einem Prozent. Circa 80.000 Menschen sind in der Rüstungsproduktion beschäftigt.

Das Engagement der GKKE
Für Christen und Kirchen ist der Transfer von Mitteln der Gewalt nach den gleichen Kriterien zu beurteilen wie die Androhung oder Anwendung von Gewalt. Gewalt aber ist eines der größten Übel für Menschen und ihr Zusammenleben. Immer wieder  haben die Kirchen diese Einschätzung als zentralen Baustein in ihre Friedensethik eingefügt.

So wundert es nicht, dass sich ein ökumenischer Arbeitsverbund wie die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) dieses Themas angenommen hat. Getragen von der Deutschen Kommission Justitia et Pax und vom Evangelischen Entwicklungsdienst sucht die GKKE das Gespräch über Fragen der Einen Welt und der Entwicklungszusammenarbeit mit Parlament, Regierung und gesellschaftlichen Gruppen. Neben der Rüstungsexportpolitik stehen derzeit die Probleme der Kohärenz der Entwicklungspolitik, der Dialog zwischen Pharmaindustrie und kirchlichen Entwicklungsagenturen und die Rolle der Zivilgesellschaft in der Entwicklungspolitik auf der Agenda der GKKE.

Angesichts der Kontroversen in diesen Themen setzt die GKKE in ihren Arbeitsformen die Pluralität der Positionen in ein Verhältnis zur gebotenen ethischen Urteilsbildung. Dabei sind die Normen in konkreten Fällen und bei Zielkonflikten zu prüfen. Das offene Format der GKKE-Arbeit erlaubt, gleichsam in einer Laborkonstellation alternative Einschätzungen gegenüber vorherrschenden Festlegungen zu testen. Wichtig ist der GKKE, aus dem Reichtum an Erfahrungen der kirchlichen Entwicklungsarbeit zu schöpfen und Stimmen von Partnern aus den armen und ärmsten Ländern dieser Welt zu Gehör zu bringen.

Die Rüstungsexportpolitik gehört im Kontext der GKKE seit ihrer Gründung im Jahr 1973 zu ihren „klassischen“ Themen. Im Rahmen ihres Dialogprogramms in den 1980er und 1990er Jahren war sie eines der Schwerpunkte. Seit 1997 legt die GKKE jährlich einen eigenen Rüstungsexportbericht vor. Er stellt das verfügbare Wissen über die deutschen Rüstungsausfuhren des Vorjahres zusammen und bewertet sie im Zusammenhang der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Das Vorhaben soll dem öffentlichen Dialog über diesen Politikgegenstand dienen. Außerdem richtet es sich mit seinen Informationen und Argumentationsmustern an die Meinungsbildung im kirchlichen Raum. Der Bericht wird von Fachleuten wissenschaftlicher Einrichtungen, der kirchlichen Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit sowie aus Nichtregierungsorganisationen erstellt.

Kriterien zur ethischen Beurteilung von Rüstungsexporten
Für ihre Beurteilung der Weitergabe von Kriegswaffen, Rüstungsgütern sowie sonstigen militärisch relevanten Leistungen legt die GKKE folgende Kriterien zugrunde: Zum einen dürfen Rüstungstransfers nicht gewalteskalierendes Handeln von Staaten nach Innen wie nach Außen begünstigen. Sie haben dem Bedürfnis der Menschen nach Schutz vor Gewalt zu dienen. Dies schließt die Prüfung ein, ob der Bedarf an Sicherheit auch auf anderem Wege gewährleistet werden kann. Zum anderen haben Rüstungstransfers im Einklang mit den Erfordernissen des guten Regierens zu stehen. Gutes Regieren manifestiert sich in rechtsstaatlicher und effektiver Regierungs- und Verwaltungsführung mit gesellschaftlicher Legitimation. Schließlich ist zu begründen, dass die Rüstungsexporte den Vorgaben von Frieden und Entwicklung entsprechen. Besonders bei Genehmigungen von Rüstungsausfuhren in Konfliktregionen und in Staaten, die öffentliche Entwicklungshilfe erhalten, liegt die Begründungspflicht bei deren Befürwortern.

Die Urteilsbildung erfolgt unter folgenden Voraussetzungen:
1. Sie wird zunächst danach fragen müssen, welche Bindungskraft das Normengefüge für die Praxis hat. Für die deutsche Rüstungsexportpolitik gibt es zwar ein ausgefeiltes System normierender Vorgaben (Gesetze, Verordnungen, Politische Grundsätze, ein EU-weiter Gemeinsamer Standpunkt mit Verhaltenskodex zu Rüstungsausfuhren). Jedoch erweckt der Alltag der Genehmigungsverfahren den Eindruck, dass sie sich nicht verlässlich mit jenen decken. In zunehmender Zahl werden als „kritisch“ zu bewertende Rüstungsausfuhren genehmigt. 2. Der Horizont der Beurteilung erweitert sich infolge der grenzüberschreitenden Kooperation von Rüstungsherstellern bei der Entwicklung und Herstellung sowie dem Vertrieb von Rüstungsgütern. Dieser Kontext entwertet das Festhalten an Vorbehalten der nationalen Souveränität. 3. Es erweist sich als unzulänglich, Rüstungstransfers als außenwirtschaftliche Angelegenheit oder unter arbeitsplatzpolitischen Aspekten zu behandeln. Vielmehr untermauert der Zusammenhang zwischen Rüstungsdynamik und Rüstungshandel die Forderung, Rüstungstransfers in die Praxis von Rüstungskontrolle zu integrieren. Das Wissen um die negativen Folgen von Rüstungsgeschäften für Frieden und Entwicklung verlangt nach einer restriktiven Rüstungsexportpolitik. 4. Es gibt keine einfachen Urteile über Rüstungstransfers. So fehlen in vielen Konfliktregionen in Afrika, Asien oder Lateinamerika gesellschaftlich legitimierte Sicherheitsstrukturen. Herstellung und Wahrung des staatlichen Gewaltmonopols sind jedoch Voraussetzung, um Sicherheit und Teilhabe der Menschen an öffentlichen Gütern zu gewährleisten. Dies kann Hilfen beim Aufbau von Polizei und Sicherheitskräften als legitimen Inhabern staatlicher Gewalt erfordern, unter Umständen auch die Lieferung von Waffen und Ausrüstung. Dies gilt ebenfalls für die Weitergabe von Waffen und militärischer Ausrüstung an internationale Friedensmissionen.

Ein paradoxes Fazit
Eine Bilanz der langjährigen Beschäftigung der GKKE mit der deutschen Rüstungsexportpolitik führt zum paradoxen Fazit, dass die deutschen Rüstungsexporte brummen und kritische Stimmen wie die der GKKE davon profitieren. Das traditionelle Beschweigen der Rüstungsexportpolitik ist momentan durchbrochen. Angesichts kontroverser Waffengeschäfte empören sich Politik und Öffentlichkeit; Sachkompetenz jenseits des abgeschirmten Regierungswissen ist gefragt; ethische Standards, wie sie die Kirchen artikulieren, geben Maßstäbe zur Beurteilung der politischen Praxis vor – kurz: die GKKE findet Resonanz. Die Anliegen der GKKE, die Transparenz in der Rüstungsexportpolitik zu erhöhen und sich für eine Kontrolle der Rüstungsexportpolitik durch den Bundestag einzusetzen, sind in Politik und Öffentlichkeit angekommen.

Doch ist kein Anlass zur Zufriedenheit gegeben. Schon nach 1999 hatte die Hoffnung getrogen, das eingeführte offizielle Berichtswesen über die deutsche Rüstungsexportpolitik würde eine kritische Begleitung des Geschehens überflüssig machen. Heute steht die Rüstungsexportpolitik vor einschneidenden Veränderungen. Dazu zählt zunächst die Umstrukturierung der deutschen Rüstungsindustrie. Angesichts eines verringerten Auftragsvolumens für die Bundeswehr drängen Rüstungshersteller auf Erleichterungen bei den Genehmigungen von Rüstungstransfers, um ihre Kapazitäten auszulasten. Gleichzeitig erhöht sich der Konkurrenzdruck anderer Anbieter auf dem Weltrüstungsmarkt, parallel zum Trend, Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Rüstungsgütern zu transnationalisieren. Infolgedessen relativieren sich nationalstaatliche Anstrengungen, Rüstungstransfers restriktiv zu handhaben. Es stellt sich die Frage, welcher Preis an Transparenz, an Respekt vor Normen und historischer Verpflichtung, an parlamentarischer Beteiligung und öffentlicher Begleitung dafür zu zahlen ist. Auch ist ein Wandel in den Begründungen für Rüstungsausfuhren in Drittstaaten zu identifizieren. So dient der Verweis auf die Stabilitätsfunktion von Empfängerländern deutscher Rüstungslieferung als Legitimation für die Genehmigung von Rüstungsexporten in Staaten, deren innere Verhältnisse ansonsten nicht den normativen Vorgaben der Rüstungsexportpolitik genügen.

So werden die GKKE und andere kritische Begleiter der Rüstungsexportpolitik damit rechnen müssen, dass sich die Problematik nicht erschöpft hat.

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Bernhard Moltmann, Gastforscher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, ist seit 1996 Vorsitzender der Fachgruppe Rüstungsexporte der GKKE. Der Text stützt sich auf seine langjährige Mitarbeit in der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexport. Die jährlichen GKKE-Rüstungsexportberichte finden sich unter: www.GKKE.org.