Die Perspektiven von Friedensdienst

von Ulrich Frey
Schwerpunkt
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Friedensdienste haben sich aus einfachen Anfängen seit Beginn des 20. Jahrhunderts nach den früheren Vorboten der Historischen Friedenskirchen, der "Friedensgesellschaften" und "Peace Societies" sowie in Deutschland der "Deutschen Friedensgesellschaft" (DFG) sehr vielfältig zu einer gesellschaftlich und politisch wirksamen Institution "Friedensdienst" entwickelt bis hin zu den neuen, professionell arbeitenden Friedensfachdiensten im Rahmen der zivilen Konfliktbearbeitung.1 Das Thema "Die Perspektiven von Friedensdienst" ließe sich deshalb anhand der Ideen- und Entwicklungsgeschichte der Träger und Trägergruppen von Friedensdienst entfalten. Wegen der gebotenen Kürze ziehe ich es vor, ergebnisorientiert mit der Schlüsselfrage zu arbeiten: "Welche friedenspolitischen Wirkungen soll die Institution Friedensdienst als "agent of change" eigentlich ausüben?"

Die friedenspolitischen Perspektiven von Friedensdienst orientieren sich an den Konflikten, die in Zukunft zu bewältigen sind, und an den gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen die handelnden Friedensdienste hervorgehen. Diese aus der Mitte der Gesellschaft entstehenden Akteure sollen steuern, überzeugen und um Mehrheiten kämpfen können. Friedensdienste können die Funktionen eines nicht-parteiischen Dritten oder die einer Partei in einem im weiteren Sinne sozialen Konflikt ausüben. Friedensdienste mischen sich nicht in Konflikte ein, die ausschließlich individuelle Bedeutung haben. Mit Ulrike Wahsmut verstehe ich unter einem sozialen Konflikt "einen sozialen Tatbestand, bei dem mindestens zwei Parteien (Einzelpersonen, Gruppen, Staaten) beteiligt sind, die - unterschiedliche, vom Ausgangspunkt her unvereinbare Ziele verfolgen oder das gleiche Ziel anstreben, das aber nur eine Partei erreichen kann, und/oder - unterschiedliche, vom Ausgangspunkt her unvereinbare Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles anwenden wollen"2. Ich setze auch voraus, dass die Entwicklung von Frieden eine "realisierbare Utopie" (Georg Picht)3 ist, in der "kritische Vernunft" und "konstruktive Vernunft" uns gemeinsam dazu befähigen, aus der vorfindlichen chaotischen Wirklichkeit die realen Möglichkeiten des Handelns herauszufiltern.
Das dahinter stehende Menschenbild ist das jemandes, der/die lernen und deshalb sich und andere und seine gesellschaftliche und politische Umgebung verändern und erneuern kann, weil er hoffen und lieben kann. Dieses Menschenbild ist in unserer Kultur biblisch geprägt und säkular abgewandelt vorhanden. Friedensdienste in den Kirchen und außerhalb verbreiten es. In anderen Kulturen finden wir es in anderem Kleide. Deshalb kann Friedensdienst nur ein Prozess sein, in dessen Verlauf Konflikte, wie in einem Mediationsverfahren, transformiert und handhabbar gemacht werden. Wer Frieden schaffen will, muss aus den alltäglichen mehrdeutigen Strukturen und Situationen heraus konstruktiv auf Konflikte einwirken können. So haben es z.B. die sozialen Bewegungen für die Eine Welt, die gegen die Nutzung der Kernkraft als Energiequelle und die Friedensbewegung geschafft, in langwierigen Auseinandersetzungen in der Gesellschaft und in der verfassten Politik weitreichende Veränderungen von Bewusstsein und auch handfeste politische Ergebnisse zu erreichen. So erwerben z.B. die Fachkräfte für zivile Konfliktbearbeitung im Rahmen ihrer Qualifizierung als Friedensfachkräfte persönlichkeitsbezogene Kompetenzen (u.a. eigenes Konfliktverhalten und Erfahrungen im Umgang mit Gewalt oder die Nutzung von Kraftquellen) oder gruppen- und teambezogene Kompetenzen (u.a. Kooperationsverfahren, Gesprächsführung und Moderation, Konsensfindung) außer den anderen Schlüsselkompetenzen wie Konfliktanalyse, Konfliktbearbeitung, Kommunikation und Interaktion, pädagogische Kompetenzen.4

Was sind nun Aufgabenfelder einer "realisierbaren Utopie", in denen Friedensdienste ihre Vorhaben plazieren können? Ich versuche, sie nach dem Stand der Debatte über die Zivilgesellschaft in einem "Hexagon des Friedensdienstes"5 übersichtlich darzustellen.

Menschenrechte, Zivile Kultur, Gewaltfreiheit, B ewahrung der Schöpfung, Soziale Gerechtigkeit, Recht

In diesem Sechseck werden Parameter zur Benennung von Aufgabenfeldern der Friedensdienste zueinander in Beziehung gesetzt. Dies ermöglicht die Navigation bei der Bestimmung von konkreten Vorhaben in der chronisch unübersichtlichen Wirklichkeit, indem der Standort des eigenen Projektes und seine Zielrichtungen im Gelände von Gesellschaft und verfasster Politik festgemacht werden. Konkret hilft dies, z.B. Partner, Programme, die Qualifizierung von Fachkräften, relevante Gremien für die Durchführung und andere Faktoren des Vorhabens im Zusammenhang zu sehen und auf ihre inhaltliche Kohärenz zu prüfen. Einzelne Aufgaben und Projekte können in diesem Aufsatz nicht vorgestellt werden, weil die potentiellen Trägerschaften und die "Packenden" in den sechs Aufgabenbereichen zu zahlreich sind. Auch kann die Auswahl der obigen Parameter nicht abschließend sein. Genannt wurden diejenigen, die aus heutiger Sicht die zukünftige friedenspolitische Tagesordnung beherrschen werden. Sie sollen beispielhaft erläutert werden:
 

Förderung der Gewaltfreiheit: Dazu gehören z.B. der Aufbau von Förderstrukturen für gewaltfrei orientierte Vorhaben im Inland und im Ausland einschließlich der Auswertung im Rahmen der zivilen Konfliktbearbeitung (Ziviler Friedensdienst), die Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols in Korrespondenz mit der Entwicklung von Demokratie gegen Fehlentwicklungen z.B. bei der Einschränkung von Grundrechten und die Propagierung einer strikt auf Gewaltprävention ausgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik.

Förderung der Menschenrechte: Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit durch Unterstützung, Begleitung und Schutz von Initiativen und Menschenrechtsaktivisten im Ausland und im eigenen staatlichen und überstaatlichen Einflussbereich (EU), Durchsetzung der Menschenrechte gegen Tendenzen, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu tolerieren.

Förderung der zivilen Kultur: Die Friedensdienste sollten sich an allen Kampagnen zur Überwindung von Gewalt (UN, Ökumenischer Rat der Kirchen) beteiligen. Auch drängt die Entwicklung von Modellen der Kooperation zwischen Staat und Nicht-Regierungsorganisationen in Entwicklungs- und Transitionsländern. (Ein konzeptionell neues Modell wird gegenwärtig in der Schweiz zwischen dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und den schweizerischen entwicklungspolitischen und humanitären Hilfswerken, angesiedelt bei der Schweizerischen Friedensstiftung, in Gestalt des Kompetenzzentrums Friedensförderung (KOFF) eingerichtet. Es soll Plattform und Motor sein, Information und Dokumentation, Analyse und Beratung leisten).

Förderung der Bewahrung der Schöpfung: Friedensdienste werden sich verstärkt daran beteiligen müssen, die Ressourcen für das Überleben der Natur (einschließlich des Menschen) gegen die Eingriffe des Menschen zu verteidigen (Klima, Rohstoffe, Nahrungsmittel, Gene).

Förderung des Rechtes: Durchsetzung von nicht-militärischen Interessen bei der Nutzung von Flächen und Boden, wie es die Initiative FREIe HEIDe mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.12.2000 zur Nutzung der Wittstocker Heide anfangsweise erreicht hat. Im Bereich des Demonstrations- und Strafrechtes ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zur Strafbarkeit von Sitzblockaden nach § 240 StGB vom 10. Januar 1995 ein wichtiger Schritt zur Verteidigung des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit. Friedensdienste sollten auch den Weg zur Durchsetzung einer nicht an militärische Logik gebundene Friedensethik durch gewaltfrei orientierte zivile Dienste in gewaltförmigen Konflikten ebnen helfen. Dies steht im Völkerrecht und im innerstaatlichen Recht nach dem Kosovo-Krieg an.
 

Förderung der sozialen Gerechtigkeit (national und international): Friedensdienste werden den Boden dafür bereiten müssen, dass die heute absehbaren politischen Probleme, Ängste und Verwerfungen bewältigt werden können, die durch die Osterweiterung der EU und durch die demografische Entwicklung in Deutschland entstehen (Zu- und Einwanderung). Friedensdienste werden im Prozess der Globalisierung von Ökonomie advocacy-Arbeit für eine internationale soziale Gerechtigkeit ermöglichen müssen.

1 Die historischen Aufarbeitungen sind rar. Aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind u.a. zu nennen: Claessens, Dieter/ Danckwortt, Dieter, Jugend in Gemeinschaftsdiensten, Juventa-Verlag, 1957; Eichborn, Wolfgang von, Freiwillige für den Frieden, Kohlhammer, 1970; Warneck, Wilfried, Friedensdienst - Sandkastenübung oder Element politischer Alternative?, in: "Aus Politik und Zeitgeschichte". Eine Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", B 11/79 vom 17.3.1979, S. 30 - 53; Frey, Ulrich, Nachdenken über die Gegenwart und Zukunft von freiwilligen Jugend- und Lerndiensten, unveröffentlichtes Manuskript eines Vortrages beim Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee e.V. am 6.2.1999; Voß, Reinhard, "Geschichte der Friedensdienste in Deutschland", in: Evers, Tilman, Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden, Opladen, 2000, S. 127 ff.

2 Wahsmut, Ulrike, "Friedensforschung als Konfliktforschung", in: Imbusch, Peter/Zoll, Ralf (Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung mit Quellen. Opladen, 1996, S. 180 ff.

3 zitiert nach Jahn, Egbert, Stichwort "Frieden" in: Nohlen, Dieter (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik, Bonn, 1998, S. 173.

4 vgl. die Standards zur Qualifizierung von Friedensfachkräften, erarbeitet von dem Gesprächskreis Ausbildung in der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, in: Evers (Hrsg.), Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden, Opladen 2000, S. 361 ff.

5 nach der Idee des "Zivilisatorischen Hexagons" von Dieter Senghaas, Wohin driftet die Welt?, Frankfurt a.M., S. 26, und Calließ, Jörg (Hrsg.), Wodurch und wie konstituiert sich Frieden? Das zivilisatorische Hexagon auf dem Prüfstand, Loccumer Protokolle 74/1996.

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Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.