Erkenntnisse und Schlußfolgerungen aus der deutschen Gruppe der Europäischen Friedenskarawane durch Jugoslawien

Die Zusammenarbeit gegen den Krieg organisieren!

von Klaus VackAndreas Buro

Teilnehmer der deutschen Gruppe, die über Dubrovnik mit der letzten Fähre nach Italien ausreisten, beauftragten Andreas Buro und Klaus Vack zur Abgabe der folgenden Erklärung, die wir gekürzt wiedergeben:

  1. Auf unserer Reise beriefen sich immer wieder Kroaten, Serben und Slowenen auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Wir unterstützen dies. Gleichzeitig sagten wir, dieses Recht darf nicht auf Kosten der Nachbarn und von Minderheiten ausgeübt werden. Wer das Selbstbestimmungsrecht für sich einfordert und gleichzeitig Minderheiten unterdrückt, verliert seine Glaubwürdigkeit.
  2. Bei den Gebietsansprüchen Serbiens an Kroatien sowie bei den früheren Gesprächen zwischen den Präsidenten Kroatiens und Serbiens über eine mögliche Aufteilung Bosnien-Herzegowinas ist anscheinend von der Forderung nach einer ethnisch reinen Gesellschaft ausgegangen worden. Wir warnen vor solchen, letztlich rassistischen Bestrebungen und setzen dagegen das Bild der Gesellschaft gleichberechtigter Bürger vielfältiger kultureller Herkunft. Es gilt, die Bedeutung der Grenzen innerhalb Europas zu vermindern und die Zusammenarbeit zu verstärken, nicht aber neue Herrenvölker-Nationen zu errichten.
  3.  Bosnien-Herzegowina mit seiner vielfältigen und relativ ausbalancierten Bevölkerungsstruktur wird von serbischen und kroatischen Gebietsgelüsten bedroht. Oft wurde uns gesagt, die Erhaltung der Integrität Bosniens sei von zentraler Bedeutung für die Verhinderung eines großen Bürgerkrieges aller gegen alle. Wir teilen diese Auffassung; nicht nur aus geographischen Gründen, sondern auch, weil Bosnien-Herzegowina als multikulturelle Gesellschaft eine Vorbildfunktion hat gegen alle nationalistischen Bestrebungen. Deshalb ist es wichtig, in vorbeugender Strategie Bosnien-Herzegowina schon heute alle Hilfe zu geben, um es gegen Provokationen zur Aufhetzung der Bevölkerung und gegen Aggressionen abzusichern. Entmilitarisierte Zonen an der Grenze, die Entsendung von KSZE-Beobachtern könnten neben wirtschaftlich schnell wirksamen Hilfen (z.B. Treibstoff- und Ölversorgung angesichts der katastrophalen Energiesituation und des bevorstehenden Winters) eine endlich rechtzeitige Unterstützung sein.
  4. Wir haben auf unserer Reise erfahren, welche Bedeutung den Kirchen in diesem Konflikt zukommt. Die katholischen, orthodoxen und muslimischen Religionen sind mit der Bevölkerung in Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina in besonderer Weise verbunden. Ihr Votum für oder gegen den Krieg ist von großem Gewicht. Wir rufen alle religiösen Kräfte auf, sich eindeutig gegen den Krieg und gegen Gewalt und für den friedlichen Dialog auszusprechen. Die Kirchen in der Bundesrepublik mögen alles in ihren Kräften Stehende tun, um solchen Dialog zu fördern.
  5. Menschen, die sich in den jugoslawischen Ländern angesichts der nationalistischen Tendenzen für Frieden einsetzen, werden schon heute bedroht und haben in der emotional aufgeheizten Atmosphäre mit Verfolgung und Terror zu rechnen. Sie müssen wir, soweit es in unseren Kräften steht, schätzen. Dies ist vor allem möglich, indem über alle Bedrohungen und Unterdrückungen ausführlich und ständig in der internationalen Öffentlichkeit berichtet wird.
  6. Wir haben die Verhältnisse auf unserer Friedenskarawane als äußerst komplex erfahren. Die historische Schuld ist vielfach. Es gibt nicht die Serben oder die Kroaten. Kriegsbereitschaft und Repression sind nicht nur einseitig zu verorten. Wir warnen deshalb davor, in unserem Lande Feindbilder, die immer zugunsten von Schwarz-Weiß-Zeichnungen falsche Einschätzungen der Wirklichkeit vermitteln, entstehen zu lassen.
  7. Es ist zu befürchten, daß solche anachronistischen nationalistischen Kriege wie jetzt in Jugoslawien bald auch in vielen Teilen des ehemaligen Ostblocks ausbrechen. Rechtzeitige Konfliktvorbeugung und -bearbeitung ist angesagt. Wir fordern die Regierungen der KSZE-Staaten, aber insbesondere die Bundesregierung auf, die Ausbildung geeigneter, nichtmilitärischer Instrumente, Verfahren und Institutionen voranzutreiben.
  8. Der Appell an die Regierungen reicht allerdings nicht. Die Bürger der europäischen Staaten müssen selbst alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um ihre Kontakte zu den Kräften in den jugoslawischen Ländern zu intensivieren, die für Frieden eintreten. Wir rufen insbesondere die Bürgerinnen und Bürger sowie die Initiativen und sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik auf, mit hier lebenden Jugoslawen Kontakt aufzunehmen und das gemeinsame Gespräch zu organisieren. Auf diese Weise könnten die Stimmen der im Ausland lebenden Jugoslawen die Friedenskräfte im Lande selbst stützen.
  9. Die nationalistische Ideologisierung und Verhetzung ist in einigen Ländern Jugoslawiens weit vorangeschritten. Sie treibt zu ständig zunehmender Eskalation des Krieges, wobei jeweils die eigene Sache zur heiligen, nationalen und gerechten erklärt wird. Dem kann nur durch Dialog und Kooperation von Menschen aller Nationalitäten entgegengewirkt werden. Hierzu hat unsere Friedenskarawane bereits einen wichtigen Beitrag geleistet; daran gilt es weiterzuarbeiten. Wir hoffen, daß Serben, Kroaten, Muslime, Christen aller Kirchen, Albaner und all die vielen anderen ethnischen Gruppen auf allen Ebenen der Gesellschaft sich auf den allein hilfreichen Weg der Versöhnung besinnen. Verhandeln über die möglichen Formen sinnvoller Kooperation statt Krieg ist das Ziel und die Forderung.

Für Rückfragen stehen zur Verfügung: Komitee für Grundrechte und Demokratie, an der Gasse 1, 6121 Sensbachtal, Telefon 06068 - 2608, Telefax 06068 - 3698, sowie Telefon 0228 - 464008, und Ohne Rüstung Leben, Telefon 0711 - 6409620, Telefax 0711 - 6407980.

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