Die Evangelische Landeskirche in Baden nimmt den Militärausstieg in Blick

Eine erste Weichenstellung nach 1.700 Jahren konstantinischem Zeitalter

von Theodor Ziegler

Kirche und Militär – ein eigentümliches Paar. Das spätgriechische Wort Kyriakon bedeutet: Die zum Herrn [Jesus] Gehörenden. Und weil dieser die Feindesliebe predigte und praktizierte, waren für die Christen der ersten drei Jahrhunderte die Ablehnung militärischer Gewalt und die Kriegsdienstverweigerung selbstverständlich. Mit der ab 312 n.Chr. einsetzenden konstantinischen Wende übernahm der römische Staat Schritt für Schritt die christliche Religion und im Gegenzug akzeptierte die christliche Kirche immer mehr die Notwendigkeit militärischer Gewalt in der staatlichen Machtpolitik und teilweise auch zu eigenen Zwecken. Die Kriegsverhinderungsabsicht der Lehre vom gerechten Krieg (Augustin/Thomas von Aquin: z.B. Verhältnismäßigkeit der Mittel, ultima ratio, Schonung von Zivilisten) zeigte keinerlei Wirkung.

Es folgten über sechzehn im Wortsinn verheerende Jahrhunderte. Trotz der ökumenischen Nachkriegserkenntnis (1948 in Amsterdam), Krieg sei Sünde und solle nach Gottes Willen nicht sein, kam es in Deutschland ab 1955 zur Wiederbewaffnung. Vor allem in der Evangelischen Kirche war dies sehr umstritten. Man behalf sich mit einer Komplementärethik, der Pazifist bedürfe des Soldaten und umgekehrt. Dies verhinderte jedoch nicht die zunehmende Ausweitung deutscher Militäreinsätze in aller Welt und das Erreichen des dritten Platzes beim weltweiten Kriegswaffenexport. In ihrer Denkschrift von 2007 legte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) den Schwerpunkt auf die Vorrangigkeit gewaltfreier Konfliktaustragung, allerdings immer noch mit der Option militärischer Gewalt als ultima ratio. Und de facto wird somit jeder Auslandseinsatz der Bundeswehr bis zum Afghanistankrieg mitgetragen und nicht viel für die behauptete Vorrangigkeit der gewaltfreien Konfliktaustragung getan.

Aufgrund einer Eingabe aus dem Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald, die nach einem zweijährigen Diskussionsprozess in 23 von 25 Kirchenbezirken das Vertrauen in die militärische Friedenssicherung mit Blick auf die biblischen Friedenstraditionen sowie das biblische Menschenbild in Frage stellte, beschloss nun die Badische Landessynode am 24.10.2013, sich auf den Weg des gerechten Friedens zu begeben. „Für Frieden und Versöhnung einzutreten, gehört zum Kern des kirchlichen Zeugnisses.“ Es gelte „ein Szenario zum mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung zu entwerfen.“

In zwölf konkreten Vorhaben (u.a. Kontakte zu PolitikerInnen, Forschungsauftrag zur Frage einer internationalen Polizei/just policing, Ausbildung von Friedensfachkräften, Forderung nach Rüstungsexportstopp in Krisengebiete, Engagement für die mittelfristige gänzliche Einstellung des Rüstungsexports, Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit) will die badische Landeskirche tätig werden. Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei der Religionspädagogik zu. Das Vorbild Jesu und der frühen Christen weisen einen dritten Weg zwischen kriegerischer Gewalt und passivem Nichtstun. Junge Menschen sollen die gewaltfreien biblischen Traditionspuren wie auch die vielen ermutigenden Beispiele gewaltfreier Konfliktaustragung in Geschichte und Gegenwart kennen lernen. Deshalb beschloss die Landessynode, sowohl in die Ausbildung der PfarrerInnen und Lehrkräfte wie auch in deren Religionsunterricht die „aktive gewaltfreie Konfliktbewältigung“ sowie die „Möglichkeiten und Methoden der Friedensarbeit als verbindliche Bildungsinhalte“ aufzunehmen. Auch solle das kommende Gedenkjahr 2014 (Beginn des 1. Weltkriegs vor 100 Jahren und des 2. Weltkrieges vor 75 Jahren, aber auch der 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR) pädagogisch aufgegriffen werden.

Ganz besonders hervorzuheben ist der Tabubruch, gleich dem beschlossenen Atomausstieg das Ziel eines Militärausstieges in den Blick zu nehmen und zu artikulieren. Ein solcher Paradigmenwechsel war in den letzten 1.700 Jahren noch von keiner Volkskirche vorgenommen worden. Weder in der realen Politik noch in den Medien und zum Teil auch nicht in der Friedensbewegung erscheint diese Innovation am Denkhorizont. Doch nur so bekommen alle Bemühungen um graduelle Abrüstung, Exportverbote, Aufbau ziviler Konfliktbearbeitung usw. eine Richtung und eine Dynamik.

Mit ihrem Beschluss hat die badische Landessynode der Gewaltfreiheit in Form ziviler Konfliktbearbeitung Tür und Tor geöffnet, ohne gleichzeitig die – auch in ihren Reihen noch mehrheitlichen – BefürworterInnen militärischer Friedenssicherung zu be- oder verurteilen. Dies mag manche PazifistInnen möglicherweise enttäuschen. Es ging jedoch nicht darum, nun eine pazifistische Version des Augsburger Bekenntnisses (Art. 16) (1) zu formulieren, sondern alle Kirchenmitglieder auf den gewaltfreien Weg des Friedens zu locken, zumal die gesamtbiblische Perspektive keine theologische Rechtfertigung von Krieg zulasse. Unter demokratischen Aspekten kann eine Synode nur das formulieren, was in der volkskirchlichen Breite der Landeskirche auch mehrheitlich vertreten wird. Dies schließt Wegweisungen in eine neue Richtung aber nicht aus. Jedoch bedarf es nun einer zweiten Phase der Umsetzung der Beschlüsse und dann eines erneuten breiten Diskussionsprozesses, damit sich möglichst viele Mitglieder der Landeskirche an dem neuen Weg aktiv beteiligen können und somit auch ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel angestoßen wird. In jeder Legislaturperiode will sich die Landessynode von nun an mindestens einmal mit der friedensethischen Weiterentwicklung befassen.

Beschlossen wurde auch, die anderen Landeskirchen und die EKD einzuladen, auf diesem gewaltfreien Weg mitzugehen. Anregungen hierzu sind dem Diskussionsbeitrag „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens (Lk 1,79)“ zu entnehmen.

 

Anmerkung
1 In der confessio augustana (1530) wurden in Art. 16 gerechte Krieg für legitim erklärt und christliche Kriegsgegner verdammt.

Hinweis: Alle Dokumente des Diskussionsprozesses sowie das Beschlusspapier können unter www.ekiba.de/friedensethik abgerufen werden.

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Hintergrund
Theodor Ziegler, M.A. ist Religionslehrer im Kirchenbezirk Breisgau-Hochschwarzwald und Mitinitiator der Eingabe an die Landessynode.