Die Geschichte der Friedensdekade in Ost und West

„Eine wunderbare Struktur für Friedensarbeit“

von Wiltrud Rösch-Metzler
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Die Geschichte der ökumenischen Friedensdekade lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln erzählen, der Rolle der Jugend, der Kirchen oder aus ihrem friedenspolitischen Kontext. Im 30. Jahr des Mauerfalls konzentriere ich mich auf die Friedensdekade, wie sie sich im Ost-West-Verhältnis entwickelt hat.
„Frieden schaffen - ohne Waffen“, dieser Slogan war im Jahr 1980 in Ost- und Westdeutschland für die Friedenswochen und die erste Friedensdekade maßgeblich. „Es gab ihn in der BRD auch schon vorher“, sagte Volkmar Deile in einem Gespräch vor etlichen Jahren. „Er stammte von Uli Thiel vom Landesverband Baden-Württemberg der DFG-VK.“ Deile war damals Pfarrer in der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste West (1975-1984) und im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung. Aber auch in der DDR geisterte das Motto durch die Köpfe. Aus Sicht von Deile kam das gemeinsame Motto in Ost und West ohne Absprache zustande, „war höhere Gewalt“.
Der Theologe Joachim Garstecki aus Magdeburg sieht den Westen als Impulsgeber. Bereits 1968 habe der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in Düsseldorf das Thema „Frieden ist möglich“ aufgebracht. „Typisch, dass wir uns in der DDR einer Entwicklung anhängten, die im Westen losging.“ Wie viele andere ZeitzeugInnen nennt auch Garstecki die jährlichen gemeinsamen Jahrestagungen der JugendseelsorgerInnen aus Ost und West, aber vor allem die Treffen der LandesjugendpfarrerInnen als wegweisend für den Durchbruch des Friedensthemas.
Garstecki arbeitete damals im Studienreferat Friedensfragen der Evangelischen Kirche in (Ost-)Berlin. Das Referat hatte die Aufgabe, eine Struktur für die Friedensarbeit zu schaffen. Eine Idee war, dafür den Buß- und Bettag auf das Thema Frieden hin zu gestalten. „Die Geburt der Friedensdekade war ein Qualitätssprung“, so Garstecki, „eine richtig wunderbare Struktur“. Garstecki ist heute ein Kritiker der Friedensdekade, die Struktur habe sich überlebt.

Unter Stasi-Beobachtung
Egal, ob der besondere Anstoß für die Friedensdekade nun aus der Vollversammlung des Ecumenical Youth Council in Europe im Oktober 1979 in Oslo stammte, wie Pfarrer Fritz Dorgerloh, von 1979-1988 Sekretär der Kommission Kirchliche Jugendarbeit des DDR-Kirchenbundes, schreibt, wichtig war für ihre Entstehung und Entwicklung der europäische und internationale Austausch. Man blickte über den eigenen Tellerrand hinaus. „Von 1982 an wurde es üblich, zu den Friedensdekaden auch die Kirchen einzuladen, mit denen der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR in einer besonders engen Beziehung stand“, berichtete Dorgerloh. „So kamen zur Friedensdekade 1982 Besuchergruppen aus der CSSR, den USA und der Bundesrepublik Deutschland in die DDR. Später kamen Vertreter der Kirchen in den Niederlanden, der Sowjetunion und England dazu.“ Solche Kontakte zwischen Ost und West, wie die Aktivitäten der Friedensdekade insgesamt, wurden damals von der Stasi argwöhnisch festgehalten. Das verdeutlicht eine kleine Begebenheit aus Dresden, die Annemarie Müller beschreibt. Sie hatte während der Friedensdekade mit Kindern Papierdrachen gebastelt und wollte diese an die Schriftstellerin Luise Rinser in Italien und an weitere Menschen im Westen schicken und musste Jahre später feststellen: „Leider war die Angst der Staatssicherheitsbehörde größer, und die Kindergeschenke wanderten als staatsfeindliche Objekte in die Stasi-Archive.“ Später fand sie in den Stasi-Akten: “In der Sendung informierte die DDR-Absenderin über die Arbeit des Friedenskreises der Kirchgemeinde Weißer Hirsch, der insgesamt ca. 20 Mitglieder umfaßt und deren aktives Mitglied die Absenderin selbst ist. Sie berichtet sehr ausführlich über im Rahmen der Friedensdekade geführte Veranstaltungen.“

Ausbreitung im Schneeballsystem
Seit 1980 stellte eine deutsch-deutsche Arbeitsgruppe aus Kirchenbund und EKD die Liturgie für den Bittgottesdienst für den Frieden am Buß- und Bettag zusammen und die Landesjugendpfarrer das Material für eine Abrüstungs- bzw. Friedensdekade. Im nächsten Jahr sind es 40 Jahre, dass die EKD diesen Bittgottesdienst, der in der Friedensdekade seinen Platz hat, entwirft. Die Erstellung der anderen Materialien hat seit 1994 das „Gesprächsforum Ökumenische FriedensDekade“ übernommen.
Friedenswochen - der Begriff Friedensdekade kam erst ab 1990 im Westen an – entstanden zunächst in den Niederlanden. Dort koordinierte der von pax christi angeregte Interkirchliche Friedensrat schon im Jahr 1967 die erste Friedenswoche mit dem Motto „Verteilung des Wohlstands – keine Streuung der Kernwaffen“. „1972 kommt die Friedenswoche in die Bundesrepublik“, schreibt Wolfgang Raupach-Rudnick, von 1984-90 Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen West. „Den Anfang macht Minden. Acht nicht parteigebundene Gruppen schließen sich zusammen, stimmen ihr Jahresprogramm aufeinander ab und organisieren die erste Friedenswoche. Sie einigen sich auf einen Minimalkonsens unter dem Motto ‚Friede durch soziale Gerechtigkeit und gewaltfreie Konfliktlösung‘.“ Im Schneeballsystem breiten sich die Friedenswochen aus. Erst kamen Berlin und Tübingen hinzu, dann Ulm, Waldkirch, Dortmund und Hannover, bis dann 1980 AGDF und ASF zur ersten bundesweiten Friedenswoche aufriefen.
1990 überholt die Geschichte die Friedensdekade. Der Aufruf zur 11. Ökumenischen Friedensdekade wird von AGDF, ASF in der DDR, ASF West, der Initiative Kirche von unten, INKOTA und pax christi verfasst. „Die Grenzen waren offen, und mit Aktion Sühnezeichen-Ost und dem Eine-Welt-Netzwerk INKOTA aus Ostberlin begann die Annäherung zwischen Friedensdekade Ost und Friedenswochen West“, freute sich Raupach-Rudnick. Allerdings behielten Ost und West jeweils unterschiedliche Mottos. Das ging noch bis 1994 so.

Unterschiedliche Traditionen und gemeinsame Entscheidungen
„Die 12. Friedensdekade im Jahr 1991 wurde noch getrennt vorbereitet“, weiß Ulrich Frey, langjähriger Geschäftsführer der AGDF: „In Ostdeutschland von der Vorbereitungsgruppe aus Vertretern des Bundes Evangelischer Kirchen (BEK), der AG Christlicher Jugend in der DDR und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AGCK) unter dem Motto ‚Verlaßt euch nicht auf Gewalt‘, im Westen von der Trägergruppe unter dem ähnlichen Motto ‚Gewaltfrei widerstehen‘.… Zu einer engeren Kooperation der beiden veranstaltenden Gruppen kam es 1991 noch nicht.“ Schließlich wirkte sich der Zusammenschluss der Arbeitsgemeinschaften der christlichen Kirchen in Ost und West im Juni 1992 positiv auf die Weiterarbeit der Friedensdekade aus, fand Frey. „Die Mitgliederversammlung der neuen ACK hatte beschlossen, die Arbeit am konziliaren Prozess und an der Friedensdekade fortzusetzen. … Dadurch war die Ursache der seit 1990 von Gruppen, Gemeinden, Landeskirchen und EKD zunehmend kritisierten Unübersichtlichkeit der Friedensdekade wegen unterschiedlicher Aufrufe und Themen beseitigt.“ Die ACK beschloss auch, einen politischen Aufruf nicht mitzutragen, der den Gruppen freigestellt ist. Diese Position hält sie bis heute aufrecht. Die Zusammenarbeit zwischen Gruppen und ACK gelang und gelingt trotzdem: „Es gelang leicht, die Themen einverständlich so festzulegen, dass sowohl die konzeptionellen Ansätze der früheren AGCK in der DDR als auch die der Trägergruppe einen Ausdruck im gemeinsamen Heft fanden.“
Die unterschiedlichen Traditionen der Friedensdekade, die kirchliche aus der DDR, und die politische aus der BRD sind auch heute noch in der Friedensdekade zu spüren. Der Appell von Garstecki, beide zu überwinden und etwas Neues zu schaffen, steht der Friedensdekade noch bevor.

Alle Zitate von Volkmar Deile und Joachim Garstecki stammen aus Gesprächsaufzeichnungen der Autorin aus dem Jahr 2009, alle anderen Zitate aus dem Buch „20 Jahre Friedensdekade“, herausgegeben von Uwe Koch, Knotenpunkt/Buch, 2001.

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Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.