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Interview mit Lotahn Raz / New Profile, Israel
Einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit finden
vonDie israelische Friedensgruppe New Profile unterstützt Kriegsdienstverweigerer und setzt sich für ein Ende der Gewalt im Nahen Osten ein. Der einundzwanzigjährige Kriegsdienstverweigerer Lotahn Raz aus Tel Aviv war im April auf Einladung von Connection e.V. und der DFG-VK auf einer Vortragsreise durch Deutschland. Am 16.4. trafen wir ihn in Münster. Das Interview führte Kathrin Vogler.
Kathrin Vogler: Lotahn, welchen Eindruck hast du von deinem Aufenthalt in Deutschland bisher?
Lotahn Raz: Ich fühle mich sehr willkommen und bin beeindruckt davon, wieviel die Deutschen über Israel wissen. Gestern war ich in einer Schule in Nottuln. Die Schülerinnen und Schüler waren sehr interessiert und informiert. Ich erlebe eine starke Affinität zwischen Deutschland und Israel; wir sind Partner, Verbündete, Brüder und Schwestern.
K.V.: Eure Reise war schon länger geplant. War es für dich angesichts der aktuellen Zuspitzung der Situation schwer, Israel jetzt zu verlassen?
L.R.: Wenn sie fortfahren, Israel zu zerstören, wird es immer mehr Deserteure geben. Natürlich bedaure ich, dass ich jetzt nicht in Israel an den Aktionen der Friedensbewegung teilnehmen kann. Aber ich bin überzeugt, dass diese Reise durch Deutschland auch wichtig ist.
K.V.: Was für eine Organisation ist New Profile?
L.R.: New Profile wurde 1998 gegründet. Sie entstand aus Frauengruppen mit feministischer und pazifistischer Ausrichtung. Dazu kamen Jugendgruppen und Kriegsdienstverweigerer-Initiativen. Unser Hauptziel ist es, Israel zu demilitarisieren und zu zivilisieren.
Die Armee ist die bedeutendste Macht im Land. Alle politischen Führungspersönlichkeiten sind oder waren Generäle. Wer kein Soldat war, nicht gekämpft hat, wird nicht ernst genommen. Die Gesellschaft ist sehr militaristisch.
"New Profile" unterstützt Verweigerer und führt Kampagnen für ihre Freilassung durch. Dass wir eine feministische Organisation sind, bedeutet einen anderen Blickwinkel. Wir sind offen für Frauen und Männer jeden Alters, haben offene Strukturen, aber eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Wir teilen unsere Verantwortung. Im Augenblick organisieren wir unter dem Titel "Women refuse!" eine Frauenverweigerungskampagne.Wichtig für mich ist die Jugendgruppe, in der ich mitarbeite. Wir versuchen dort, jungen Menschen einen Raum zu geben, in dem sie offen und frei über alle Fragen sprechen können, die mit dem Militärdienst, der Armee und dem Krieg zusammenhängen.
K.V.: Auf wieviel Unterstützung in der israelischen Gesellschaft könnt ihr rechnen?
L.R.: Während der Verhandlungen in Oslo waren 60% der Israelis für den Prozess von Oslo, und je mehr der Prozess voranging, um so mehr. Als die neue Antifada begann (2000, Anm. d. Red.) fühlten sich die meisten Juden bedroht und hoffnungslos. Viele Leute, die zuvor Oslo unterstützt hatten, waren verunsichert und wandten sich von der Friedensbewegung ab.
Jetzt wächst die Friedensbewegung wieder. Gingen zu Beginn der Antifada vielleicht 2000 oder 5000 Menschen zu Friedensdemos, so waren bei der letzten Demonstration von "Peace Now" schon 15 - 20.000 Leute. Es ist gut möglich, dass es bald 200.000 sind.
Heute unterstützen nach aktuellen Umfragen 30% der Bevölkerung die Kriegsdienstverweigerung. Selbst wenn man berücksichtigt, dass 20% der Bevölkerung arabische Israelis sind, ist dies eine immense Unterstützung für uns.
K.V.: Welche Rolle spielt die Verweigerungsbewegung aktuell?
L.R.: Im Augenblick sitzen 38 Kriegsdienstverweigerer im Gefängnis. Soweit ich weiß, verweigern nur 3 von ihnen jeglichen Militärdienst, weil sie die Armee als Instrument der Unterdrückung und Kriegsführung grundsätzlich ablehnen. Die anderen sind zum großen Teil Reservisten, die den Einsatz in den besetzten Gebieten verweigern. Nach dem Attentat am Pascha-Fest hat die Regierung 20.000 Soldaten und Reservisten einberufen lassen. Seither haben wir eine niemals zuvor dagewesene Zahl von Verweigerern. Zunächst gab es einen Brief von 62 Schülerinnen und Schülern, die gemeinsam die Verweigerung des Wehrdienstes ankündigten. Inzwischen sind daraus 130 geworden. Die bekanntere Erklärung von 52 Reservisten, die ihren Einsatz in den besetzten Gebieten verweigerten, wurde inzwischen von über 400 unterschrieben.
K.V.: Was erwartet die VerweigerInnen in Israel?
L.R.: Bei meiner Verweigerung war ich drei Mal für insgesamt 56 Tage im Gefängnis. Dann kam die Musterungskommission zu dem Ergebnis, dass ich untauglich sei. Ich habe ein großes Durcheinander veranstaltet und war viel in den Medien. Irgend jemand im Ministerium muss veranlasst haben, dass ich schnell ausgemustert wurde. Normalerweise drohen Kriegsdienstverweigerern etwa drei Monate Gefängnis. Jetzt im Krieg, kann es etwas härter werden. Auch Drusen (moslemische Gruppe von israelischen Staatsangehörigen mit vollen Rechten und Pflichten) und russische Einwanderer werden meist schlechter behandelt, weil es ihnen an Kontakten fehlt, um für öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen.
K.V.: Die Gewalt eskaliert von Tag zu Tag, die Hardliner beider Seiten scheinen sich durchzusetzen. Welche Chancen siehst du, den Teufelskreis zu durchbrechen?
L.R.: Die Situation ist nicht stabil, sie kann nicht lange bestehen bleiben. Es gibt keine Chance für eine Seite, die andere Gruppe auszulöschen. Das ginge nur mit einem Völkermord, und dafür hat jede Seite zu viele Verbündete. Beide kennen die notwendige Lösung. Sogar die rechten Juden wissen, dass sie die 67er Grenzen akzeptieren müssen.
Doch wir werden von unserer Führung manipuliert. Sharon denkt nicht an Frieden. Er will die globale Stimmung gegen die Moslems nutzen, die nach dem 11. September 2001 entstanden ist, um seine Macht zu festigen. Aber Sharon wird nicht für ewig an der Macht bleiben. Das Volk will keinen aussichtslosen Krieg führen, es hat aber im Augenblick auch keine Hoffnung auf Frieden. Wir müssen mit den Palästinensern einen Weg aus dieser Hoffnungslosigkeit finden. Dazu brauchen wir eure Hilfe, aber die Arbeit tun müssen wir selbst. Am Ende müssen wir und sie (die Juden und Araber, Anm. d. Red.) eine Lösung finden.
K.V.: Wie können wir als deutsche Friedensbewegte helfen?
L.R.: Pro-israelisch sein heißt, Israel dabei zu unterstützen, die Aggression zu beenden. Dazu müsst ihr mit Leuten sprechen, die öffentliche Meinung beeinflussen und auf die Regierung einwirken. Eure Soldaten könnt ihr zu hause lassen. Ihr Deutsche seid wichtige Verbündete, wir teilen viele gemeinsame Themen. Eure Regierung hat ganz still und leise den Waffenhandel eingestellt. Das ist ein guter erster Schritt. Jetzt solltet ihr das öffentlich machen und andere Länder darin bestärken, dasselbe zu tun. Die Präsenz von "Internationalen" kann in Israel und Palästina ebenfalls hilfreich sein. Sie können eine Rolle spielen als Verbündete der Palästinenser, damit diese sich nicht alleingelassen empfinden. Und sie können uns Juden dabei unterstützen zu erkennen, dass wir und die Palästinenser Brüder und Schwestern sind. Ihr könnt nicht für uns die Lösung finden. Aber ihr könnt uns zuhören, wie verletzt wir sind. Ihr könnt daran erinnern, dass unsere gemeinsame Geschichte, dass der Holocaust mit ein Grund dafür ist, dass die Juden angegriffen wurden. Aber der deutsche Antisemitismus ist für Israel keine aktuelle Realität. Wir wissen zwar, dass er noch existiert, aber wir nehmen vor allem eine starke Solidarität wahr. Erinnert uns daran, dass wir Verbündete haben, damit könnt ihr zur Überwindung von Hoffnungslosigkeit beitragen.
Und zu guter letzt könnt ihr auch ganz konkret helfen. Für inhaftierte Verweigerer ist es sehr wichtig, Unterstützung aus dem Ausland zu erhalten. Wir sammeln Adressen von Menschen, die bereit sind, Kriegsdienstverweigerern mit Briefen ins Gefängnis und an die Behörden zu unterstützen.
Nicht zu vergessen: Unsere Arbeit kostet auch Geld. Wir freuen uns über Spenden.
Kontaktadresse: New Profile, PO Box 48005, Tel-Aviv 61480, http://www.newprofile.org, voice-mail: 00972/3/5160119