Buchbesprechung Jürgen Grässlin

Einschüchtern zwecklos

von Christine Schweitzer
Hintergrund
Hintergrund

„Einschüchtern zwecklos. Unermüdlich gegen Krieg und Gewalt – was ein Einzelner bewirken kann“ heißt das neue Buch von Jürgen Grässlin, mit dem er derzeit auf Lesereise ist. Es ist eine Biografie des 1957 geborenen (inzwischen pensionierten) Lehrers, in der es in erster Linie um seine unermüdliche Arbeit gegen die Rüstungsindustrie und Waffenexporte geht.

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) sowie Mitbegründer der Kritischen AktionärInnen Heckler & Koch. Er verfasste zahlreiche kritische Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik und wurde mit vielen Preisen für Frieden, Menschenrechte, Zivilcourage und Medienengagement geehrt, u.a. mit dem „Aachener Friedenspreis“.

In zehn Kapiteln beschreibt Jürgen seinen politischen Werdegang. Erstes Schlüsselerlebnis für ihn war der Wehrdienst in der Bundeswehr, wo er sich weigerte, an einer Schießübung teilzunehmen, als sein Vorgesetzter ihn aufforderte, sich vorzustellen, dass die Zielscheibe der Kopf eines Chinesen sei, den er zwischen die Augen treffen solle. Kurz danach wurde er ausgemustert. Sein Studium und die frühe Berufstätigkeit in den 1980er Jahren fielen zusammen mit dem Aufblühen der Antiraketen-Bewegung, in der er sich engagierte. Als der Regisseur Wolfgang Landgreber in Oberndorf, dem Ort, wo Heckler & Koch ansässig ist, einen Dokumentarfilm über H&K vorführte, war Jürgen sehr beeindruckt von dem Mut des Regisseurs, sich der Kritik der Oberndorfer Arbeiterschaft zu stellen. Er bezeichnet dies als sein zweites Schlüsselerlebnis nach dem Wehrdienst. Was dann folgte, kann hier nur grob zusammengefasst werden: Die Gründung des Vorläufers des RüstungsInformationsBüros (RIB) und dann des RIBs in Freiburg. Immer wieder die Beschäftigung mit Heckler & Koch und dem weltweiten Morden durch die dort hergestellten Waffen, denen Jürgen in Afrika und Südamerika nachging und Zeugen fand, die durch das G3 verstümmelt und deren Angehörigen getötet worden waren. Die letztlich erfolgreiche Kampagne gegen Daimler, die zum Ausstieg Daimlers aus dem Rüstungsgeschäft beitrug. Die Zeit des Engagements bei den GRÜNEN in den 1990er Jahren, die er nach dem Kosovo-Krieg 1999 beendete. Die Arbeit der Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!. Und immer wieder Prozesse und noch mehr Prozesse. Mehrfach wurde Jürgen Opfer des Phänomens, das heute als „Cancelling Culture“ bezeichnet wird – Klagen von Unternehmen, um ihn zum Schweigen zu bringen, und die aufgrund der mit Gerichtsverfahren einhergehenden Kosten für den Angegriffenen kaum durchzuhalten sind. Und dann sorgte er, bald schon zusammen mit dem Anwalt Holger Rothbauer, der wie Jürgen mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet worden ist, dafür, dass es Daimler, H&K und SIG Sauer waren, die sich vor Gericht verantworten mussten. Die Verurteilung von SIG Sauer für die indirekten Exportein Krisenregionen Mexikos war einer der großen Erfolge, die auf Jürgens Recherchen zurückgehen.

Das letzte Kapitel trägt den Titel „Die Unkultur des Krieges überwinden“ und beschäftigt sich mit der Situation der Friedensarbeit seit dem Krieg in der Ukraine 2022. Als prominenter Vertreter der Friedensbewegung musste Jürgen ertragen, was er als „massives Pazifistenbashing“ bezeichnet.

Jürgen Grässlin formuliert sehr klar, was die Botschaft ist, die er mit seiner Biografie vermitteln will: Zeigen, dass Einzelne etwas bewirken können, dass niemand hilflos ist, dass es sich lohnt, „sich zu wehren, Widerstand zu leisten, hohe Hürden zu überwinden und sich keinesfalls einschüchtern zu lassen“: „Lasst uns … nicht länge Teil sein eines Systems des fatalistischen Funktionierens, Verschweigens und Verblödens. Wir wollen uns wehren und kämpfen. …Wir wollen die Kraft nutzen, die in uns allen steckt. Für eine andere, lebenswertere bessere Welt“.

Mit dieser Ermutigung ist das Buch zum richtigen Zeitpunkt erschienen. Es ist mehr als eine Biografie, wobei die zahlreichen detaillierten Fakten zum Widerstand gegen die Rüstungsindustrie Bewegungsforscher*innen gewiss noch lange Zeit eine wertvolle Quelle sein werden. Es ist vor allem ein Zeugnis eines unerschrockenen Menschen, dessen Kampf für Frieden und Gewaltfreiheit glücklicherweise noch lange nicht zu Ende ist. Das Buch sei allen anempfohlen, die sich für das Thema Rüstungsindustrie und Rüstungsexporte interessieren.

Grässlin, Jürgen (2023): Einschüchtern zwecklos. Unermüdlich gegen Krieg und Gewalt – was ein Einzelner bewirken kann, Wilhelm Heyne, München, 382 S., ISBN 978-453-60630, 14,- €.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.