Eröffnungsrede zum Kongreß

von Mohssen Massarrat
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Als vor zwei Jahren ein Vorbereitungskomitee für diesen Kongreß seine Arbeit aufgenommen hat, stand des öfteren die skeptische Frage im Raum, ob sich für einen Friedenskongreß und erst recht für einen solchen mit pazifistischer Ausrichtung überhaupt jemand in der heutigen Zeit interessieren würde.

Viele sind in der Tat der Meinung, die Friedensbewegung existiere nicht mehr. Zugegeben, wir haben uns durch diesen Pessimismus (zunächst?) verunsichern lassen und unsere Erwartungen erheblich reduziert.

Die positiven Reaktionen auf diesen Kongreß und Ihre Anwesenheit in so großer Zahl, die unsere Erwartungen weit übertroffen haben, beweisen aber, meine Damen und Herren, daß die Friedensbewegung existiert und daß sie auch bereit ist, sich den komplexer gewordenen politischen Herausforderungen der Zeit auf dem Weg zu einer Welt ohne Kriege und militärischer Gewalt zu stellen.

Der Friedensvertrag von Osnabrück und Münster vor 350 Jahren hat - in historischen Dimensionen gesehen - nur einen Waffenstillstand gebracht. In den letzten Jahrhunderten und ganz besonders in diesem nun zu Ende gehenden Jahrhundert, in dem zwei Weltkriege von Deutschland ausgegangen sind, wurden durch den Wahnsinn Krieg unermeßlich viele menschliche Opfer gebracht. Die europäische Aufklärung ermöglichte den Kampf für Demokratie und Menschenrechte, - die wichtigste politische Errungenschaft der europäischen Zivilisation -, für die Infragestellung des Krieges als Politik mit anderen Mitteln, reichte ihre Kraft jedoch nicht aus.

Die Friedenspolitik ohne Militär, das zentrale Thema dieses Kongresses, steht, meine Damen und Herren, in der Tradition der europäischen Aufklärung und des Kampfes für Demokratie und Menschenrechte. Sie ist die wichtigste Aufgabe der Politik am Vorabend des 21. Jahrhunderts. Ohne diese Perspektive sind auch weitere Fortschritte für Demokratie und Menschenrechte in der Welt undenkbar.

Friedenspolitik ohne Militär ist nicht ein Konzept von Gestern, wie eine lokale Zeitung im Vorfeld dieses Kongresses meinte, sondern sie ist für die Zukunft in der zusammenwachsenden globalen Welt unabdingbar geworden.

Wir sind dankbar für positive wie kritische Stellungnahmen zu inhaltlichen Kongreßvorbereitungen. Die drei inhaltlichen Schwerpunkte des Kongresses mit den hochaktuellen Themen Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung, Situation der Opfer von aktuellen Kriegen und der auf Zukunft gerichteten pazifistischen Handlungsperspektiven ergänzen sich in sinnvoller Weise. Durch das Memorandum Friedenspolitik ohne Militär, das durch einen Ausschuß für den Kongreß erarbeitet wurde, soll die friedenspolitische Diskussion in der Gesellschaft neu belebt werden. Die Verbreitung dieses Memorandums in sieben europäischen Sprachen bereits im Vorfeld des Kongresses, bewerten wir als positives Signal für das Interesse an einer europäischen Vernetzung der Friedensbewegung und am gemeinsamen Handeln für den militärfreien Weg von Konfliktregelungen. Ich hoffe, daß dieser Kongreß dazu einen Anstoß geben wird. Ermutigend sind auch Stellungnahmen der Friedensnobelpreisträger, die an diesen Kongreß gerichtet wurden. Zu ihnen gehören:

Bischof Desmond Tutu, der Vorsitzende der Wahrheitskommission in Südafrika, Friedrich de Klerk, der ehemalige Präsident Südafrikas, Bischof José Ramos-Horta aus Timor, Dr. Oscar Arias, der ehemalige Präsident Costa Ricas, Simon Peres, Jassir Arafat, seine Heiligkeit der Dalai Lama, Pierre Sané, der Generalsekretär von Amnesty International, Robert O. Muller und Thomas Gebauer für die internationale Antiminenkampagne, die alle in jüngster Vergangenheit für ihr friedenspolitisches Engagement mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden, sowie die Träger des alternativen Nobelpreises: Felicia Langer und Johan Galtung

Sie unterstützen in ihren Stellungnahmen das politische Anliegen dieses Kongresses und wünschen den Kongreßteilnehmerinnen und -teilnehmern viel Erfolg.

Oscar Arias unterstreicht in seiner Stellungnahme die besondere Bedeutung "des Kampfes gegen die Armut auf der ganzen Welt. ... Um eine Befreiung von weltweitem Hunger zu erreichen, müssen wir für Abrüstung und Reduzierung von Militärausgaben eintreten". Die Abschaffung von Armeen, schreibt Arias "ist keine utopische Idee".

Bischof Ramos-Horta hebt hervor: "Frieden ist möglich, wenn Menschen lernen, einander zu respektieren und zu verstehen, gerade auch wegen unserer Unterschiede. ... Eine Friedenskultur muß durch Erziehung auf allen Ebenen gefördert werden, besonders im frühen Alter unserer Kinder, zu Hause, im Kindergarten, in der Schule und an den Universitäten."

Ramos-Horta ist uneingeschränkt zuzustimmen. Angesichts dieser Wahrheit ist es, meine Damen und Herren, ein Skandal, daß für die Erziehung zum Krieg gegenwärtig jährlich weltweit mehrere hundert Milliarden US-Dollar, für die Erziehung zum Frieden jedoch so gut wie keine Ressourcen bereitgestellt werden.

Bischof Tutu richtet an uns in seiner Grußadresse folgende Gedanken: "Ich möchte ganz kategorisch sagen, daß der Einsatz von Gewalt als Mittel zur Herbeiführung eines positiven sozialen Wandels völlig gescheitert ist. Gewalt bringt Gewalt mit sich und in unserer Angst voreinander verlieren wir unsere Menschlichkeit. Wir werden ganz Mensch durch Großzügigkeit. Alle vernünftigen Menschen kennen die Welt, die wir uns wünschen, aber wir sind wie Vögel, die Angst vorm fliegen haben, wir zittern kurz davor und verstecken uns hinter einer falschen Sicherheit von Waffen und Vernichtungsmitteln. Wenn wir nur herauskommen und aufeinander zugehen würden, würden wir entdecken, wie wir uns aufschwingen könnten. Wir sind für die Liebe und für das Lachen gemacht, für die Sorge und das Teilen, für das Licht und die Hoffnung, nicht für die Dunkelheit und die Verzweiflung".

Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen denen danken, die diesen Kongreß möglich gemacht haben. (...)

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Mohssen Massarrat ist Professor i. R. der Universität Osnabrück mit wissenschaftlichen und politischen Schwerpunkten in den Bereichen Wirtschaft und Gesellschaft, Internationale Beziehungen, Krieg und Frieden, Mittlerer und Naher Osten und Mitbegründer der Initiative Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten (KSZMNO).