G8 und die große Integration

Frauen - "Schlüsselgestalten" für Armutsbekämpfung und Wachstum

von Christa Wichterich

Frauen aus den Ländern des globalen Südens beschrieben in der Vergangenheit ihre Erfahrung mit "Entwicklung" häufig mit einer Metapher: ein Zug rollt in der Ferne am Horizont vorbei; wenn die Frauen ihr Dorf verlassen und sich dem Zug nähern, rast er davon. Immer häufiger aber werden Päckchen aus dem Zug geworfen und die Frauen sammeln sie auf: in manchen sind Mikro-Kredite, in anderen kleine Kaninchen, die von den Frauen als "einkommenschaffende Maßnahme" aufgezogen werden sollen, in anderen Stick- und Stricknadeln oder gar ein Nähmaschine. Während die Frauen die Päckchen auspacken, verschwinden in dem Zug immer mehr lokale Ressourcen, von denen die Frauen bisher lebten, z.B. Wald, Land, Fisch, Heilkräuter. Mit wachsendem Tempo aber hinterlässt der Zug auch zunehmend Zerstörung entlang seiner Route, sodass die Frauen viel Aufräumarbeit zu leisten haben. Trotzdem laufen sie dem Zug immer wieder hinterher und versuchen aufzuspringen, denn er soll Wohlstand, Konsum und das gute Leben an Bord haben.

Aus dem Zug der Entwicklung ist der Zug der Globalisierung geworden, und die rast nicht einfach vorbei, sondern krempelt weltweit die Ökonomien, die geschlechtsspezifische und die internationale Arbeitsteilung und das Verhältnis von Produktion und sozialer Reproduktion um. Marktöffnung und Freihandel integrieren immer mehr Frauen in die globalen Wertschöpfungsketten, in die globalen Versorgungsströme und Angebots- und Informationsautobahnen. Seit Jahren gibt es einen Trend zur Feminisierung der Beschäftigung, was zweierlei bedeutet: zum einen steigt die Erwerbsrate von Frauen, während die von Männern sinkt, zum zweiten verbreiten sich sogenannte "weibliche" Beschäftigungsformen, flexible, informelle, befristete, niedrigentlohnte Teilzeit-, Saison- und Leiharbeit. In Bulgarien zum Beispiel leben ganze Regionen von der Frauenarbeit in Textilfabriken und von Migrantinnen, die in Westeuropa als Sexarbeiterinnen ihr Geld verdienen.

So ist auch die Rede von einer Feminisierung der Migration, was ebenfalls zweierlei beleuchtet: die Hälfte aller Migranten sind Frauen, und durch sie wird weltweit die unbezahlte Versorgungsarbeit in den privaten Haushalten von der Kinderbetreuung bis zur Altenpflege neu organisiert und als bezahlte Arbeit in den Markt integriert. Neue globale Sorgeketten spannen sich um den Erdball: die Philippina ohne Dokumente putzt in Deutschland Büros und Klos, niedrigentlohnt und in ständiger Angst vor Abschiebung, während zu Hause eine Tante oder Nachbarin die Betreuung ihrer eigenen Kinder für eine paar Euro im Monat übernimmt.

Wenn wir beim Bild des Zuges bleiben, dann fahren jetzt immer mehr Frauen im Zug mit, die meisten in prekären und marginalen Positionen, immer davon bedroht, wieder herauszufallen, einige schaffen aber auch den Aufstieg ins Gewinnerabteil.

Was hat nun die G8 mit dem Zug zu tun? Und was mit den Frauen?
Die G8 bestimmt die Richtung und das Tempo, mit der das neoliberale Projekt sich durchsetzt und der Markttotalitarismus sich die lokalen Formen des Überlebens, Arbeitens und Wirtschaftens gefügig macht. Sie setzt mit ihrer Wachstumshörigkeit die Leitlinien, wie die Agenda der Marktliberalisierung, der Privatisierung und des Freihandels vorangetrieben werden kann, wie die notwendigen Ressourcen gesichert, welche Grenzen durchlässig und welche betoniert werden, wie viel Sozial- und Armutspolitik notwendig ist, damit die sozialen Ungleichheiten den gesellschaftlichen Frieden nicht aufsprengen und möglichst viele in das Projekt integriert werden.

Auch wenn Frauen- und Geschlechterfragen auf der G8-Agenda nicht auftauchen, so spielen Frauen derzeit eine bedeutende Rolle für die Globalisierung des neoliberalen Projekts. Zum einen werden auf ihrem Rücken als Billigarbeiterinnen und Flexibilisierungspool auf den Arbeitsmärkten Kostensenkung und Deregulierung durchgesetzt. Zum zweiten soll - so verkündete die Weltbank kürzlich zum xten Mal - das wirtschaftliche Empowerment von Frauen zu Wachstum und Armutsreduktion führen. Damit könnten die Frauen zwei Hauptanliegen der G8 gleichzeitig bedienen. Die Weltbank gibt dem Ganzen den sexy Titel "Gender Equality as Smart Economics". BMZ-Ministerin Wieczorek-Zeul ist Schirmfrau dieses neuen Gender-Aktionsplans der Weltbank und hat offenbar gerade die Frauen für ihre Politik entdeckt.

Nun kann niemand was gegen Geschlechtergleichstellung in der Wirtschaft haben. Schließlich ist dies eine noch immer uneingelöste Forderung feministischer Emanzipationskämpfe. Doch wie sollen die Frauen gleichzeitig "Schlüsselgestalten" (Wieczorek-Zeul) sowohl für die Armutsbekämpfung als auch für das Wachstum sein?

Dafür hat die neoliberale Politik in den vergangenen Jahren einen ideologischen Topos und einen passenden Instrumentenkasten entwickelt. "Eigenverantwortung" heißt die Zauberformel, und die wichtigsten Instrumente in den Ländern des Südens sind Mikrokredite, einkommenschaffende Aktivitäten und Selbstbeschäftigung. (Im Norden sind es übrigens Mini-Jobs, Ich-AGs und Kinderhorte.) Die Botschaft an die Armen ist: unternehmt etwas, dann seid ihr vollwertige Marktbürgerinnen.

In Indien zum Beispiel sind Kleinkreditprogramme zum Synonym für Selbsthilfe geworden. Früher waren die Selbsthilfegruppen der Ort für die Politisierung der Überlebens- und der Geschlechterfrage: wem gehört das Land, das Wasser, das Saatgut, der Körper der Frauen, die Arbeit der Frauen, die Macht im Dorf. Jetzt dreht sich alles um das eine: wer bekommt einen Kredit?

Zunehmend bieten Unternehmen aus der Stadt Frauen auf dem Land ein Franchise-System als einkommensschaffende Maßnahme an: sie sollen im Dorf einen Kiosk eröffnen und die Waschmittel und Speiseöle der Konzerne verkaufen. Eine Selbsthilfegruppe in Tamil Nadu, die einen "Mini-Supermarkt" am Rande einer Kleinstadt betreibt, war von dem Konzernangebot begeistert, weil die Frauen in TV-Serien gesehen hatten, dass Mittelschichtfrauen in der Stadt immer in Supermärkten einkaufen, wo alle Produkte sauber verpackt und verschweißt sind. Also verkaufen sie jetzt schön verpackte Produkte aus der Stadt - nicht aber die unverpackten Produkte, die die Frauen in den Dörfern herstellen: Gewürze und Kräuter, selbstgepresstes Öl, Bananenchips oder Fettgebackenes. Die neuen Supermarktbetreiberinnen konkurrieren mit den Konzernwaren gegen die dörfliche Ökonomie, gegen die Kleinbäuerinnen, lokalen Produzentinnen und Straßenhändlerinnen. Auch Bleichcreme, um die Haut aufzuhellen, und Coca Cola haben sie in ihr Sortiment aufgenommen. Gegen Bleichcremes für die dunkelhäutigen Frauen aus den unteren Kasten ziehen Frauenorganisationen seit Jahren zu Felde und gegen den Multi Coca Cola, der nicht weit von dem Supermarkt entfernt den Dörfern das Trinkwasser für ihre Flaschenwasserproduktion wegpumpen, führen die Dorffrauen einen verzweifelten Kampf, weil die Trinkwasserversorgung der Familie ihre Aufgabe ist.

So ist der Supermarkt der Frauengruppe in Tamil Nadu ein Instrument zur Durchsetzung der markttotalitären Botschaft: There is no alternative. Auch zur Gleichstellung soll es keine Alternative außerhalb der Märkte und ihrer Wettbewerbsregeln geben, will die Weltbank glauben machen. Informelle Arbeit und Fraueninitiativen sollen allesamt in den Markt integriert werden. Das ökonomische Empowerment, das sie Frauen durch Zugang zu Arbeits-, Finanz-, Produkt- und Landmärkten verspricht, stellt eine marktförmige Ökonomisierung der Geschlechterfrage dar und schließt gleichzeitig alternative solidarischere Formen des Wirtschaftens aus. Die frühere Politisierung der Geschlechter- und der Überlebensfrage verschwindet im Windkanal des Marktzugangs. Genau das nennt die Bank "smarte Ökonomie".

Das BMZ organisierte im Februar in Berlin eine "hochrangige" Konferenz, um aus dem Aktionsplan der Weltbank eine Vorlage zu Gleichberechtigung für den G8-Gipfel zu machen. In einem "Handlungsaufruf" verpflichtet es sich, in den Zug der Weltbank einzusteigen und sich für die "wirtschaftliche Teilhabe" von Frauen stark zu machen ... auf dass das ökonomische Empowerment der Frauen das smarte Funktionieren der neoliberalen Märkte stärke.

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Christa Wichterich ist Soziologin und arbeitet als freiberufliche Publizistin, Buchautorin, Lehrbeauftragte an Universitäten und als Beraterin in der Entwicklungszusammenarbeit. Arbeitsschwerpunkte. Globalisierung und Gender, Frauenarbeit, internationale Frauenpolitik, Frauenbewegungen, Ökologie. Sie ist im wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland und arbeitet bei Women in Development Europe (WIDE) mit.