Eine wichtige friedenspolitische Neuerscheinung

„Frieden durch Recht?“

von Martin Singe

Das 2010 im Berliner Wissenschaftsverlag erschienene Buch „Frieden durch Recht?“ geht auf die gleichnamige Tagung der IALANA (Naturwissenschaftler gegen den Atomkrieg), der Neuen Richtervereinigung und anderen im Juni 2009 in Berlin zurück. Herausgeber sind Peter Becker, Reiner Braun und Dieter Deiseroth. Es handelt sich um ein sehr wichtiges Werk für die Friedensbewegung, da die vielfältigen Beiträge aus friedenspolitischer Sicht geschrieben wurden. Hier ist alles versammelt, was in der völker- und verfassungsrechtlichen Debatte für die Friedensbewegung relevant ist.

Das Werk ist in sechs größere Teile gegliedert: Nach drei grundsätzlichen einleitenden Beiträgen zur Frage „Frieden durch Recht“ folgen neun Aufsätze zu „Nuklearwaffen und Recht“, auch aus internationaler Sicht. Der dritte Teil ist überschrieben mit „Europa, Frieden und Recht“. Die folgenden Teile untersuchen das völkerrechtlich grundlegende Gewaltverbot, diskutieren ausführlich die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen völkerrechts- und verfassungswidriges Handeln von Regierungen und fragen nach dem Aufbau eines Netzwerks Friedensrecht.

Regierungen und Gerichte missachten friedensrechtliche Gebote
Gleich in der Einleitung konstatieren die Herausgeber eine Erosion des Friedensrechts in der Gegenwart: „Gerade die Normen des Völkerrechts, die auf die Bewahrung und Schaffung des Friedens ausgerichtet sind, aber auch die Gewaltverbote und Friedensgebote des nationalen Rechts, werden immer wieder missachtet, gerade auch von denen, die einen Amtseid auf die Verfassung und damit zugleich auch auf das geltende Völkerrecht geleistet haben. Dies geschieht nicht nur durch die Regierungen und Exekutivorgane, die sich in ihrer Außenpolitik nach ihren Worten immer nur für ’den Frieden’ einsetzen. Es gilt auch für Gerichte und Strafverfolgungsorgane, deren Entscheidungen friedensrechtliche Gebote übersehen, übergehen oder gar missachten.“ Als Beispiele werden u.a. aufgezählt: der Jugoslawienkrieg 1999, die Unterstützung des Irak-Krieges 2003, Folterunterstützung im Anti-Terror-Krieg, die Verweigerung nuklearer Abrüstung gemäß Sperrvertrag.

Angesichts dieser Erfahrungen untersuchen die Autorinnen und Autoren in den 35 Beiträgen des Bandes, wie „die  konkreten Inhalte und Funktion(en) des Friedensgebotes des Grundgesetzes und des geltenden Völkerrechts neu zu vermessen“ seien. Gefragt wird auch danach, ob „Friedensrecht“ als ein neues Rechtsgebiet geschaffen werden sollte: „Könnte so allgemein und insbesondere den Rechtsanwendern auch besser bewusst gemacht werden, welche friedensrechtlich relevante Normen höherrangigen Rechts sie in ihrer Berufspraxis bei der Anwendung einfachen Rechts beachten müssen“.

Völkerrecht als wirksame Waffe des Machtlosen
Für die Friedensbewegung gibt das Buch eine Menge Hinweise für Möglichkeiten, auch rechtlich tätig zu werden. Herausheben möchte ich hier nur einen Beitrag von Peter Becker (Gründungsmitglied der IALANA. Er stellt die Frage, ob es eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen verfassungswidrige Kriegsführung gebe. Dazu untersucht er die nationalen und völkerrechtlichen Friedensgebote und Gewaltverbote. Peter Becker bejaht die Frage, ob auch dem einzelnen Bürger ein Anspruch darauf zukomme, vom Staat Unterlassungen von Handlungen zu verlangen, die gegen Artikel 25 und/oder 26 Grundgesetz verstoßen. Er diskutiert die aus seiner Rechtsanalyse folgenden Konsequenzen u.a. hinsichtlich der Kriege gegen Jugoslawien, Irak und Afghanistan sowie in Bezug auf die Atomwaffenfrage.

Artikel 25 Grundgesetz sei aus diesem Anlass noch einmal in Erinnerung gerufen: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Becker zitiert in diesem Kontext Carlo Schmid aus der Debatte im Parlamentarischen Rat 1948: „Den weiteren Schritt, den wir tun sollten, ist abzuweichen von der bisherigen Doktrin des Völkerrechts, wonach das Völkerrecht nur adressiert ist an die Staaten und nicht an die einzelnen Individuen ...“ (hier S. 231). Auch wenn von Gerichten – wie viele Rechts- und Strafverfolgungsverfahren der Friedensbewegung zeigen – das übergeordnete Friedensrecht immer wieder missachtet wird, sollten wir nicht aufgeben, und das einfordern, was Carlo Schmid bereits 1948 feststellte: „Die einzige wirksame Waffe des ganz Machtlosen ist das Recht, das Völkerrecht. Die Verrechtlichung eines Teils des Politischen kann die einzige Chance in der Hand des Machtlosen sein, die Macht des Übermächtigen in ihre Grenzen zu zwingen.“ (ebd.) – Nutzen wir die Chancen des Rechts in der Friedensbewegung. Das Buch gibt eine Menge von konkreten Anregungen und kann unser aller Rechtsbewusstsein in Friedensfragen schärfen helfen.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".