Keinen neuen Kalten Krieg in Europa!

Friedensbewegung und INF-Vertrag

von Marion Küpker
Schwerpunkt
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US-Präsident Trump kündigte Anfang Februar den für Europas Sicherheit wichtigen Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) - zum 2. August 2019 - auf. Der russische Präsident Putin setzte, als Reaktion darauf, selbst den INF-Vertrag aus. Nach Fertigstellung der US-Aegis- und THAAD-Raketenabwehrsysteme (in Polen, Rumänien und THAAD, letztere mobil voraussichtlich für Deutschland) soll nun auch der Weg für die Stationierung neuer nuklearer Marschflugkörper in Europa geebnet werden.
Ende Oktober 2017 bezifferte die „Kongress-Geschäftsstelle für den US-Haushaltsetat" (Congressional Budget Office) die veranschlagten Kosten der US-Atomwaffenaufrüstung für die kommenden 30 Jahre auf mittlerweile 1,2 Billionen US-Dollar. Es handelt sich nicht um eine größere Sympathie gegenüber der Politik Russlands, wenn hier stärker der Blick auf die US-Politik gerichtet wird, sondern um die realistische Einschätzung einer Kriegsangriffsgefahr durch ein militärisch stark überlegenes US-Militär, unterstützt durch das Militärbündnis NATO, das unter US-Hegemonie steht. Die immens größeren US-Rüstungsausgaben, die über dem Zehnfachen der russischen Militärausgaben liegen, können bei SIPRI, dem Stockholmer Internationalen Institut über die weltweiten Militärausgaben, nachgelesen werden. Auch wenn alle Atomwaffenstaaten weiter aufrüsten: Der sich verselbstständigte militärisch-industrielle Komplex mit seinen ca. 800 US-Militärbasen (außerhalb des eigenen Landes) lassen bei den heute tief verschuldeten USA auf nichts Gutes hoffen.

So schockte auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz der rechte US-Vizepräsident Mike Pence die anwesenden EuropäerInnen mit Präsident Trumps neuer amerikanischer Raketenabwehrstrategie, die wie eine reine Kriegserklärung aussieht. Siehe dazu die Monitor-Sendung vom 21.02.2019 „Hochrüsten um jeden Preis: Die neuen nuklearen Pläne der USA“. Es sind die Pläne von Trumps Sicherheitsberater John Bolton, der Falke unter den Falken: Pläne, die sich eindeutig gegen Russland und auf regionale und damit hier in Europa stattfindende Atomkriege richten. Gerhard Piper, Publizist und Politikwissenschaftler, schrieb dazu aktuell in Telepolis: „In der Sendung [Monitor] fordert Elbridge A. Colby, der bis 2018 Chefstratege im Pentagon war, und nun als Director for Defense Plans am Center for a New American Security (CNAS) in Washington arbeitet, ‚die richtige Strategie und die richtigen Waffen, um einen begrenzten Atomkrieg zu führen und zu gewinnen‘. Und: ‚Wir müssen bereit sein, Atomwaffen gezielt einzusetzen. Natürlich kann man die apokalyptische Gefahr solcher Waffen nicht komplett kontrollieren, aber wir sollten zu einem gezielten Einsatz bereit sein‘.“

Die Bundesregierung fährt aktuell den Kurs der Bündnistreue zur USA, indem sie einseitig Stellung gegen Russland bezieht, anstatt eine Entspannungspolitik zu betreiben, die die streitenden Parteien an den Verhandlungstisch drängen würde. Damit wächst auch die Gefahr eines möglichen Unfalls: Neue nukleare Mittelstreckenraketen, die voraussichtlich für die Raketenabwehr an der Grenze zu Russland aufgestellt werden, geben dem Gegenüber kaum Zeit für eine Entscheidung. So können falsche Computersignale hier der Weltuntergangsuhr der US-amerikanischen AtomwissenschaftlerInnen Recht geben. Es ist heute wieder zwei Minuten vor Zwölf, so spät oder gefährlich, wie es bisher nur ein Mal im Kalten Krieg war.

Nukleare Aufrüstung: Atomwaffenstützpunkt Büchel
Aktuell gibt es die erste Neuentwicklung einer US-amerikanischen Atomwaffe seit dem Ende des Kalten Krieges, die B61-12-Atombombe. Sie soll im Jahr 2020 in Serienproduktion gehen und ab 2024 die ältere Version (B61) u.a. in Büchel ersetzen. Unsere aktuell aus 67 Friedensorganisationen bestehende bundesweite Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ fordert von der Bundesregierung den Abzug der letzten Atomwaffen aus Büchel, die Unterzeichnung und Ratifizierung des UN-Atomwaffen-Verbotsvertrages, und eine Absage an die geplante nukleare Aufrüstung. Büchel ist der einzige Standort in Deutschland, wo heute (US-) Atombomben stationiert sind, vermutlich 20 an der Zahl. Dort (und gemeinsam in NATO-Manövern) üben deutsche Piloten im Rahmen der „nuklearen NATO-Teilhabe“ mit Bundeswehr-„Tornado“-Kampfjets, Atombomben ins Zielgebiet zu fliegen und abzuwerfen.

In Büchel finden vom 26. März bis 9. August 2019 zum vierten Mal seit 2016 unsere Proteste in Form einer 20-wöchigen Aktionspräsenz statt. Alle diese Aktionen, die zivilen Ungehorsam beinhalten, verfolgen das Ziel eines atomwaffenfreien Deutschlands. Weder darf die Bundeswehr an nuklearen NATO-Manövern teilnehmen, noch darf von hier aus (Ramstein und Büchel) ein US-Atomkrieg gegeführt werden. Die Proteste stehen für eine klare Absage an die nukleare Teilhabe der NATO und damit auch gegen einen nuklearen Ersteinsatz, der Teil der NATO-Doktrin ist. Sie steht für den Erhalt des INF-Vertrages. Mit unseren Prozess-Kampagnen legen wir den Finger in die Wunde: Die Atomwaffen in Büchel sind aus vielen Gründen gesetzeswidrig, und wir haben eine Verpflichtung, gegen dieses Unrecht Widerstand zu leisten. Wenn immer mehr Menschen den Weg durch die Gerichte wagen, haben wir eine Chance, wie damals in Mutlangen in den 1980er Jahren. Mutlangen war ein Symbolort für die Aufrüstung mit Massenvernichtungswaffen wie es Büchel heute ist. Dort protestierten tausende von Menschen gegen die Stationierung der Pershing II Mittelstreckenraketen mit Sitzblockaden. Der Druck der Friedensbewegung hatte einen Anteil daran, dass der INF-Vertrag geschlossen und die Pershing-Atomraketen abgezogen und vernichtet wurden. Atomare Abrüstung versucht jetzt unsere Kampagne am Symbolort Büchel zu erreichen, wofür wir gemeinsam mit der regionalen Gruppe „Initiativkreis gegen Atomwaffen“ des Versöhnungsbundes e.V. den diesjährigen Aachener Friedenspreis erhalten werden.

Dezentral rufen zudem Organisationen und Friedensgruppen aus unserem Kampagne-Trägerkreis am 1. Juni 2019 zum bundesweiten Aktionstag auf (in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Bonn, Frankfurt und München). Er richtet sich gegen die Aufkündigung des INF Vertrages, gegen ein neues atomares Wettrüsten und tritt für eine atomwaffenfreie Welt ein. Eine kostenlose Aktionspostkarte kann von Ohne Rüstung Leben e.V. - "Ich will in einem Europa ohne Atomwaffen leben" - online bestellt werden. Sie richtet sich an Bundesaußenminister Heiko Maas mit dem Ziel, die Aufkündigung des INF-Vertrages noch rückgängig zu machen.

Mayors for Peace
Die „Mayors for Peace“ (BürgermeisterInnen für den Frieden) ist eine weltweite Organisation, der 7.744 Städte (Stand April 2019) angehören. Deutschland steht nach dem Iran und Japan an dritter Stelle mit 650 Mitgliedsstädten. Auch bei den BürgermeisterInnen macht sich die neue Bedrohung durch die Aufkündigung des INF-Vertrages bemerkbar. Neu in diesem Jahr ist der ICAN-Städteappell: Bereits dreizehn Städte haben den „ICAN-Städteappell“ unterschrieben, der besagt, dass „Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten soll": Mainz, Wiesbaden, Marburg, Köln, Potsdam, München, Göttingen, Reinheim, Dortmund, Bremen, Schwerin, Düsseldorf und Kaiserslautern. Auch international ruft ICAN die Städte dazu auf, den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu unterstützen. Große Städte in Nordamerika (darunter die US-Regierungs-Stadt Washington DC), Europa und Australien haben den Appell schon unterzeichnet. Ein Verbot von Atomwaffen verbietet dann auch die nukleare Teilhabe.

Atomkrieg und Klimawandel
Das Militär ist der größte Klimakiller, was aber auch die größte Chance für nötige klimapolitische Alternativen bietet. 1,7 Billionen Dollar werden jährlich weltweit für die Rüstung ausgegeben. Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte sowie der Einsatz der Waffen, auch das Üben mit den Kampfflugzeugen, erzeugen u.a. riesige Mengen unsinniger CO2-Ausstöße. Allein ein Zehntel der Rüstungsausgaben reichen für einen ökologischen wirtschaftlichen Umbauprozess. Es gilt, den militärisch-industriellen Komplex für unsere Zukunft und die der zukünftigen Generationen abzubauen. Krieg ist obsolet! Solidarisch sind wir aktuell ganz besonders mit der jungen neuen pazifistischen Klimabewegung "Fridays for Future" und "Extinction Rebellion"!

Jugend in Aktion
Sehr ermutigend ist die 18-köpfige Jugend-Delegation der jungen Menschen aus Deutschland, die die Vorbereitungs-Konferenz (NPT PrepCom vom 29. April bis zum 10. Mai 2019) zur anstehenden Atomwaffensperrvertrags-Konferenz in 2020 (NPT), begleitete. Die jungen Menschen haben mit weiteren Jugend-Delegationen aus den USA, Neuseeland und Japan eine gemeinsame Rede erarbeitet, die von Mandy aus der deutschen Delegation am 1. Mai 2019 dort vorgetragen wurde. Ganz im Sinne von Greta und anderen Jüngeren, wie wir es im Moment in den Nachrichten über die Aktionärsversammlungen bei RWE (Kohleausstieg) und auch Bayer (Glyphosat/Monsantokauf) erleben. Auch beim Atomwaffen-Thema ist jetzt die nachfolgende Generation mit dabei. Diese Delegation ist eine Initiative der Pressehütte Mutlangen und der DFG-VK, die zum Trägerkreis unserer Kampagne gehören.

Die neue breite gesellschaftliche Mobilisierung für die Abrüstung von Atomwaffen ist von besonderer Wichtigkeit. Der Klimawandel und die Gefahr eines globalen Atomkrieges sind aktuell die größten Gefahren für die Menschheit!

Quellen
www.heise.de/tp/features/Provozierte-Eskalation-Kommt-das-US-Raketenabwe...
https://perspektive-online.net/2018/06/usa-wollen-raketenabwehrsystem-in...
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/inf-abruestungsvertrag-neue-u...
Kampagnenwebseiten: www.atomwaffenfrei.de und www.buechel-atombombenfrei.de

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Marion Küpker ist internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen.