Bericht über die Strategiekonferenz "Perspektiven für die Friedensarbeit" am 29./30. Juni 2002 in Bielefeld.

"Gemeinsam sind wir stärker"

von Wolfgang Menzel
Schwerpunkt
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Sie rappelt sich wieder auf - und gleichzeitig rappelt es im Karton. Seit einigen Monaten befindet sich die Friedensbewegung in Deutschland im Aufwind. Und schon gibt es interne Konflikte. Zehntausende demonstrierten unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September in Berlin und Stuttgart gegen den Rachefeldzug der USA in Afghanistan, fast 100.000 Menschen protestierten am 22. und 23. Mai in Berlin gegen die Außenpolitik der US-Regierung - gewaltfrei und phantasievoll. In 60 weiteren Städten gab es Anti-Bush Demos und Aktionen, die Medien berichteten bundesweit. Eindrucksvoll hat "die" deutsche Friedensbewegung ihre Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Doch hinter den Kulissen rumorte es heftig. Nicht wenige waren unzufrieden mit den politischen Aussagen der Aufrufe. Fühlten sich überfahren und von gleichberechtigter Mitwirkung ausgeschlossen. Finden die diversen Spektren der Friedensbewegung wieder zueinander oder droht die Spaltung? Waren die Bush-Demos Zeichen von Aufgruchstimmung oder Strohfeuer? Lässt sich mit den Protest-Konzepten der 80er-Jahre heute politisches Handeln nachhaltig beeinflussen? Wie kann es weitergehen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigten sich über 50 Aktivistinnen und Aktivisten aus der Friedens-, Dritte-Welt- und Umweltbewegung auf einer Tagung in Bielefeld, die von Netzwerk Friedenskooperative in Bonn organisiert wurde.

Es war keine Aktionskonferenz. Es wurden keine Beschlüsse gefasst, keine Resolutionen verabschiedet. Eine Konferenz auf der frei von Zwängen, Termin- und Ergebnisdruck nachgedacht und miteinander gesprochen werden sollte. Standortbestimmung. Viel graues Haar im Rund der Teilnehmenden, das Gros zwischen 40 und 70, kaum unter 30-Jährige. Das erste Manko der Friedensbewegung ist - unübersehbar - ihre Altersstruktur.
 

Obwohl die Friedensbewegung in den vergangenen 20 Jahren enorm viel geleistet hat, setze sich der Trend zur Militarisierung ungebremst fort, sagte Andreas Buro in seiner Einführung. Weder der Anti-Terror-Krieg noch immense Aufrüstung noch die Verletzung internationalen Rechts treffen in Europa auf massive Ablehnung, und obwohl ein erheblicher Teil der Bevölkerung diese Politik ablehnt, lässt er sich nicht mobilisieren. "Wie kann die aktuelle Empörung in dauerhaftes Engagement überführt werden? Wie können wir Motivation für langfristige Projekte wecken?", fragte Buro. Seine Antwort: Zuspitzungen finden, Teilziele mit Symbolwert definieren und um ihre Durchsetzung kämpfen, und zwar mit einer Dramaturgie, die auch die Gefühle der Menschen anspricht.

Emotionen wecken, das tun zurzeit die anderen. Angst wird erzeugt - nicht vor Atom,-, Bio- und Chemiewaffen an sich, sondern vor vermeintlichen Schurkenstaaten, denen man den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zutraut. Es werden aber noch andere Feindbilder entworfen. Reiner Braun, Sprecher der Naturwissenchaftler-Initiative, referierte die Thesen von Prof. Dr. Arno Klönne zu den rechtspopulistischen Strömungen in Europa. Laut Klönne konstruieren sie Feindbilder mit dem Ziel, bestimmte Gruppen von der gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. Gleichzeitig lenken sie von den tatsächlichen Gewinnern der neoliberalen Globalisierung ab und verstärken die Akzeptanz von und Bereitschaft zur Gewalt in der Gesellschaft. Die Kritik der Friedensbewegung müsse dabei, so Klönne, differenziert sein und sich abgrenzen von der rechtspopulistischen Kritik an der EU und den USA. Eine nur reaktive Friedensbewegung ohne Verankerung in der Jugend werde zunehmend wirkungslos

Einen umfassenden Überblick über die Diskussionen zu geben, ist einer von Netzwerk Friedenskooperative zu erstellenden Tagungsdokumentation vorbehalten. Die inhaltliche Breite und Vielfalt der sich meist auf hohem Niveau bewegenden Beiträge spiegelte die Vielfalt der Bewegung wider - und ihre unterschiedlichen analytischen und methodischen Ansätze. Es wurde auch nicht mit Selbstkritik gespart. Wie könne man das große Potential der unter 20-Jährigen für die Friedensarbeit nutzen, die eine neue Radikalität auszeichne, wurde gefragt. Auch das Verhältnis zu politischen Parteien wurde kontrovers diskutiert. Einigkeit herrschte darin, dass gerade diejenigen, die gehofft hatten, die rot-grüne Bundesregierung Regierung würde neue Akzente in der Friedens- und Sicherheitspolitik setzen, zum Teil bitter enttäuscht wurden.

Am Abend wurde unter dem Motto "Stärke aus der Vielfalt? Was trennt und vereint die verschiedenen Spektren der Friedens- und Antikriegsbewegung?" stärker kontrovers diskutiert und leidenschaftlicher gestritten. Insbesondere der schon länger schwelende Konflikt zwischen dem Netzwerk Friedenskooperative und dem Kassler Friedensratschlag kam offen zur Sprache. Die Konfliktlinien wurden deutlich herausgearbeitet, aber noch nicht überwunden. Allen Spektren und Gruppen gemeinsam sei die Ablehnung des Nato-Krieges gegen Jugoslawien und des Afgahnistan-Krieges sowie die Ablehnung von Aufrüstung und Umrüstung, meinte Christine Schweizer (Zeitschrift FriedensForum). Fast alle wollten zivile Konfliktbearbeitung, eine Orientierung der Politik an internationalem Recht, kritisierten die globale Wirtschaft, lehnten Gewalt als Mittel in der politischen Auseinandersetzung ab und akzeptierten zivilen Ungehorsam als Aktionsform. Als strittig nannte Christine Schweizer die Kriegsursachenanalyse sowie weitere Aspekte in der politischen Analyse, die Beurteilung des Terrorismus (Ursachen, Folgen) sowie die Festlegung auf Kampagnenschwerpunkte. Und hier liegt der Hase im Friedenspfeffer. Denn obwohl der Wille zum gemeinsamen Handeln vorhanden, eine breite, einheitliche Friedensbewegung lässt sich nicht einfach proklamieren.

Statt Parallelstrukturen aufzubauen - hier der Kasseler Friedensratschlag, dort das Bonner Netzwerk Friedenskooperative, möge sich die Friedensbewegung eine neue, auf Kooperation, Transparenz und Partizipation gründende neue Struktur geben, lautete die mehrheitlich erhobene Forderung. Diese neue Struktur müsse sich auszeichnen durch größtmögliche politische Breite, basisdemokratische Mitgestaltung und schnelle Koordinierung (Mobilisierungsfähigkeit). Ein Gedanke, der in den Diskussionen des Folgetages kreativ weiterentwickelt werden sollte.

Am zweiten Tag wurde stärker über Mobilisierungs- und Arbeitsansätze gesprochen. Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie) warf einen feministisch-weiblichen Blick auf die Friedensbewegung. Ihre teilweise sehr grundsätzliche, radikale Kritik provozierte zahlreiche Wortmeldungen, sodass die späteren Diskussionen unter Zeitdruck geführt werden mussten. Doch wo, wenn nicht auf solch einer Tagung, ist Raum für dieses wichtiges Thema? So wie pazifistische Konzepte (Zivile Konfliktbearbeitung, Zivile Friedensdienste) für eine militärgestützte, gewaltbasierte Außenpolitik instrumentalisiert würden, würden auch Frauen und die Frauenbewegung für die neuen Aufgaben des Militärs instrumentalisiert, führte Elke Steven aus. Frauen in der Bundeswehr signalisierten die Normalität des Berufs des Soldaten bzw. der Soldatin. Im Zuge der Integration von Frauen mit ihren besonderen Kompetenzen in Nachbereitung und Nachsorge sowie ihrer Empathiefähigkeit lenke das Militär geschickt vom wahren Charakter der Kriegführung (das Zerstören von Dingen und Töten von Menschen, die zu Feinden erklärt werden) ab und betone die "Friedfertigkeit" seiner Absichten und Handlungen. Besonders perfide sei dabei, dass von den Herrschenden zunehmend der Schutz von Frauen als Rechtfertigungsargument für Kriege angeführt werde. Auch in dieser streotypen, von den Medien verbreiteten Sichtweise sind Frauen weiterhin die Opfer, während Männer als Handelnde (und Befehlshaber) erscheinen.

Die Rolle der Frauen in der Friedensbewegung unterscheide sich davon wesentlich, sind es doch hier oftmals und gerade die Frauen, von denen die Initiative für nachhaltiges friedensstiftendes und konfliktlösendes Handeln ausgeht (Soldatenmütter und "Frauen in Schwarz", die Atomwaffengegnerinnen von Greenham Common). In der ausführlichen und intensiven Diskussion wurde noch einmal betont, dass es nicht um die Geschlechterkomplementarität im geschlechtlich-biologischen Sinne gehe, sondern um die Überwindung traditioneller Rollenbilder und Rollenprägungen.

Unter welcher "gemeinsamen Überschrift" könnte sich heute die deutsche Friedensbewegung wiederfinden? Und wer kann und darf eine solche Überschrift formulieren? Dies waren die Leitfragen der Abschlussdiskussion. Ulrich Wohland (Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden) regte die Einrichtung eines Konsultationskreises der Friedensbewegung an, der Empfehlungen für Arbeits- und Aktionsschwerpunkte aussprechen und damit zu einer (wünschenswerten) Focussierung beitragen könnte. Dem wurde im Prinzip nicht widersprochen. Dass es wünschenswert ist, wenn es für einen begrenzten Zeitraum eine gemeinsame Kampagne der Friedensbewegung gibt, war wohl allen klar. Ebenso die Einsicht in die Notwendigkeit eines Konsultationsorgans, das die Schwerpunktsetzung als Empfehlung ausspricht, sich selbst als Impulsgeber und nicht als Entscheidungsgremium sieht. Neben der Konsutationsebene ("think tank"), die langfristige Prozesse und Strategien reflektiert (z.B. die Gefahr des Rechtspopulismus) ist es auch eine Aktionsebene denkbar, auf der konkrete Projekte wie z.B. Aktionen gegen den Irak-Krieg (als erstem "Präventivkrieg" der neuen Weltordnung) angeregt und koordiniert werden könnten.

Eine kleine Arbeitsgruppe (Christine Schweitzer, Mani Stenner, Peter Strutynsky) wurde gebeten, ein Diskussionspapier zur Neustrukturierung der Friedensbewegung zu erarbeiten. Und Andreas Buro, seit Jahrzehnten ein Motor und Impulsgeber der deutschen Friedensbewegung, puzzelt schon an einer Formulierung für ein gemeinsames Motto. Sein Vorschlag, über den zusammen mit anderen auf einem Nachfolgetreffen zu beraten sein wird, lautet: "Krieg ist Terror! Für Frieden und globale Gerechtigkeit."

Die Thesenpapiere und Vorträge der Tagung sind im Internet abrufbar unter www.friedenskooperative.de

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