Beispiele und Trends in der Entwicklung gewaltfreier Handlungsmöglichkeiten in Konflikten Dritter

Gewaltfreie Intervention, ein Widerspruch in sich.

von Barbara Müller
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Die Diskussion über die Möglichkeiten, mit gewaltfreien Mitteln in Kon­flikte anderer Parteien einzugreifen, hat verschiedene Aspekte, die im Folgenden kurz angerissen werden sollen. Wichtige Weichenstellungen stecken bereits im unreflektierten Gebrauch des Begriffs "Intervention". Eine Klärung der Begrifflichkeit ist daher nötig und beinhaltet Festle­gungen über Ziele und Einsatzmöglichkeiten von "Eingreifkorps", die sich gewaltfreier Mittel bedienen.

Intervention - worum geht es?

"Intervention" wird gemeinhin assoziiert mit militärischem Eingreifen und mit der Anwendung von Zwang. Man kann noch hinzufügen: keine Intervention ohne dahinterstehende Interessen der Mächte, die die Intervention ausführen, oder, wenn man an die UNO denkt, der Mächte, die in der UNO bestimmen. Der unhinterfragte Gebrauch des Be­griffs verhindert ferner, daß die Struktu­ren offengelegt werden, in denen "Inter­ventionen" ihren Platz haben. Eine "In­tervention" fremder Mächte oder zwi­schenstaatlicher Organisationen zur Si­cherung der Menschenrechte in China ist genauso undenkbar wie eine "Inter­vention" derselben in der Bundes­repu­blik zum Überlebensschutz von Flücht­lingen bzw. eigenen Staatsange­hörigen. Ein "gewaltfrei" davor ändert weder an Strukturen noch an den Inter­essen et­was, sondern weckt Illusionen über die Mittel. Frühere Blauhelmein­sätze z.B. erfüllten zwar durchaus ge­waltfreie Funktionen von Puffern wie "Beobach­ten" und "Berichten" und ent­falteten vielfältige zivile Aktivitäten. Daraus entstand der Impuls, diesen zi­vilen Aspekt weiter auszubauen und da­für keine Soldaten, sondern ziviles Per­sonal einzustellen. Hinter diesen Einsät­zen steht aber nach wie vor die Drohung mit der Gewaltanwendung, falls der Kon­flikt eskaliert. Die Anwesenheit der Blauhelme oder zivilen Personals kann ins Kalkül der Konfliktparteien einbe­zogen werden, wenn diese nach der Ausweitung des Konflikts durch die Einbeziehung weiterer Konfliktparteien streben.

Natürlich können militärische Begriffe mit anderen Inhalten versehen werden und dann in einem anderen Sinne ge­braucht werden. Aber in der Diskussion über Formen gewaltfreien Eingreifens in Konflikte Dritter ist keine Eindeutigkeit zu erkennen, was die Ziele und Inhalte betrifft. Im Folgenden wird daher auf den Begriff Intervention verzichtet. Es wird von "Eingreifen" die Rede sein. Wer eingreift und mit welchen Mitteln und Aktionsmethoden, ist durchaus of­fen.

Gewaltfreies Eingreifen - was ist das?

In groben Umrissen lassen sich einige Grundmuster gewaltfreien Eingreifens in Konflikte Dritter beschreiben. Die Anwendung von Gewalt ist ausge­schlos­sen, die Handlungen der "EingreiferIn­nen" beziehen sich vor al­lem darauf, bedrohte Personen zu schüt­zen und Ak­tivitäten zu entfalten, um das Verhalten der Konfliktparteien zu dees­kalieren, bis eine direkte Kommunika­tion derselben über ihre Streitfragen in Gang kommt. Gandhis Vorstellung von einer lebenden "Mauer" von Menschen, die sich bei­spielsweise einer Invasion entgegen­stellen und dabei ihren Tod bewusst in Kauf nehmen sollten, be­schreibt die weitestgehend und seit ih­rer Formulie­rung umstrittene Aktions­form. Als überwiegend lokal tätige "Konfliktbera­terInnen" könnten die Konzeptionen der Shanti-Sena, der "Friedensbrigadisten" von Gandhi und Vinoba bezeichnet werden. Zusätzlich zur konstruktiven, konkreten Arbeit zur Vorbeugung und Vermittlung von Kon­flikten am Hei­matort trat ein Element des "Einmi­schens" in Konflikte, die sich in einem eskalierteren Zustand be­fanden. Fähig­keit zur Konflikt- und Si­tuationsanalyse, eine eigene Orientie­rung an Gewaltfrei­heit, Mediation und Unparteilichkeit machen einige der we­sentlichen Ein­stellungen und Fertigkei­ten aus.

Zur Zielbestimmung gewaltfreien Eingreifens: gegen Unrecht? - auf Be­stellung? - statt Marines? - statt Blau­helmen?

Keine Klarheit besteht über die Ziele des Eingreifens. Als Möglichkeiten kommt, in Anlehnung an die Internatio­nalen Friedensbrigaden (Peace Brigades International, PBI), der Abbau von Un­gerechtigkeit in Betracht. Dafür hat PBI eine typische Form der Anwesenheit von kleinen Freiwilligenteams entwickelt. Sie prüfen Anfragen nach Schutz und begleiten bedrohte Personen. Inzwi­schen wandeln sich die Aufgaben hin zu konstruktiver Arbeit einerseits und rei­ner Eskortierung andererseits und die Anfragen steigen. PBI steht vor der Ent­scheidung, die Tätigkeitsbereiche aus­zuweiten, Arbeitsteilung mit anderen Organisationen einzugehen oder sich zu spezialisieren. Der Aufbau sozialer Ge­rechtigkeit stand ebenso für die kon­struktive Arbeit der Shanti Sena zentral.

Für einen "guten Zweck" sollen sicher­lich die Zivilpersonen der österreichi­schen Blauhelme eingesetzt werden. Als Bestandteile von UNO-Truppen können sie sich vermutlich nicht deren Restrik­tionen entziehen und einen Einsatz dort durchsetzen, wo es ihrer Ansicht nach sinnvoll erscheint, aber die UNO kein Mandat erteilt.

Letztlich unklar ist die Zielbestimmung ebenfalls beim "Zivilen Friedensdienst". Soll der Außenminister einen Einsatz anordnen können? Sollen die Organisa­tionen, die Freiwillige oder Verpflich­te­te stellen, Einsätze vorschlagen? Was ist, wenn ein Einsatz vom Standpunkt des Zivilen Friedensdienstes aus wün­schenswert wäre, aber mit den Interes­sen der Bundesregierung nicht vereinbar ist?

Traditionen gewaltfreien Eingreifens - Beispiele

Unabhängig von der instrumentalisier­ten Debatte um die moralische Notwen­digkeit einer militärischen Intervention im ehemaligen Jugoslawien stellt die veränderte weltpolitische Situation neue Herausforderungen an diejenigen, die sich der Entwicklung friedlicher und menschlicher Zustände verpflichtet füh­len. Angesichts der Erkenntnis, daß Kriege wieder führbar geworden sind, besteht die Herausforderung darin, wie diese ge­stoppt oder ihr Ausbrechen ver­hindert werden kann. In der Tradition gewalt­freier Konfliktaustra­gung gibt es Erfah­rungen mit dem Eingreifen in Konflikte Dritter, auf denen aufgebaut werden kann. Einige seien hier genannt:

um 1680: QuäkerInnen handeln ein dau­erhaftes Zusammenleben zwi­schen Weißen und Indianern aus. Der Staat Pennsylvania entsteht ohne blutige Auseinandersetzung, die mit beiden Seiten ausgehandelte Verfas­sung wird zum Vorbild der US-Ver­fassung.

Um 1910 entsteht in England der Ser­vice Civil International, ein Freiwil­ligenverband, der mit aufbauender und versöhnender Arbeit versucht, Konflikte im Vorfeld von Kriegen politisch zu lösen.

1931/32: Peace-Army aus un­bewaffneten Freiwilligen anläßlich des Krieges in der Mandschurei. Ein­sätze in den 30er Jahren in Palästina und Indien.

1938: Vorschlag Gandhis, "Peace Bri­gades" zu gründen.

1957: Vinoba Bhave, ein Schüler Gand­his, baut die "Shanti Sena" auf.

1961/62: Die Weltfriedensbri­gade wird in Beirut gegründet, Akti­vitäten im Nagaland und in Zypern.

1981: Neugründung der "Peace Bri­gades International", seitdem ver­schiedene weltweite Einsätze.

80er Jahre: Die Sicherung der Grenzen Nicaraguas gegen einen be­fürchteten Einmarsch amerikanischer Truppen durch die "Peace Witness".

1990/91: Golfkrise und -krieg: Gulf Peace Team und Initiative Frie­den am Golf.

Seit 1991: Verschiedene Aktio­nen ge­gen den Krieg im ehemaligen Jugo­slawien mit Märschen (Friedenskarawane) und Besuchen (Dezember 1992 in Sarajewo), Flüchtlingshilfe im Land bzw. in der Bundesrepublik, Mediationstraining auf Anfrage mit Gruppen im den ver­schiedenen Regionen, Bemühungen um Kriegsverhinderung im Kosovo.

1993: 75 ausgebildete, internationale BeobachterInnen begleiten 3000 guatemaltekische Flüchtlinge zurück in ihre Heimat.

Ziviler Friedensdienst

Eine entsprechende Anfrage der Kir­chenleitung der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg bei den Frie­densorganisationen in der Bundesrepu­blik hat die Diskussion um einen Zivilen Friedensdienst neu belebt. Diese Dis­kussion ist in der gewaltfreien Bewe­gung nicht neu und reicht dort bis in die 60er Jahre zurück. Derzeit wird an der Konkretisierung der Vorstellungen be­züglich Einsatzmöglichkeiten, Ausbil­dung etc. gearbeitet. Heikle Punkte in der Diskussion werden die Fragen nach der Verfügbarkeit über die "Dienstlei­stenden", der Entscheidung über den Einsatz und der Verpflichtung zum Ein­satz sein. Nachdem eine ganze Reihe von Organisationen, Gruppen und Ein­zelpersonen zur Anfrage Bischof Kruses Stellung genommen hatten, traf sich am 26.3. die Arbeitsgruppe "Ziviler Frie­densdienst" im BSV zu einem drei­stündigen Gespräch mit der Kirchenlei­tung und man beschloß, weiter im Ge­spräch zu bleiben.

Gewaltfreies Eingreifen in aktuelle Konflikte

Unabhängig von der Diskussion um den Friedensdienst gehen die Bemühungen weiter, in aktuellen Konflikten die ge­waltfreien Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. In diesem Zusammenhang sind zur Kriegsvorbeugung im Kosovo Aktivitäten in Vorbereitung, die die Er­fahrungen von PBI zum Personenschutz aufgreifen.

Zivilisierung der Blauhelme? Ein Blick nach Österreich

In Österreich, einem Land mit langjäh­riger Erfahrung bei Blauhelm-Einsätzen, werden derzeit die ersten zivilen Teil­nehmer für Blauhelmeinsätze zur Aus­bildung gesucht und derartige Kontin­gente aufgestellt. Ganz gezielt soll da­mit der zivile Teil der Blauhelme aus­geweitet und dieser Aufgabenbereich darüberhinaus mit qualifiziertem Perso­nal besetzt werden.

Auf Quellenangaben im Einzelnen wurde hier verzichtet. Es wird auf die Broschüre "Blau-oliv oder Gewaltfrei" hingewiesen, die aktuelles Material zur out-of-area-Debatte, zu gewaltfreien Alternativen zur militärischen Interven­tion und zum Diskussionsstand zum Zi­vilen Friedensdienst enthält und im Mai beim BSV in Minden erscheinen wird. Bezug: Bund für Soziale Verteidigung, Friedensplatz 1 a, 4950 Minden.

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Barbara Müller ist Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung, Mitarbeiterin im Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung und Mitglied des Initiativkreises der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung