Graz - Schritte auf dem Weg zur Versöhnung

von Gisela Rubbert
Initiativen
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Vom 22.-29. Juni 1997 fand in Graz/Österreich die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung statt. Sie stand unter dem Zeichen "Versöhnung in Europa" mit folgenden sechs Unterthemen:

- Suche nach der sichtbaren Einheit zwischen den Kirchen

- Dialog mit den Religionen und Kulturen

- Einsatz für soziale Gerechtigkeit, vor allem für die Überwindung von Armut, Ausgrenzung und anderer Formen der Diskriminierung

- Engagement für die Versöhnung in und zwischen den Völkern, und für gewaltfreie Formen der Konfliktbewältigung

- Neue Praxis ökologischer Verantwortung, besonders im Hinblick auf kommende Generationen

- Gerechter Ausgleich mit anderen Weltregionen.

Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) entsandten jeweils 350 Männer und Frauen als stimmberechtigte Delegierte nach Graz. Eingeladen waren außer Beratern und offiziellen Vertretern von Netzwerken alle, die Intresse am Thema "Versöhnung" und an Prozessen der Überwindung von Unversöhntheit und Ungerechtigkeit haben. Die Einladung kam an: über 10.000 Christen aus 41 europäischen Ländern machten sich auf den Weg nach Graz, in diese wunderschöne alte Stadt an der Mur mit ihrem südländischen Flair.

Das Zentrum der Veranstaltungen war das Messegelände, wo auch die Delegiertenversammlung tagte. Das Ökumenische Dorf als Begegnungsmittelpunkt der Basis lag gleich nebenan. Initiativen, die zu den Themen Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung arbeiten, stellten in einer großen Messehalle, der sog. "Agora der Versöhnung" europaweit ihre Arbeit vor. Mit Ausnahme der Arbeitsgruppen der Delegierten waren alle Veranstaltungen für Teilnehmerinnen und Teilnehmer von der Basis offen. Über das Stadtgebiet verteilt gab es thematische Zentren, so z.B. das Friedenshaus, das Welthaus, ein Frauenzentrum und mehrere Zentren für die Jugend mit den jeweiligen Themenschwerpunkten und tagesfüllenden Veranstaltungen. Im Haus der Gastfreundschaft standen im Mittelpunkt Fragen zur Überwindung von Rassismus und Fremdenangst und zum Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft.

Der Zugang zur Delegiertenversammlung war möglich. In thematischen Dialogforen und in nationalen Treffen war der Austausch mit den Delegierten vorgesehen, konnte aber wegen der großen Teilnehmerzahl und Zeitmangels nur begrenzt stattfinden. Trotzdem fanden Resolutionen der Basis und die nachhaltige Arbeit engagierter Gruppen Eingang in die offiziellen Dokumente, so z.B. die Resolution gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Ich nahm als interessierte Teilnehmerin von der Basis an der Ökumenischen Versammlung in Graz teil und wandte mich vor allem dem Themenbereich 3 zu: "Armut und soziale Ausgrenzung", sowie "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa - Versöhnung durch Gastfreundschaft und Akzeptanz". In der Fülle zeitgleicher verlaufender Veranstaltungen fiel mir die Auswahl schwer, da sie auch immer eine Entscheidung gegen ein anderes interessantes Thema war.

Fasziniert hat mich die Internationalität dieses großen ökumenischen Treffens, die Themenbreite der Hearings, Workshops, Foren und vielen Gespräche am Rande mit Menschen von der Basis. Sie gaben mir viel Hoffnung für ein anderes Europa, ein Europa für Gerechtigkeit und Frieden. Das kulturelle Abendprogramm mit Konzerten, Musicals und Theateraufführungen in Kirchen und auf den Plätzen der Innenstadt geben ein eindrucksvolles Bild über die Vielfalt europäischer Kulturen. Kritische Töne wie z.B. Rassismus in der Kirche waren nicht ausgespart, treffend dargestellt von schwarzen Frauen aus den Niederlanden in dem Theaterstück: "Sänleute und Schnitter".

Sehr erschüttert hat mich die Begegnung mit einer jungen Frau, die ein Opfer des internationalen Frauenhandels wurde und zwei Jahre ihres Lebens unter entwürdigenden Umständen verbringen mußte. Beeindruckt haben mich auch Gespräche mit Maria Loley, die aufgrund ihres Engagements Ziel eines Briefbombenattentats in Österreich wurde und mit Flüchtlingen in einem Caritasheim.

In dem Hearing "Globalisierung - Antwort der Christen?" beschrieben Experten die Gefahr zunehmender Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich durch die Entkoppelung der Geldwirtschaft vom Produktionsprozeß und die damit einhergehende Entmachtung nationalstaatlicher Sozialsysteme. Sie forderten die Einmischung der Zivilgesellschaft und stellten die Frage: Brauchen wir eine soziale Friedensbewegung für Europa?

Was wird bleiben von Graz? Viele Bilder und Eindrücke? Die Erinnerung an ein großes internationales Treffen über Grenzen und Kulturen hinweg? Ich hoffe mehr! Mit dem Abschlußdokument ist ein erster und wichtiger Schritt getan und mit ihm, so glaube ich, läßt sich arbeiten. In der Schlußbotschaft von Graz sind im 3. Teil "Herausforderung" konkrete Selbstverpflichtungen der Kirchen und politische Forderungen enthalten, die ich hier im Wortlaut zitieren möchte:

"Die Kirchen verpflichten sich

- zur eindeutigen Erklärung und Wahrung der Menschenrechte und demokratischen Prozesse;

- zur Zusammenarbeit beim Versuch, alle Formen von Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Kinder, zu ächten;

- zur Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung innerhalb der Kirchen;

- zur Förderung der Stellung und Gleichberechtigung der Frauen in allen Bereichen einschließlich entscheidungstragender Funktionen unter Einhaltung der je eigenen Identitäten von Männern und Frauen;

- zur Bekräftigung ihres Engagements für Gerechtigkeit und ihrer Solidarität mit den Opfern sozialer Ungerechtigkeiten;

- zur Unterstützung der Umweltpolitik in ihren eigenen Aktionsfeldern;

- zur Bekämpfung wirtschaftlicher Systeme, die sich im Zuge der Globalisierung negativ auswirken.

Aufgrund unseres Engagements für diesen Versöhnungsprozeß fordern wir die politischen Entscheidungsträger und alle Bürgerinnen und Bürger dringend auf:

- die Würde der menschlichen Person und die Heiligkeit des menschlichen Lebens zu schützen;

- den Vorrang der menschlichen Person gegenüber wirtschaftlichen Interessen wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten; d.h. unter anderem Arbeitslosigkeit, insbesondere unter jungen Menschen, zu bekämpfen;

- sich für die Würde und den Schutz der Rechte von Flüchtlingen, Migranten und Vertriebenen einzusetzen und das Recht von Flüchtlingen auf Asyl und die freie Wahl ihres Wohnortes aufrechtzuerhalten;

- Abrüstung und die Entwicklung gewaltfreier Wege zu unterstützen und sich umgehend für Verhandlungen zur umfassenden Zerstörung der Atomwaffen gemäß dem Atomwaffensperrvertrag einzusetzen;

- im biblischen Geiste des Jubiläums die nicht rückzahlbaren Schulden der ärmsten Länder mit dem Jahre 2000 zu erlassen und dabei sicherzustellen, daß das einfache Volk der Hauptbegünstigte dieser Maßnahme ist;

- die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den gegenwärtigen Trend zu Umweltzerstörung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Welt umzukehren und nachhaltige Lebensbedingen für die gesamte Schöpfung zu schaffen."

Sicher ist, daß diese Verpflichtungenund politischen Forderungen mit Beharrlichkeit immer wieder eingefordert werden müssen und noch einen langen Weg zur Umsetzung vor sich haben.

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