Bürgerliche Qualitätszeitungen als Kriegshetzer: Medienkritik aus Sicht eines Konfliktforschers

Gut inszenierte Mainstream-Meinung?

von Kurt Gritsch

Lesen Sie gerne Zeitung? Und wenn ja, gehören auch Sie zu jenen, die bürgerlichen Qualitätsblättern wie „FAZ“, „NZZ“, „Süddeutscher Zeitung“ oder „Die Zeit“ die Stange halten? Ich bekenne: Ich gehöre nicht dazu. Nicht mehr, seit ich über viele Jahre feststellen musste, dass die publizistische Vorbereitung von Krieg dort Methode hat. Starker Tobak, meinen Sie?

Als Student las ich 1998 von gewaltsamen Übergriffen von Polizeieinheiten auf Zivilisten im Kosovo. Die Sachlage schien eindeutig, so gut wie niemand wäre ohne Sympathie für die verfolgten Albaner gewesen. Zugleich fanden wir alle, dass man Serbien mit seinem „neuen Hitler“ Slobodan Milosevic, der nicht auf diplomatische Verhandlungen reagierte und „seine eigenen Bürger“ ermordete, zur Räson bringen musste, notfalls auch mit Gewalt. Der Krieg sollte mit Krieg gestoppt werden. Dass dadurch die Zahl der Toten am Ende mehr als verzehnfacht würde, konnten wir uns nicht vorstellen.

Im Frühjahr 1999 schickte die NATO Kampfflugzeuge, die ausschließlich serbische Militäreinrichtungen bombardierten (von den planvoll getroffenen Schulen und Krankenhäusern erfuhr ich erst viel später), was die Albaner vor einem „neuen Auschwitz“ (Joschka Fischer) retten sollte. Doch als die Massenbombardements auf Serbien überraschenderweise doch keine Menschenrechte schützten, sondern zur Massenvertreibung der Albaner führten, kam plötzlich Skepsis auf. Irgendetwas konnte da nicht stimmen, auch wenn alle maßgeblichen deutschsprachigen Massenmedien weiterhin behaupteten, dass die Luftschläge (das Wort „Krieg“ wurde tunlichst vermieden) erfolgreich seien.

Wurden Fakten einfach unterschlagen?
Die Mainstream-Meinung sprach nur von zwei Alternativen: eingreifen oder zusehen, wobei letzteres mit dem Vorwurf ergänzt wurde, dass man so niemals Krieg gegen Hitler hätte führen können. Ein dritter Weg schien nicht zu existieren (die schon 1998 vorhandenen Lösungsvorschläge der Friedensforscher schafften es nämlich erst gegen Kriegsende in die großen Medien), Fakten wurden einfach unterschlagen, wie z. B. die Strategie der albanischen Terroreinheit UCK, einen Bürgerkrieg anzufachen, die eigenen Leute zu opfern und dadurch die NATO zum Eingreifen zu bewegen.

Nichts zu hören war auch von politischen, ökonomischen und geostrategischen Interessen der Interventionsstaaten. Das Ziel der NATO war nämlich in Wirklichkeit die Wandlung des Bündnisses vom Verteidigungspakt zur globalen Eingreiftruppe gewesen. Und der Krieg hatte nicht geführt werden müssen, weil die Diplomatie gescheitert war, sondern weil die USA und ihre Verbündeten die Verhandlungen hatten scheitern lassen, um einen Vorwand für den längst entschiedenen Krieg zu bekommen. In den etablierten deutschsprachigen Massenmedien war dies 1998/99 (mit Ausnahme des sozialistischen Spektrums) allerdings nirgendwo zu lesen.

Libyen, Syrien: Neue Konflikte, alte Schwarzweißmuster der Berichterstattung
Wozu dieser ellenlange Blick in die Vergangenheit? Erstens, weil wir Historiker am liebsten sowieso immer bei Adam und Eva anfangen würden. Und zweitens, weil sich die Geschichte zwar nie wiederholt, aber häufig ähnelt. Eine dieser Ähnlichkeiten ließ sich an den „Arabischen Revolutionen“ feststellen: Sobald in einem Staat bürgerkriegsähnliche Unruhen entbrannten, waren die bürgerlichen Medien zur Stelle, um als Lösung für das publizistisch mit entfachte Krisenfeuer was anzubieten? Sie erraten es schon: einen NATO-Einsatz (das Wort „Krieg“ wurde tunlichst vermieden).

Als die BRD sich im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthielt und jene Resolution 1973, die zur Grundlage der Bombardierung und Zerstörung Libyens wurde, nicht mittrug, kritisierte „Die Zeit“, Deutschland könne sich Isolationismus nicht leisten. Will heißen: Bitteschön in erster Reihe marschieren und bombardieren. Der Kriegseinsatz gegen Gaddafi sei „richtig und gerecht“, er verliere erst dann seine Legitimität, „wenn der Feldzug zum Fehlschlag wird“. Will heißen: Erfolgreiche Kriege sind automatisch legitim. Will weiter heißen: Wenn sich die NATO als das mit Abstand stärkste Militärbündnis der Welt einen schwachen Staat als Gegner auswählt, dann ist das immer legitim, weil sie nämlich erfolgreich ist.

Sprache schafft Wirklichkeit
Und dann, wenig später, Syrien: Wieder lässt ein böser Diktator unbewaffnete Zivilisten erschießen. Um nicht missverstanden zu werden: Es steht außer Frage, dass das Assad-Regime schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht. Es ist eine Tatsache, dass in Syrien seit Jahrzehnten Menschen- und Bürgerrechte mitunter mit Füßen getreten wurden. Dem Land ist ein demokratischer Wandel nur zu wünschen. Die entscheidende Frage ist aber, wie man dies erreicht und – da es sich bereits um Bürgerkrieg handelt – wie man die Gewaltspirale stoppt. Und die Vergangenheit zeigt ganz klar: Bombardierungen im Rahmen sogenannter „humanitärer Interventionen“ machen alles nur noch schlimmer. Weniger Gewalt ist allenfalls durch Verhandlungen und Kompromisse, selbst mit einem Diktator, zu erreichen.

Wann und wie geraten internationalen Ereignisse in den medialen Fokus?
Dass unter den vielen tausenden Toten auch rund 2.000 Soldaten und Sicherheitskräfte sind, wurde und wird in den meisten bürgerlichen Printmedien verschwiegen. Die Fokussierung auf getötete Zivilisten blendet den Kern des Bürgerkriegs, den bewaffneten Konflikt zwischen der von verschiedenen westlichen Staaten unterstützten „Free Syrian Army“ (FSA) und dem an Russland orientierten und vom Iran unterstützten Assad-Regime aus. Dabei wirft die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ der FSA schwerste Verbrechen wie Geiselnahme, Folter und Tötung von Zivilisten vor, was ein Mitglied der Truppe in der „FAZ“ Mitte April damit rechtfertigt, dass lediglich „Verräter“ getötet würden. Solch differenzierende Berichte wie von Jürgen Todenhöfer am 13. April sucht man im bürgerlichen Blätterwald ebenso wie in der „taz“ meist vergeblich. So wird auch mit keinem Wort erwähnt, dass „der Westen“ einen Regimewechsel erzwingen will wie in Libyen, damit das strategisch wichtige Syrien sich von Russland weg und zu den USA und der EU hin orientiert. Und falls doch einmal das offizielle US-amerikanische Ziel eines Regimewechsels erwähnt wird, so nur, um jedes Mittel dafür zu rechtfertigen. In dieser Ausschlusslogik kann es auch keinen Kompromiss und damit keinen Frieden geben. Oder wussten Sie, dass das Assad-Regime 2011 mit Reformen begonnen hat? Dass der seit 1963 geltende Ausnahmezustand aufgehoben, Gefangene freigelassen, korrupte Gouverneure abgesetzt und die alleinigen Herrschaftsansprüche der Regierungspartei aufgegeben wurden? Auch wenn diese Reformen noch keineswegs weit reichend genug sind, so stellen sie doch die Einseitigkeit infrage, mit der vielerorts in Qualitätsmedien das Assad-Regime für jede weitere Eskalation verantwortlich gemacht wird. Kaum einmal stand und steht zu lesen, dass Teile der innersyrischen Opposition einen Machtkompromiss mit Assad einzugehen bereit sind, während die u.a. von den USA mit Geld unterstützte Exilopposition zu keinem Entgegenkommen bereit ist.

Reflexion über Recherchequellen
Ist dieses Verschweigen von Fakten Zufall oder Methode? Vielleicht ist die Frage zu hart: Auch Journalisten können nicht alles wissen. Immerhin versorgen in den USA geschulte Kampagnenaktivisten die Massenmedien mit täglichen 'Nachrichten', Videos und Telefonaten unklarer Herkunft, immerhin gibt die verbotene Muslimbruderschaft mit der in Schweden erstellten Internetseite 'Syrische Revolution 2011' ihre Ziele (Sturz Assads und Flugverbotszone - das Wort „Krieg“ wird tunlichst vermieden) als jene des „syrischen Volkes“ aus.

Auch Journalisten können politischen und medialen Manipulationen wie der Anti-Assad-Kampagne (u.a. im Internet von AVAAZ) von EU, USA und den arabischen Verbündeten (Katar, Saudi-Arabien, Jordanien) auf den Leim gehen. Doch halt: Sollten Journalisten nicht einen geschulten Umgang in Konfliktberichterstattung haben? Müssten ihnen nicht Manipulationsversuche bekannt sein, müssten sie nicht darüber Bescheid wissen, dass eine gewaltsame Einmischung in einen Bürgerkrieg nur zu noch mehr Gewalt und Toten führt? Und woher plötzlich dieser Glaube an das Gute „der militärischen Mission Menschenrechte“, wo doch im selben Atemzug NATO-Verbündete wie die als überaus demokratisch bekannten Staaten Saudi Arabien oder Katar – dessen Herrscherhaus die eigenen friedlichen Demonstrationen im Frühling 2011 mithilfe saudischer Soldaten niederschlagen hat lassen – erwähnt werden? Und ein Letztes: Müsste Qualitätsjournalismus nicht zumindest ein paar Grundkenntnisse darüber haben, dass alle Staaten, auch die unserigen, Interessen haben (z.B. die Kontrolle eines strategisch bedeutenden Gebietes im Kampf um Energieressourcen), diese durch Lügen vertuschen und notfalls auch bereit sind, für ihre Interessen über Leichen zu gehen?

Von bürgerlichen Qualitätszeitungen sollte erwartet werden dürfen, dass sie sich zum Thema Kriege und Konflikte an die diesbezüglichen Spezialisten wenden, an die Friedens- und Konfliktforscher. Denn, wie der bereits erwähnte Jürgen Todenhöfer in der „FAZ“ im Dezember 2011 klargestellt hat: „Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber keiner auf eigene Fakten.“

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Krisen und Kriege
Dr. Kurt Gritsch, Historiker und Konfliktforscher. Forschungsschwerpunkte: Jugoslawien; vergleichende Konfliktforschung der Arabischen Revolutionen. Zuletzt erschienen: Inszenierung eines gerechten Krieges? Intellektuelle, Medien und der ‚Kosovo-Krieg‘ 1999, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2010. Kontakt: kurt.gritsch@gmail.com