Welchen Frieden wollen wir? Eine Zielbestimmung der Friedensbewegung

Hat die Friedensbewegung eine Zukunft?

von Andreas Buro

Hat die Friedensbewegung eine Zukunft, hat sie gemeinsame langfristige Zielsetzungen ... oder ist sie out? Kann die Formulierung einer Friedensutopie, einer alternativen Friedensdoktrin die nötige Handlungsperspektive für die Weiterarbeit heute geben? Darf eine solche Utopie den überschaubaren zeitlichen Rahmen weniger Jahre nicht überschreiten, um für die Friedensarbeit heute relevant zu sein? Und schließlich: Kann bzw. muß die Friedensbewegung eine gemeinsame Utopie sozusagen als Plattform entwickeln oder sollte dies vielmehr ein Prozeß ständiger Diskussion, Aktion und Reflektion sein und bleiben?

Der Koordinierungsausschuß hat mit einer solchen Diskussion begonnen. Mechthild Jansen (Frauen in die Bundeswehr - Wir sagen Nein) hat ein über sechsseitiges Papier dazu vorgelegt, das für diese Ausgabe nicht in geeigneter Weise gekürzt werden konnte ("Hat die Friedensbewegung eine Zukunft?" - im KA-Büro erhältlich). Der Sprecherkreis der DFG-VK hat einen Plattformvorschlag vorgelegt, der in dieser Ausgabe auf den Seiten 30 abgedruckt ist .Andreas Buro (Komitee für Grundrechte und Demokratie) und Gerd Greune (DFG-VK) haben aus ihrer Sicht der Diskussion Antworten auf die Frage "Welchen Frieden wollen wir?" entworfen, die wir im Folgenden dokumentieren.

Die Diskussion wird und muß weitergehen, und zwar nicht nur im Koordinierungsausschuß, sondern in der gesamten noch existierenden Friedensbewegung, denn: "Der KA findet seinen Sinn und seine Legitimation nur da, wo es eine wirkliche Friedensbewegung als Bewegung großer Menschenzahlen gibt. Einzig an sie ist der KA angebunden, sie sind mit ihren Interessen der Maßstab. Von dort aus muß der KA denken und handeln. Andernfalls gibt es Parteien und Institutionen, die das Geschäft der etablierten Politik besser beherrschen …/die/ die 'Gewichte' in die KA-Arbeit bringen, aber eben keine eigenständigen autonomen Basis-Bewegungen verkörpern." (Mechthild Jansen, "Hat die Friedensbewegung ..."). (ds)

 

Es ist an der Zeit, den Ost-West-Konflikt zu beenden und zu einem Miteinander der Gesellschaften und Staaten trotz ihrer unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen zu kommen. Der Kalte Krieg und in seinem Gefolge die waffenstarrende gegenseitige Bedrohung - das sogenannte Abschreckungssystem - haben unsere Gesellschaften in tödliche Gefahr gebracht. Wir erstreben ein Europa der Kooperation zum gegenseitigen Nutzen ohne gegenseitige militärische Bedrohung.

Diese Kooperation soll den Menschen und dem Schutz der Natur dienen. Sie hat die Anerkennung der bestehenden Grenzen zur Voraussetzung. Wir wollen die Existenz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme respektieren und uns um einen kooperativen und kritischen Dialog unter Einbeziehung aller sozialen Bewegungen bemühen.

Kooperation hat auch die Überwindung der gegenseitigen Bedrohung zur Voraussetzung. Gesellschaften, die sich stets mit militärischen und ideologischen Mitteln darauf einstellen, die andere Seite auslöschen zu können, sind nicht in der Lage, langfristig vertrauensvoll ihre Zusammenarbeit zu organisieren. Deshalb und zur Überwindung der tödlichen Bedrohung für uns selbst tritt die Friedensbewegung für eine Abrüstung ein, die jegliche gegenseitige Bedrohung aufhebt, und im Gefolge zu einer Abrüstungsdynamik führt, damit keine Angriffspotentiale den Frieden bedrohen.

Streitfragen wird es selbstverständlich auch in einem kooperativen Europa geben. Kooperation bedarf deshalb der institutionalisierten Konfliktregelung, in denen alle Staaten des Kontinents, in denen aber auch gesellschaftliche Gruppen ihre Probleme erörtern und regeln können. Dabei denken wir nicht an ein Europa der supranationalen Entscheidungsstrukturen, sondern suchen den Weg ständiger Konsultation und Verhandlung ohne Ausgrenzungen.

Ein Europa der Kooperation und des Aushaltens der sehr pluralistischen Strukturen muß von den Menschen, die in ihm leben, gewollt und getragen werden. Dies ist nur über eine ständige Demokratisierung der Gesellschaft möglich, die autoritäre Strukturen auflöst und Bürgerverantwortung und -selbstbestimmung erhöht. Demokratisierung und Friedensorientierung stehen in dem sehr engen Zusammenhang von innerem und äußerem Frieden.

Wege und Grundsätzliches

Die sozialen Bewegungen und so auch die Friedensbewegung können politische Entscheidungen zugunsten ihrer Ziele nicht unmittelbar durchsetzen. Sie erhoffen sich langfristige Durchsetzungschancen über die Bewußtseinsveränderung der Menschen. Ihr Protest, Aktionen und Argumentationen sind Ausdruck und gleichzeitig Mittel autonom außerparlamentarisch organisierten sozialen Lernens. Menschen dieser Gesellschaft lernen hier also in der Auseinandersetzung mit den Problemen, die sie bedrücken, und provozieren dadurch andere, sich auch am Lernprozeß zu beteiligen. Die gemeinsame Arbeit der sozialen Bewegungen soll Mut machen für eine lebensbejahende Zukunft. Dadurch kann einer Friedenspolitik, die den Namen verdient, der Boden bereitet werden und den Kalten Kriegern und Abschreckungspolitikern der Boden entzogen werden.

Die Friedensbewegung versucht in allen Teilen der Gesellschaft, ob am Rande oder im Kern, und in allen Parteien von den linken bis zu den konservativen soziales Lernen anzuregen. Sie ist deshalb und gerade wenn sie erfolgreich ist, äußerst pluralistisch und keineswegs einheitlich. Weil so viele immer wieder neu hinzukommen, verlaufen die Lernprozesse ganz ungleichzeitig, was die Vielfältigkeit und damit die Lebendigkeit der sozialen Bewegungen nur stärkt.

Soziales Lernen verläuft immer höchst individuell, bedarf aber immer auch der Einbindung in die überschaubare Gruppe im eigenen Lebensbereich. Deshalb sind Basisorientierung und Selbsorganisation unaufgebbare Prinzipien der sozialen Bewegungen. Würden sie zur hierarchisch strukturierten Organisation, so wären sie schon gescheitert. Lokale Arbeit ist so von vorrangiger Bedeutung. Regionale und zentrale Gremien dienen vor allem der Vermittlung und Koordination.

Ein kooperativer Umgang miteinander in Europa bedarf der Einübung friedlicher Formen des Konfliktaustrages. Gewaltsamkeit, die unsere Gesellschaft und ihre Denkweisen so durchsetzt, verstellt das Ziel. Deshalb wird innerhalb der Friedensbewegung seit so langer Zeit und so intensiv um die Gewaltfreiheit in unseren Verhaltensweisen gerungen.

Alle Erfahrungen aus den letzten 40 Jahren außerparlamentarischer Arbeit zeigen, Bewußtseinveränderungen sind sehr mühselig und langwierig, auch keineswegs einfach linear und widerspruchsfrei. Sie können sich nicht an taktischen Machtbedürfnissen orientieren, wie es ganz überwiegend die Politik der Parteien tut. Die außerparlamentarischen Bewegungen haben deshalb stets um ihre Unabhängigkeit von den Parteien gekämpft und zwar auch von denjenigen, denen sie zeitweilig nahe standen. Das hat sich auch heute nicht geändert.

Die Felder unserer Arbeit

Die Friedensbewegung wendet sich nicht nur gegen einzelne Waffensysteme, wie gegen Pershing- und CruiseRaketen. Sie arbeitet auf vielen Feldern, die alle mit ihrer vorrangigen Zielsetzung, eines Friedens ohne Bedrohung in Europa, verbunden sind.

Wir messen die Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik an unserem Ziel, nicht zu bedrohen und abzurüsten. Da die multilateralen Verhandlungen der Rüstungskontrolle bisher den schnellen Aufrüstungsprozeß nicht stoppen konnten, treten wir für weitreichende einseitige Abrüstungsmaßnahmen ein, vor allem bei offensichtlich für den Angriff geeigneten Waffensystemen. Abrüstung muß in überwiegendem Maße gegen die Interessen an Aufrüstung orientierter Politiker, der Militärbürokratie und der Rüstungswirtschaft durchgesetzt werden. Wir haben Alternativen entwickelt, Abrüstung und Frieden miteinander zu verbinden, die mehr und mehr - wenn auch noch nicht genug - in die Diskussion der Militärs und Politiker eingehen.

Solche Alternativen lassen sich politisch nur durchsetzen, wenn die Feindbilder in unserer Gesellschaft abgebaut werden. Feindbilder zeigen die andere Seite verzerrt und entsprechen nicht der Wirklichkeit. Sie versperren in dem Bewußtsein vieler Menschen den Blick auf angemessene und mögliche politische Lösungen. Sie dienen Demagogen, mit Buhmännern Menschen zu ängstigen.

Feindbilder müssen durch Realbilder (nicht durch ebenso falsche Freundbilder) ersetzt werden. Man muß diejenigen, mit denen man sich einigen will, kennenlernen, um die Möglichkeit der Einigung gut einschätzen zu können.

Zu den psychischen Verzerrungen gehört auch die Vorstellung, die Ursachen der Unfriedlichkeit lägen nur bei den anderen. Nein, sie liegen auch bei- uns: Wir als Kalte Krieger; wir als Reiche, die den Armen in der Dritten Welt mehr nehmen als geben; wir mit unserer expansiven und aggressiven Wirtschaftsform, die nur florieren kann, wenn sie sich immer weiter ausdehnt; wir als diejenigen, welche mit ihrem Konsum und der dazu gehörigen Produktion die Natur zerstören; wir, die wir Junge, Alte, Schwache und Ausländer an den Rand der Gesellschaft drängen und nur immer unsere eigenen Ansprüche für gerechtfertigt halten.

Die Aufgabe der Friedensbewegung ist es denn auch, die Konfliktursachen in der eigenen Gesellschaft zu bearbeiten, also Bewußtsein für eine nicht zerstörerische, neue politische Kultur und die möglichen Formen ihrer Praxis zu schaffen. Dazu gehört es auch, das konfliktreiche und ungerechte Verhältnis der Industrieländer zur Dritten Welt zu thematisieren und an seiner Umgestaltung zu arbeiten.

Uns kann es nicht gleichgültig sein, ob vergleichbare soziale Lernprozesse sich auch in anderen Ländern entfalten können, sollen sie doch dazu beitragen, auch dort einen Wandel in Richtung auf ein kooperatives Europa zu bewirken. In diesem Sinne ist internationale Solidarität geboten, die aber niemals die Autonomie der Bewegungen in anderen Ländern in Frage stellen darf.

Frieden und Demokratie

Soziale Bewegungen, die durch Lernen verändern wollen, verletzen notwendig herrschende Interessen. Immer wieder wird versucht, sie zu zerbrechen, indem von oben ihr demokratischer Raum eingeengt wird. Soziale Lernprozesse benötigen zu ihrer Entfaltung aber nichts so sehr wie demokratische und individuelle Freiheitsrechte. Deshalb ist es für die Friedensbewegung unerläßlich, immer und immer wieder für diese einzutreten. Demokratie ist für uns kein Luxus, der nach herrschaftlichem Gutdünken bei Wohlverhalten zu gewähren und bei Mißfallen zur Bestrafung zu entziehen ist. Demokratische und Freiheitsrechte sind für die sozialen Bewegungen wie die Luft zum Atmen.

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