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Iran und die aktuelle Verschärfung der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten
von„Die Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren Osten ist in den vergangenen Wochen dramatisch gewachsen. Vier Faktoren, die jeder für sich schon destabilisierend sind, verstärken sich dabei: Resignation, das Fehlverhalten lokaler Regierungen, ein regionales Machtvakuum sowie das Fehlen externer Vermittlung“, schrieb Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP), am 5. Juli 2010 in der Süddeutschen Zeitung (nachfolgend abgekürzt: SZ).
Ein Blick auf den Herbst 2010 zeigt folgende konfliktverschärfende Faktoren:
1. Inbetriebnahme des iranischen Atomkraftwerkes in Buscher.
Nach jahrelangen Verzögerungen durch die russische Baufirma im Auftrag der Moskauer Regierung wurde Ende August 2010 der erste iranische Atomreaktor eingeweiht. Mit dem Anfahren des Reaktors endet die Frist für die israelische Regierung, wo diese Atomanlage noch ohne größere Umwelt-Katastrophe für die umliegenden Länder - und die dort stationierten US- und anderen Nato-Soldaten - hätte bombardiert werden können.
2. Prozessbeginn im Libanon wegen des Hariri-Mordes.
Im Herbst 2010 wird die Anklageerhebung des UN-Sondertribunals wegen der Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahre 2005 erwartet. Auf die Hizbollah sind starke Verdachtsmomente gefallen – und deren Chef Nasrallah wird versuchen, den Druck auf seine Organisation abzuwenden.
3. Ende des Siedlungsstopps in der Westbank.
Der unter US-Druck zugesagte - und nicht eingehaltene - Siedlungs-Baustopp der israelischen Regierung für die Westbank endet am 25.9.2010. Rechtsgerichtete Kräfte im Land haben bereits angekündigt, die Regierung Netanjahu unter Druck zu setzen, den Siedlungsbau in der Westbank mit neuem Schwung wieder aufzunehmen. Die Proteste in den palästinensischen Gebieten sind vorhersehbar.
4. Die UN-Resolution 1929 zur Durchsuchung iranischer Schiffe.
Die UN-Resolution 1929 regelt die Durchsuchung iranischer Schiffe sowohl in ausländischen Häfen als auch auf hoher See. Jeder Staat darf Kriegsschiffe einsetzen, um Schiffe, die von und nach iranischen Häfen unterwegs sind, zur Inspektion aufzufordern. Die einzige Voraussetzung ist, dass dem betreffenden Staat Informationen vorliegen müssen, dass sich an Bord des Schiffes sanktionierte Güter - z.B. Waffen und Ausrüstungsteile für die Atomindustrie - befinden könnten. Eine wesentliche Einschränkung ist, dass das Land, unter dessen Flagge das betroffene Schiff fährt, der Untersuchung zustimmen muss. Da Iran sich voraussichtlich weigern wird, diese Inspektionen zuzulassen, sind Konflikte vorprogrammiert, die leicht zu einem Kriegsanlass werden können.
5. Im Juli 2010 wurde in der Straße von Hormus ein mit 270.000 Tonnen Rohöl beladener japanischer Tanker von einem mit Sprengstoff beladenen Kleinboot gerammt und erheblich beschädigt. Anfang August 2010 bekannten sich die al-Qaida nahestehenden "Abdallah-al-Azzam-Brigaden" zu dem Angriff und gaben als Begründung an, Ungläubige würden die muslimische Welt besetzen und ihre Rohstoffe ausplündern (vgl. SZ, 7./8.8.2010). Sollte sich Ähnliches wiederholen - vor allem mit einem weniger glimpflichen Ausgang - wird dies vermutlich die im persischen Golf präsenten US-Streitkräfte zum Eingreifen bewegen.
Zum iranischen Atomprogramm
Als Reaktion auf die internationalen Sanktionen kündigte die Regierung in Teheran an, keine internationalen Geschäfte mehr in den "schmutzigen" Währungen Dollar und Euro abzuwickeln sowie jegliche Werbung für deutsche, englische oder südkoreanische Produkte zu verbieten.
Beim UN-Sicherheitsrat-Beschluss am 9.6.2010 bezüglich dieser neuer Sanktionen gegenüber Iran stimmten 12 Staaten für eine Verschärfung - darunter auch Russland und China -, die Türkei und Brasilien waren dagegen, Libanon enthielt sich überraschenderweise. Einer der großen Nutznießer der Sanktionen ist die Türkei: Seit 2002 haben sich die türkischen Exporte nach Iran versechsfacht.
Im Zusammenhang mit einem vermutlichen Anschlag auf Präsident Ahmadinedschad bei einem Besuch in Hamdan Anfang August 2010, den er unverletzt überstand, sprach dieser erstmals von "einer amerikanischen Verschwörung für einen komplexen Krieg" (SZ, 5.8.2010).
Im Herbst 2010 werden die fünf ständigen Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) zusammen mit Deutschland (P5 plus 1) wieder mit Irans Unterhändler zusammenkommen, um über den Atomkonflikt zu verhandeln. "Es war klar, dass Teheran nicht einfach den Forderungen des Sicherheitsrates nachkommen würde. Die iranische Führung zeigte aber, dass sie kein Interesse an einer weiteren Eskalation hat. Präsident Ahmadinedschad will weiterhin, nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen, mit den USA ins (politische) Geschäft kommen", schrieb Volker Perthes am 5.8.2010 in der SZ.
Im Mai 2010 kam es zum so genannten "Teheran-Abkommen", das Brasilien und die Türkei vermittelt hatten. Darin erklärte sich Teheran bereit, in einem Tausch 1.200 Kilogramm niedrig angereichertes Uran gegen Brennelemente für einen Forschungsreaktor in Teheran in die Türkei zu bringen. Der "P5 plus 1-Gruppe" ging dieser Kompromiss nicht weit genug - kurze Zeit später wurden verschärfte UN-Sanktionen verhängt. Dennoch kündigte die iranische Führung nicht wie angedroht das "Teheran-Abkommen" auf und erklärte sich zum Dialog im Herbst 2010 bereit.
Während Iran als Regionalmacht anerkannt werden möchte, fokussiert sich die "P5 plus 1-Gruppe" auf die Forderung, Iran müsse die (hohe) Anreicherung von Uran einstellen.
Volker Perthes sieht Auswege aus der Eskalations-Spirale, wenn neben der eindimensionalen Fixierung auf die Nuklearfrage durch die "P5 plus 1-Gruppe" mit der Führung in Teheran auch über Fragen der regionalen Sicherheit, über Afghanistan, Drogenhandel, Piraterie, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und akademischen Austausch verhandelt würde, ebenso über Menschenrechtsfragen.
Den Sicherheitsbedürfnissen von Iran und Israel liegen Traumata zugrunde
In ihrem Buch „Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr“ schreiben die beiden Journalisten der Wochenzeitung „Die Zeit“, Gero von Randow und Ulrich Ladurner:
„Der Iran trägt immerzu Trauerflor. Man muss nicht lange suchen, um Gründe dafür zu finden. Ob in dem Kult um Ali und Hussein, den ermordeten Propheten der Schiiten, ob in dem Krieg gegen den Aggressor Irak, ob im Putsch der CIA gegen den Ministerpräsidenten Mossadegh, ob in den Friedhöfen vor den Toren Teherans, ob in den Machinationen [lat.: Umtriebe, Ränke, Anm. CR] der Kolonialmächte, ob in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Atomenergie, ob in der dauernden Gegnerschaft zu den USA. Wohin auch immer man schaut, überall finden Iraner Beweise für das Unglück, das durch fremde Hand herbeigeführt wird. Der Iran ist übersät mit Hunderttausenden Opfern eines fortgesetzten Verrats, der nicht enden will und nie enden wird, denn er ist eine existenzbegründende Begleiterscheinung des Iran. Es gibt dieses Land, solange es Verrat gibt, ohne ihn scheint es nicht existieren zu können. Oder wie sonst könnte man den tief verankerten Glauben der Iraner erklären, dass draußen vor den Grenzen immer jemand am Werk ist, um ihrem Land zu schaden, dass immer jemand das Land hindert, zur Entfaltung zu kommen? Überall lauern böse Geister, Imperialisten, Kolonialisten, Ausbeuter. Der Iran ist Opfer, war Opfer und wird es immer sein. Nie wird er verstanden sein, nie wird er akzeptiert werden. Darf man so die Gefühlslage einer Nation zusammenfassen? Darf man auf diese Weise vereinfachen? Man darf. Denn um Politik zu machen, müssen Einsichten verdichtet werden“ (1).
Keiner der 64 Giftgasangriffe Saddam Husseins auf Iran während des Krieges von 1980 bis 1988 führte zur Anrufung des UN-Sicherheitsrates, was wohl u.a. daran lag, dass die US-Regierung eine Verurteilung ihres Verbündeten Irak vermutlich per Veto verhindert hätte. Die irakischen Giftgasangriffe und die daraus resultierenden enormen Opferzahlen sind einer der Gründe, warum die USA im Iran bis heute als der „große Satan“ bezeichnet wird. Noch immer leiden im Iran mehrere Zehntausend Personen an den Spätfolgen der Giftgas-Einsätze. Gleichzeitig wurde durch diese Ereignisse das Vertrauen Irans in die UNO und speziell in den Sicherheitsrat schwer beschädigt.
Ohne Berücksichtigung dieser iranischen Grundbefindlichkeiten von Seiten westlicher Staaten werden Verhandlungen im Atomkonflikt weiterhin scheitern, ohne die Offenheit der iranischen Verhandlungsführer für neue, positive Erfahrungen mit diesen westlichen Staaten ebenso.
Auch in Israel spielt die Erfahrung traumatischer Ereignisse in der Frage der eigenen Sicherheitsbedürfnisse eine zentrale politische Rolle.
In seinem Buch „Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“ schreibt der ehemalige Berater von Shimon Peres, Vorsitzende der Jewish Agency und Sprecher der Knesset, Avraham Burg, Sohn des früheren israelischen Innenministers Josef Burg, über den ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin:
„Sein damaliger Kabinettssekretär Arye Naor erklärte, Begin habe sein Kabinett mit folgenden Worten überzeugt, den Libanonkrieg anzufangen: `Sie wissen, was ich selbst und was wir alle unternommen haben, um einen Krieg und Verluste an Leben zu verhindern. Doch in Israel ist dies nun einmal unser Schicksal. Es gibt keine andere Möglichkeit, als selbstlos zu kämpfen. Glauben Sie mir, die Alternative ist Treblinka, und wir haben uns entschieden, dass es kein Treblinka mehr geben wird.´ Zwei Wochen nach Beginn dieses unnötigen Krieges erwiderte der Schriftsteller Amoz Oz darauf in der Zeitschrift Yediot Aharonot: `Hitler ist schon tot, Herr Ministerpräsident ... Immer wieder, Herr Begin, legen Sie vor den Augen der Öffentlichkeit ein merkwürdiges Bedürfnis an den Tag, Hitler wiederzuerwecken, um ihn dann in der Gestalt von Terroristen täglich neu zu töten ... Dieses Bedürfnis, Hitler wiederzubeleben und ihn dann auszulöschen, ist das Ergebnis einer Melancholie, der von Dichtern Ausdruck verliehen werden kann. Unter Staatsmännern aber ist sie ein Risiko, das leicht zu einer tödlichen Gefahr werden kann´“ (2).
Deutsche Wahrnehmungen
Nicht nur die derzeitige israelische Regierung ist bereits seit geraumer Zeit versucht, den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zum „neuen Hitler“ aufzubauen - auch deutsche Presseorgane helfen kräftig mit, diese Parallele und das Feindbild Iran zu schüren.
In Deutschland liegt es an einer verantwortungsbewussten, demokratisch gesinnten Gegenöffentlichkeit, Bedingungen für eine zivile Konfliktlösung des iranisch-israelischen Konflikts offen zu halten und allen Versuchen der Kriegshetze und Feindbild-Propaganda entgegenzutreten. Noch immer taucht die nachweislich falsche Behauptung auf, Ahmadinedschad habe gesagt, „Israel müsse von der Landkarte getilgt werden“. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung hat diese falsche Übersetzung der Rede des iranischen Staatschefs von Oktober 2005 inzwischen korrigiert (3).
Den Menschen in Israel ist die Erfüllung der Vision von Avraham Burg zu wünschen:
„Wenn wir aufwachen, wird die Geschichte wieder weitergehen. Das Leben wird zum Leben zurückkehren, und es wird klar werden, dass es unmöglich ist, sich für immer in den Gräben zu verschanzen, die sich zwischen den Friedhöfen erstrecken. Jemand wird erklären: `Das war´s. Es ist vorbei´. Ein anderer wird erklären: `Wir können Hitler besiegen´. Weil es möglich ist, müssen wir es tun. Wir müssen das Tal der Tränen, die Schatten des Todes hinter uns lassen und den Berg der Hoffnung und des Optimismus erklimmen. Wir werden uns erinnern, aber heil sein. Narben haben, aber ganz und ausgeglichen sein“ (4).
Die Erfüllung dieser Vision könnte ein Schlüssel dazu sein, den gesamten Nahen und Mittleren Osten – möglicherweise im Rahmen einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit – in eine friedvollere Zukunft zu führen.
Anmerkungen
(1) Gero von Randow und Ulrich Ladurner, Die iranische Bombe. Hintergründe einer globalen Gefahr, Hamburg 2006, S. 70f.
(2) Avraham Burg, Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss,
Frankfurt 2009, S. 72.
(3)Vgl.: www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Iran/israel.html
(4) Avraham Burg, a.a.O., S. 264.