Jäger 90 ins Milliardengrab?

von Alfred Mechtersheimer

Der 4. Mai 1988 war für die bundesdeutsche Luft- und Raumfahrtindustrie ein großer Tag. Im Bundestag wurde die Entwicklung des Jägers 90 freigegeben. Eine wahrlich nicht alltägliche Entscheidung, bedeutet doch die nun auch offiziell endgültige Festlegung auf die Entwicklung dieses Kampfflugzeuges Milliardenaufträge für MBB, Dornier, MTU und andere beteiligte Firmen.

Zusätzlich zu seit 1983 aufgewendeten Mitteln von 816 Mio DM sind jetzt für die Entwicklung weitere 6154 Mio DM grundsätzlich bewilligt worden. Für die Beschaffung von 200 Flugzeugen, an der kaum noch ein Weg vorbeiführen dürfte, sind 16,5 Mrd DM, 82,3 Mio pro Flugzeug, eingeplant.

Diese Summen, die weder Inflationsraten noch die Entwicklung und Beschaffung der Bewaffnung noch ausreichende Beträge für die Bewältigung teilweise noch unbekannter Risiken technischer und wirtschaftlich-organisatorisch-finanzieller Art berücksichtigen, dürften sich im Laufe der rund zwei Jahrzehnte bis zum Abschluß des Beschaffungsprogrammes vervielfachen. Eine Studie des Bundesrechnungshofes hat eine Vielzahl von Risikofaktoren benannt, die die Planungen der Bundesregierung als zweifelhaft, für die parlamentarischen Mehrheitsfraktionen geschönt und das ganze Vorhaben als technisch wie finanziell höchst risikoreich erkennen lassen.

Es dürfen Wetten abgeschlossen werden, ob der Gerätesystempreis pro Flugzeug am Ende 100 - 150 Mio oder 150 - 250 Mio DM oder mehr betragen wird. Gesamtkosten von über 50 Mrd DM errechnen heute auch rechte Sozialdemokraten. Der Bundesrechnungshof sieht im Jäger 90 das "mit weitem Abstand teuerste Waffensystem der Bundeswehr".

Es ist vorhersehbar, welche finanziellen Auswirkungen das Projekt haben wird: Es wird den Bundeshaushalt ähnlich durcheinanderwirbeln wie der Tornado. Es wird auf Jahr(zehnt)e hinaus den lauter werdenden Ruf nach deutlich höheren Rüstungsausgaben rechtfertigen. Spötter schlagen einen traditionsbewußten Namen für das neue Flugzeug vor - Hurrikan.

Für eine so weitreichende Entscheidung war die Dauer der Beratung im Verteidigungsausschuß bemerkenswert - ganze 30 Minuten für die "Generaldebatte" zum endgültigen Einstieg in das Milliardengrab. Diskussion darf der Vorgang aber kaum genannt werden: Bereits die Morgenpresse und die einleitenden Erklärungen der Regierungsfraktionen machten klar, daß nur mehr abgesegnet werden sollte, was bereits beschlossen war. Die FDP, die noch Tage zuvor die Bedingungen für ihr Ja noch nicht gegeben sah, war (wieder einmal) umgefallen. Auch im Haushaltsausschuß der rund 6 Std über den Jäger 90 sprach, war die Ausgangssituation gleich: Eine Kontrollfunktion gegenüber der Regierungsentscheidung übte das Parlament nicht aus. Industrieinteressen, militärische Wünsche, vermeintliche außen- und bündnispolitische sowie fraktionsinterne Zwänge haben erneut zu einem Rüstungsprojekt geführt, dessen Realisierung mit keiner - auch nicht mit konservativer Logik – zu rechtfertigen ist.

Der Beschluß wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und gegen die SPD gefaßt. Die GRÜNEN haben im Verteidigungsausschuß wegen der faktisch·gefallenen Entscheidung an "Debatte" und Abstimmung nicht teilgenommen. Ich habe erklärt, daß ich mich an einem solchen peinlichen parlamentarischen Ritual nicht beteiligen werde und die Sitzung verlassen. Ähnlich äußerte sich meine Kollegin im Verteidigungsausschuß Angelika Beer in einer Presseerklärung. Politisches Interesse verdient die Tatsache, daß die SPD gegen das Vorhaben Jäger 90 gestimmt hat, und damit offenkundig aus den leidvollen Erfahrungen mit dem auch von ihr zu verantwortenden Projekt Tornado Lehren gezogen zu haben scheint. Beide Oppositionsparteien lehnen den Jäger 90 mit zum Teil gleichen Gründen, aber auf Basis unterschiedlicher Ausgangsüberlegungen ab. Während die SPD dieses Waffensystem nicht zu diesem Zeitpunkt und für so viel Geld will, geht es den GRÜNEN darum, ein abrüstungspolitisches Signal durch den Verzicht auf erneute langfristig bindende Aufrüstung zu setzen und die eingesparten Gelder für Projekte außerhalb des Rüstungssektors einzusetzen:

  1. Beide Oppositionsparteien rechnen beim Jäger 90 mit einem finanziellen Fiasko, das den Handlungsspielraum zukünftiger Bundesregierungen erheblich einschränken wird und damit eine unzumutbare langfristige Vergeudung wichtiger Geldmittel darstellt. Während die SPD dabei primär auf die entstehenden Probleme für die Bundeswehr und deren Bewaffnung zielt und die Gefahr sieht, daß andere wichtigere Beschaffungsvorhaben nicht realisiert werden können, ordnen die GRÜNEN ihre Forderung nach einem Verzicht auf den Jäger 90 in ihre Strategie der kalkulierten Vorleistungen und Einseitiger Abrüstungsschritte ein und verweisen auf die immer größer werdenden Probleme, Geld für wichtige soziale, umwelt- und gesellschaftspolitische Umbaumaßnahmen bereitzustellen.
  2. Beide Parteien halten das Projekt aufgrund der technologischen Risiken im vorgegebenen Zeit- und Finanzrahmen für nicht realisierbar.
  3. Während die SPD die grundsätzliche Notwendigkeit eines Nachfolgeflugzeuges für die Phantom der Luftwaffe nicht bezweifelt und den Jäger ablehnt, weil er mit ihren Auffassungen von Struktureller Nichtangriffsfähigkeit kollidieren könnte, ziehen die GRÜNEN aus abrüstungspolitischen Überlegungen die Notwendigkeit eines neuen Kampfflugzeuges grundsätzlich in Zweifel. Beide Parteien verweisen auf die jedem Jagdflugzeig immanente Eignung zum Jagdbomber, auf die Aufgabe des Jäger 90, für den Tornado bei Einsätzen ins generische Hinterland Geleitschutz zu geben. Wichtiger noch, dieses Flugzeug paßt in die bei der Rüstungsklausur in Waldbröl Anfang 1987 beschlossene Neuverteilung der Aufgaben von Heer und Luftwaffe, die eine Anpassung an die Anforderungen verbundener Land- und Luftkriegsführung im Rahmen von Doktrinen wie AirLand Battle und Rogers – Plan/ FOFA ermöglichen soll.
  4. Beide Parteien kritisieren, daß das Parlament keine sachgerechte Kontrollfunktion gegenüber der Regierung ausüben kann. Während die SPD immer wieder künstlich aufgebaute Zeitnöte oder schleichende Übergänge von einer Projektphase zur nächsten bemängelte, kritisieren die GRÜNEN die Tatsache, daß aufgrund des Zusammenspieles zwischen Regierungsfraktionen und Bundesregierung nur scheinbar das Parlament entscheidet, während es real bislang keine Möglichkeit für den Bundestag gab, den Programmausstieg wirklich ins Auge zu fassen.

Die SPD hat gegen den Jäger 90 gestimmt, obwohl sie die ersten Phasen der Entstehung dieses Mammutprojektes noch bejaht hatte. Es bleibt zu hoffen, daß die SPD, sollte sie durch einen Regierungswechsel dazu die Möglichkeit haben, den Vorbehalt, dieses Projekt dann neu zu überprüfen und gegebenenfalls abzulehnen, nutzt und erneut mit „Nein“ stimmt. Daran dürfte sich zeigen, ob Erfahrungen aus dem Tornadoprojekt auch auf Regierungsbänken zu praktischen Lehren führen können. Sachzwänge, die ein Ausweichen ermöglichen, gibt es bekanntlich ja genug, aber vielleicht läßt sich die wachgewordene Bevölkerung nicht erneut von de vorgeblichen Sachzwanglogik irreführen.

Einen Trost freilich liefert der Jäger 90. Dieses Mammutprogramm wird die Spannung zwischen geplanter und bezahlbarer Rüstung so sehr vergrößern, daß die Nichtfinanzierbarkeit der Bundeswehr krisenhaft zutage treten wird. Schaufelt sich die Rüstung ihr eigenes Grab? Erstmals gibt es dafür beim „Gegner“ und in der eigenen Bevölkerung gute Voraussetzungen.

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