Aus pazifistischer Sicht

Just Policing – eine Alternative zu militärischer Intervention?

von Christine Schweitzer
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Das Konzept von „Sicherheit neu denken“ (Snd) will ein Modell des „Just Policing“ entwickeln, ohne allerdings dessen Details auszuformulieren. Stattdessen berufen sich die Autoren auf die Studien von Werkner und Schlabach. (1) Eine Kritik an diesem Konzept kommt aber nicht nur, wie Theo Ziegler meint, aus anarchistischer Sicht, sondern es gibt auch einige dem Konzept inhärente kritische Fragen. Dabei soll  unbenommen nicht in Zweifel gezogen werden, dass eine politische Bewegung in die von Snd skizzierte Richtung natürlich ein großer Fortschritt gegenüber dem Status Quo wäre.

Was soll ersetzt werden? Wofür wird Militär eingesetzt, wovon reden wir, wenn wir über „militärische Intervention“ sprechen?
Wenn es um Überwindung von Gewalt gehen soll, dann muss die Ausgangsfrage lauten: Wofür wird Militär vorgehalten oder eingesetzt? Nach offizieller Lesart hat das Militär zwei Hauptfunktionen, die Verteidigung gegen einen Angriff und die Intervention in internationale Krisen, sei es aus der Wahrnehmung einer Schutzverantwortung heraus oder sei es, weil diese Krisen „uns“ auch bedrohen, wobei das „uns“ stets nationalstaatlich, bestenfalls subkontinental gedacht wird. Zur Verteidigung gibt es eine Alternative, die ohne Waffen auskommt, die Soziale Verteidigung. (Bedauerlicherweise in Snd als „zivile Verteidigung“ fehlbenannt, denn zivile Verteidigung ist ein anderer Begriff für Zivilschutz im Verteidigungsfall.) Wenn wir das zweifelhafte Konstrukt der „Schutzverantwortung“ zur Seite lassen (s. den Beitrag von Ehrhart in diesem Heft), dann haben die militärischen Szenarien der Zukunft viel mit globalen Strategien der Vorherrschaft, mit der Sicherung endlicher Rohstoffe und der Abwehr von Migration in Zeiten des Klimawandels zu tun. Der Vorschlag einer Polizeitruppe greift daher zu kurz. Eine Abschaffung von Militär muss einhergehen mit einer realistisch durchsetzbaren, aber radikal anderen Form von Politik und des Wirtschaftens, sonst werden sich die Staaten ihr Instrument „Militär“ nicht nehmen lassen. Vielleicht ist ja eine positive Nebenwirkung der Corona-Krise, dass der Mut zu grundlegenden Veränderungen in Zukunft steigt. So viel war im Frühjahr 2020 weltweit möglich, da die Bürger*innen die Einschränkungen nicht nur widerwillig akzeptierten, sondern in ihrer großen Mehrzahl auch wollten, um sich und Andere zu schützen. Vielleicht ist das ein erster Anstoß zu weiterem Umdenken?

Was ist der Unterschied zwischen einer Polizeitruppe, den klassischen Blauhelmen und einem Einsatz zur Friedenserzwingung?
Wenn man den Unterschied zur Seite lässt, dass UN-Blauhelme von einzelnen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt werden, während die Polizei von Snd von der UN direkt aufgestellt werden soll, dann sind die Unterschiede weniger groß, als man meinen mag. Die erste, „klassische“ Generation der Blauhelme trug Waffen nur zum Selbstschutz und war (und ist, es gibt solche Missionen weiterhin) defensiv orientiert. Allerdings: Wenn die Kriegsparteien sie nicht akzeptieren, dann sind sie weitgehend hilflos, denn ihnen fehlen Mandat und die notwendigen Waffen, ein Wohlverhalten zu erzwingen.
Aber „Friedenserzwingung“ hat bislang fast nie funktioniert (s. auch den Beitrag von Ehrhart in diesem Heft). Selbst falls der Wille da war, reichten die militärischen Kräfte nicht aus. Wenn man sich jetzt eine „Polizei“ vorstellt, die das leisten soll, was selbst NATO und USA mit ihren militärischen Mitteln nicht schaffen, über was für Waffen und Zahlen reden wir da eigentlich? Welche Vernichtungsgewalt muss da angehäuft werden? Und was hat das noch mit „Polizei“ zu tun?

Fehlanzeige: Ziviles Peacekeeping?
Es gibt signifikante Beweise, dass unbewaffnete Ansätze, besonders Ziviles Peacekeeping, zur Friedenssicherung beitragen kann. (2) Ziviles Peacekeeping basiert darauf, dass unbewaffnete, ausgebildete zivile Fachkräfte in einem Konfliktgebiet eine ständige Präsenz aufbauen. Sie verbinden Aktivitäten, die direkt der Gewaltprävention dienen, mit solchen, bei denen es darum geht, Konfliktparteien zusammenzubringen und die Fähigkeiten lokaler Gemeinschaften zu stärken, Gewalt-Eskalationen zu widerstehen.

Viele Menschen finden es schwer zu verstehen, was unbewaffnete Friedensfachkräfte in einem gewaltsamen Umfeld erreichen können, da sie daran gewöhnt sind zu denken, dass Gewalt die einzige Quelle von Schutz sei. Es ist wahr, dass unbewaffnete Zivilist*innen keine Mittel haben, etwas direkt zu erzwingen und sich auch nicht mit Waffengewalt verteidigen – sie können Angreifer nicht töten oder durch Schüsse stoppen, wie es Soldat*innen können. Unbewaffnete Peacekeeper*innen haben jedoch ihre eigenen Quellen von Macht, und die Erfolgsbilanz der letzten Jahre gibt ihnen Recht.

Aufgabenbereiche des Zivilen Peacekeepings sind vorrangig der Schutz von Zivilbevölkerung in Kriegssituationen; der Schutz von besonders bedrohten Gruppen und Gemeinschaften, wie z.B. Vertriebenen oder ethnischen Minderheiten, dort wo Übergriffe gegen solche Gruppen drohen; die Beobachtung von Waffenstillständen, und die Schutzbegleitung von Menschenrechts-verteidiger*innen. Darüber hinaus beteiligen sich die Zivilen Peacekeeper*innen aktiv am Aufbau und der Stärkung von lokalen Systemen der Frühwarnung und frühen Handelns gegenüber drohender Gewalt.

Fazit
Es wäre zu wünschen, dass bei einer eventuellen Weiterentwicklung des Konzepts von SnD diesen gewaltfreien Ansätzen eine größere Rolle eingeräumt würde. Sie müssen auch nicht notwendigerweise alternativ gedacht werden. Auch wenn es eine größere Akzeptanz sichert, dass die Vereinten Nationen über eine Restmenge von Gewaltkapazitäten verfügen: Es sind gerade dieselben Vereinten Nationen, die in mehreren Berichten den Ansatz des Zivilen Peacekeepings als wirksam hervorheben. Warum also zumindest nicht auch den Ausbau Zivilen Peacekeepings vorschlagen?

Anmerkungen
1 Schlabach, Gerald (Hrsg.) (2007): Just policing, not war. An alternative response to world violence. Collegeville, Minnesota;Werkner, Ines-Jaqueline et al. (2017): Just Policing – eine Alternative zur militärischen Intervention? Heidelberg: FEST.
2 Zu Zivilem Peacekeeping siehe u.a.: Furnari, Ellen; Julian, Rachel; Schweitzer, Christine (2016) Ziviles Peacekeeping. Menschen wirksam schützen ohne Drohung oder Gewalt. Hrsg. Wissenschaft & Frieden, Dossier Nr. 83, Beilage zu W&F 4/2016; Furnari, Ellen (ed.) (2016) Wielding Nonviolence in the Face of Violence, Hrsg. Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung, Norderstedt:BoD

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.