10.10.1987 Blockade der Cruise-Missile-Basis Hasselbach

Karlsruher Urteil: Späte Genugtuung

von Mani StennerKlaus Vack
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Daran hatte wohl kaum noch jemand geglaubt: Das Bundesverfas­sungsgericht hat seine eigene Rechtsprechung über den Haufen gewor­fen, die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu Makulatur erklärt und bestimmt abschließend "Sitzblockaden sind gewaltfrei!" Die Konsequenzen sind weitreichend: Für die vielen Verur­teilten gibt`s Rehabilitierung, Rückerstattung der Strafen und Kosten aus den Länderhaushalten und im Bundestag wohl bald eine Debatte um einzuführende Sonderstraftatbestände.

Das Urteil ist eine späte Genugtuung und Rechtfertigung für den Zivilen Un­gehorsam, mit dem sich engagierte Menschen seit der ersten Blockade von Großengstingen über die damals vor­herrschende rigide Rechtsprechung hin­wegsetzten und die unerschrockene Ge­duld, durch die sie sich in ungezähl­ten Gerichtsverfahren über alle Instan­zen hinweg dies Urteil erkämpft haben. Es ist eine Ermu­tigung für alle enga­gierten Men­schen, die sich heutzutage gegen den Trend mit Zivilem Ungehor­sam, mit Kirchenasyl, Verstecken von Deserteuren und Auf­forderung zur Verweigerung gegen Ab­schiebungen und für die Men­schen­rech­te von Flücht­lingen einsetzen.

Noch streiten sich die Gelehrten über die rechtlichen Konsequenzen. Während CDU und FDP-Politiker Richterschelte betrieben, kam aus den Reihen der SPD der Vorschlag, das ganze Problem über eine allgemeine Amnestie (= ohne Ent­schädigung) für die damaligen Blockie­rerInnen von Atomwaffen- und Giftgasstand­orten, AKW`s und Militär­einrichtungen zu entsorgen. Hertha Däubler-Gmelin kündigte eine Geset­zesinitiative zur Rehabilitation an, wäh­rend die er­sten Betroffenen bereits mit guten Gründen Wiederaufnahmeverfah­ren bean­tragten. Anders als bei üblichen rechts­kräftig abgeschlossenen Fällen, geht es nicht um den Nachweis neuer Beweise, sondern um die Wahrnehmung eines Rechts nach _ 79 Abs. 1 des Bundesver­fassungsgerichtsgesetzes.

Viele werden sich die Wiederaufnahme dennoch aktiv erkämpfen müssen - je nach zuständiger Staatsanwaltschaft oder Bundesland. Für Rheinland-Pfalz hat Justizminister Cäsar klargestellt, daß die Wiederaufnahme, Freisprüche ohne neue Hauptverhandlung sowie Entschä­digung für Strafe, Unkosten, Anwalts­kosten und Haft "von Amts wegen" er­folgen wird und damit die Rechtsauffas­sung der Anwälte von Vack bereits be­stätigt. Genauso sieht es das Land Ba­den-Württemberg, das aber offenbar meint, Geld sparen zu können, indem es die Wiederaufnahme nur auf Antrag der Betroffenen durchführt.

Die Haltung anderer Bundesländer ist offenbar noch unklar, so daß wohl über­all zumindest Pilot-Wiederaufnahme­verfahren erzwungen werden müssen. Derweil überlegen manche Menschen aus Friedensorganisationen bereits, ob ein Teil des unerwarteten Geldsegens über eine Friedens­stif­tung der För­derung des weiter nötigen Zivilen Un­gehorsams zuführen kann.

Aus der Erklärung von Klaus Vack

Es geht nicht um Amne­stie, sondern um Frei­spruch!

... Die Wiederaufnahmeverfahren sollen koordiniert werden mit den Rechtsan­wälten Michael Langner und Siegfried Nold, auf deren Beschwerde die Ent­scheidung des Bundesverfassungsge­richts zustande kam, wonach "die er­weiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in _ 240 Absatz 1 Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen gegen Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz verstößt" und damit verfassungswidrig ist. Klaus Vack selbst hat bereits die Rechts­anwälte Nold (Tübingen) und Wiehe (Mannheim) beauftragt, die Wiederauf­nahme der Verfahren einzu­leiten. Als Rechtsgrundlage hierfür gilt der _ 79 Absatz 1 des Bundesver­fas­sungsge­richtsgesetzes, der eine rechts­kräftige strafrechtliche Ver­urteilung, welche auf "der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesver­fassungsgericht für un­vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist", zulässt. Dabei gibt es kei­nerlei Fristen, der An­trag kann je­derzeit eingereicht wer­den.

Wenn das Wiederaufnahmeverfahren von den Betroffenen eingeleitet wurde, sind die verurteilenden Gerichte grund­sätzlich an den Beschluß des Bundes­verfassungsgerichts gebunden und müs­sen freisprechen. Jenseits der positiven materiellen Folgen für die Verurteilten führt dies vor allem zur gerichtlichen Bestätigung, daß sie bei ihrer friedlichen Demonstration keine Gewalt ausgeübt haben. ...

Nachdem die Bundesregierung die straf­rechtliche Verfolgung wegen der Teil­nahme an Sitzdemonstrationen trotz zahlreicher Petitionen, aber auch An­mahnungen des Bundesverfassungsge­richts, die Gesetzeslage zu klären, stets auf strafrechtlicher Verfolgung beharrt habe, lasse die Entscheidung des Bun­desverfassungsgerichts nur eine saubere Lösung zu, daß also die Betrof­fenen durch die Gerichte, die sie verur­teilt ha­ben, im Wege eines Wiederauf­nahmeverfahrens freigesprochen wer­den. (24.03.95)

 

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