Videospiele

Kaum Frieden in der virtuellen Welt

von Michael Schulze von Glaßer

US-Truppen marschieren 2014 in den Iran ein, und die russische Armee besetzt 2016 halb Europa und die USA – heutige Videospiele erzählen brisante Geschichten, die ein Millionenpublikum erreichen. Ein Blick auf militärische Videospiele und die Suche nach Alternativen.

Laut einer Erhebung der „Gesellschaft für Konsumforschung“ betrug der Umsatz mit Videospielsoftware in Deutschland allein im ersten Halbjahr 2013 rund 752 Millionen Euro. (1) Für das Gesamtjahr rechnet die Branche mit einem Umsatzwachstum um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 31,5 Millionen Bundesbürger spielen heute virtuelle Spiele. Videospiele, die Militär und Krieg thematisieren, erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit – werden von der Öffentlichkeit aber kaum oder nur oberflächlich wahrgenommen.

Blockbuster Militär-Spiele
Im First-Person-Shooter BATTLEFIELD 3 greift der Spieler in Rolle eines US-Soldaten den Iran an. (2) Die Schlacht wurde in das Jahr 2014 gelegt: im Iran hat es einen Putsch gegeben und nun werden westliche Staaten durch tragbare Atombomben bedroht. Die iranische Nachrichtenagentur FARS-News spricht seit der Veröffentlichung von BATTLEFIELD 3 von einem „open war of media“ des Westens gegen die islamische Republik. (3) Die iranische Regierung verbot das Spiel kurzerhand – und ging noch weiter. Das Land kündigte an, gleich mehrere „Gegen-Spiele“ veröffentlichen zu wollen. Allein in Deutschland wurden seit der Veröffentlichung im Oktober 2011 über eine Million Exemplare von BATTLEFIELD 3 verkauft. (4) Weltweit gingen bisher 16 Millionen Kopien des Spiels über die Ladentheken. (5)

Ein anderer, sehr beliebter First-Person-Shooter ist die CALL OF DUTY: MODERN WARFARE-Reihe. Der letzte Teil der Trilogie erschien im November 2011 und brachte dem Hersteller einen Rekordumsatz von weltweit einer Milliarde US-Dollar innerhalb von nur 16 Tagen nach Veröffentlichung. (6) Die Spiel-Serie erzählt eine Geschichte von Ultranationalisten, die in Russland die Fäden ziehen, um die Welt in einen Dritten Weltkrieg zu stürzen. Im Jahr 2016 marschieren russische Truppen in Berlin und Paris ein. Auch Washington ist vom Krieg, bei dem auch Atomwaffen und Giftgas zum Einsatz kommen, zerstört. Das Post-sowjetische-Szenario ist dabei actionreich in Szene gesetzt. Die verschiedensten Teile der MODERN WARFARE-Reihe verkauften sich weltweit bisher über 70 Millionen-Mal. (7)

BATTLEFIELD 3 und die CALL OF DUTY: MODERN WARFARE-Reihe sind nur zwei aktuelle Videospiele, die Militär und Krieg zum Thema haben – und diese weitestgehend verherrlichen. Der Spieler ist jeweils auf der „guten“ Seite und kämpft für eine vermeintlich gerechte Sache. Die Charaktere der Spielfiguren sind ausgebildet und laden dazu ein, sie sympathisch zu finden. Auf der anderen Seite stehen jeweils die blutrünstigen, mysteriösen und „bösen“ Feinde, deren politische Motive für ihr Handeln in den meisten Fällen unklar bleiben und die ohne Reue getötet werden dürfen. Fast alle großen Militär-Videospiele verbreiten heute solche kriegsverherrlichende Inhalte vom heldenhaften Soldatentum und dem Kampf für das Vaterland. Spiele, die populär sind aber statt Krieg zu glorifizieren seine Grausamkeit entlarven und für Frieden werben, gibt es nur vereinzelt.

Friedensfördernde Spiele
„Ein Spiel zum Schlechtfühlen“, schrieb Spiegel-Online über ein eben solches Spiel: den im Juni 2012 erschienenen Third-Person-Shooter SPEC OPS – THE LINE. (8) Das Blockbuster-Spiel unterscheidet sich spieltechnisch nicht von anderen Vertretern des Genres: auch in SPEC OPS muss der Spieler mit einer Vielzahl von Waffen unzählige Gegner erschießen. Was das Spiel so besonders macht, ist die erzählte Geschichte, die sich am 1899 von Joseph Conrad geschriebenen Buch HEART OF DARKNESS und dem ebenfalls auf dem Buch aufbauenden, 1979 in die Kinos gekommene Vietnam-Kriegsfilm APOCALYPSE NOW von Regisseur Francis Ford Coppola orientiert. Der Spieler ist in SPEC OPS – THE LINE Anführer eines drei-köpfigen US-Aufklärungstrupps, der in einem fiktionalen nahe-Zukunfts-Szenario in das durch Wüstenstürme zerstörte Dubai entsandt wird. (9) In der Stadt liefern sich Zivilisten, CIA-Agenten und ein US-Trupp erbarmungslose Feuergefechte. Ein einfaches Gut-Böse-Schema gibt es in dem Spiel nicht. Und auch wenn der Charakter des Spielers immerzu betont, nur helfen zu wollen, tötet er im Gefecht unbeabsichtigt Zivilisten und verliert im Laufe der Geschichte seine zwei Kameraden – am Ende ist der Spieler gescheitert. So ist SPEC OPS – THE LINE ein Statement gegen „humanitäre Militärmissionen“ und zeigt mit abschreckenden und teilweise nur schwer zu ertragenden Bildern eine bewaffnete Auseinandersetzung. SPEC OPS ist ein Spagat zwischen spaßiger Shooter-Unterhaltung und ernstem Kriegshintergrund und kann als interessanter Weg gesehen werden, um vor allem jungen Menschen auf für sie entgegenkommende weise die Abscheulichkeit von Krieg und Gewalt zu zeigen. Mit nichtmal einer Million verkauften Exemplaren fällt es aber weit hinter die kriegsverherrlichenden Spiele zurück. (10)

Denn das Problem fast aller Spiele, die Frieden fördern wollen, ist, dass sie kaum Unterhaltungswert bieten und daher für junge Leute schlicht unattraktiv sind. So beispielsweise die „News-Games“ der GLOBAL CONFLICTS-Reihe des Kopenhagener Unternehmens „Serious Games Interactive“: Der Spieler schlüpft darin in die Haut eines Reporters und lernt etwa beide Seiten des Israel-Palästina-Konflikts kennen. Inhaltlich setzen die Spiele das Konzept des Friedensjournalismus des bekannten norwegischen Friedens- und Konfliktforschers Johann Galtung um. Durch die geringe – allein schon äußere – Attraktivität ist die Reichweite der GLOBAL CONFLICTS-Spiele aber sehr begrenzt. (11) Die Spiele eignen sich zwar für den Schulunterricht, freiwillig wird aber wohl kaum ein junger Mensch auf die Idee kommen, sich mit den Serious Games zu befassen.

Fazit
Die allermeisten militärischen Videospiele verbreiten heute massenwirksame Botschaften von guten Militär-Einsätzen, gerechten (Angriffs-)Kriegen und glorifizieren Soldatentum und Militär-Technik. Es werden Feindbilder erschaffen und einseitige politische Statements abgegeben, die auch in der Realität Wirkung zeigen können.

Alternative Spiele, die den Grauen und Schrecken des Krieges zeigen und friedensfördernde Aussagen verbreiten, gibt es kaum. Die allermeisten sind zudem für junge Leute unattraktiv. Ein Kompromiss zwischen Spielmechanik und Inhalt ist daher durchaus sinnvoll.

Ein Paradigmen-Wechsel in der Videospiel-Industrie ist derzeit leider nicht zu sehen: Kriegsverherrlichende virtuelle Spiele werden die Friedensbewegung noch lange begleiten.

 

Dieser Beitrag ist die aktualisierte, deutsch-sprachige und stark gekürzte Fassung von: Schulze von Glaßer, Michael: On-Screen Warfare, in: War Resisters‘ International: Sowing Seeds – The Militarisaion of Youth and how to counter it, London 2013.

 

Anmerkungen
1 Brehm, Christian: Deutscher Markt für Computer- und Videospiele: Prognose für 2013 bei 3,5 Prozent Umsatzwachstum, in: www.biu-online.de, 13. August 2013.

2 Schulze von Glaßer, Michael: Battlefield 3: Das virtuelle Schalchtfeld, in: www.imi-online.de, 21. Februar 2012

3 Schulze von Glaßer, Michael: Krieg der Kriegsspiele, in: www.telepolis.de, 14. Juli 2012

4 Nguyen, The-Khoa: Battlefield 3 – Verkaufszahlen in Deutschland – plattformübergreifend über eine Million verkaufte Exemplare, in: www.pcgames.de, 14. August 2012

5 N. N.: Battlefield 3, in: www.vgchartz.com, 24. August 2012

6 N. N.: Call of Duty: Modern Warfare 3 – Bringt Activision 1 Millarde Umsatz, in: www.giga.de, 12. Dezember 2011 –

7 N. N.: Modern Warfare, in: www.vgchartz.com, 24. August 2012

8 Reißmann, Ole: „Spec Ops: The Line“ – Wahnsinn in der Wüste, in: www.spiegel.de, 10. Juli 2012

9 Schulze von Glaßer, Michael: Spec Ops – The Line: Das virtuelle Schlachtfeld, in: www.imi-online.de, 27. Juli 2012

10 N. N.: Spec Ops: The Line, in: www.vgchartz.com, 24. August 2012

11 Ottosen, Rune: Computerspiele als Instrument der Kriegspropaganda? – Bietet Friedensjournalismus eine Alternative?, in: Dossier Nr. 69 „Computerspiele: Friedensjournalismus vs. Kriegspropaganda“ in Wissenschaft & Frieden 2012-1.

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