"Randbemerkungen zur (deutsche) Demokratie im Krieg"

Kein Pardon für "Pazifisten"?

von Klaus Vack
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Der Krieg der Nato gegen Jugoslawien ist zu Ende. Die Massenmedien haben ihre neuen Themen. Bis zur nächsten kriegerischen Auseinandersetzung. Nicht zu Ende ist die Gewalttätigkeit auf dem Balkan. Ebensowenig beendet ist die Vorbereitung externer Mächte auf neue kriegerische Interventionen. Und nicht zu Ende ist der Krieg um die Köpfe.

In der Zeitschrift "vorgänge" - Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik - (herausgegeben in Zusammenarbeit von Gustav-Heinemann-Initiative, Humanistische Union und Komitee für Grundrechte und Demokratie) befindet sich zu diesen Zusammenhängen ein höchst bemerkenswerter Beitrag. Autor ist Michael Th. Greven, Jg. 1947, Professor für Politische Wissenschaft mit den Schwerpunkten Regierungslehre der Bundesrepublik Deutschland und Staatstheorie an der Universität Hamburg. Greven gehörte seit Gründung des Komitees 1980 bis Anfang der neunziger Jahre dem Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie an. Er ist Vertreter des Komitees im Redaktionsbeirat sowie Redaktionsmitglied der "vorgänge".

Michael Th. Grevens Aufsatz hat seine besondere Bedeutung nicht darin, dass der Verfasser mitteilt, er habe zum Angriff der Nato "Ja gesagt" - eine Zustimmung, die freilich für den Nato-Krieg direkt ebenso irrelevant geblieben ist, wie es sein Nein-Sagen geblieben wäre.

A propos Demokratie. Grevens Beitrag ist auch nicht erwähnenswert, soweit es um seine Bemerkungen zu den Gründen und Hintergründen des Balkankrieges geht. Damit hat er sich offenbar nicht weiter beschäftigt, denn für ihn ist die Frontlage im gesamten Terrain der ehemaligen jugoslawischen Föderation klar: Auf der einen Seite das verbrecherische serbische Regime, das ein ethnisch gesäubertes Großserbien will, und auf der anderen Seite die demokratische Wertegemeinschaft, die den Opfern Serbiens "militärische Nothilfe" leistet. Michael Th. Greven befindet sich hiermit auf der Seite der Nato-Legitimationen in der Bundesrepublik; eine politikwissenschaftliche Analyse, nimmt der Politikwissenschaftler Greven offenbar an, sei in diesem Fall nicht vonnöten.
 

Bemerkenswert ist der Aufsatz von Michael Th. Greven aus folgendem Grunde: In einer Rigorosität, die in der aktuellen kontroversen Debatte sonst kaum irgendwo zu finden war, macht der Autor dem "Pazifismus" den "argumentativen" Garaus. Zwar bezeugt Greven "einer pazifistischen Position" "großen Respekt", wenn sie "prinzipiell" sei und mit "persönlicher Konsequenz eingenommen" werde. (Was an früher einmal übliche, inzwischen als zu simpel erkannte Prüfüngsfragen beim Kriegsdienstverweigerungsverfahren erinnert.) Aber, so Greven, die "pazifistische Position" sei generell und im Falle des Balkankrieges speziell "politisch nicht verantwortbar", in der Politik auch nicht mehr "tolerabel". "Pazifisten" tragen nach Meinung Grevens eine ungesühnte Schuld an dem ganzen Debakel auf dem Balkann. Sie seien mit dafür "verantwortlich", dass das Milosevic-Regime seine Brutalität und seine ethnischen Säuberungen habe entfalten können. Zu welcher Verantwortungslosigkeit "friedensbewegte Protestierer" fähig seien, will Greven an einem Beispiel klarmachen: Pazifisten hätten schon "frühzeitig damit begonnen, gegen ein etwaiges Eingreifen der Nato zu mobilisieren", während ihr Protest gegen die serbischen Gewalttaten "ausgeblieben" sei. (Da waren also Werteverräter am Werk.)

"Pazifisten", so meint Greven, hätten auch nicht das Recht, Verletzungen des Kriegsvölkerrechts zu kritisieren, denn dieses wolle ja den Krieg zivilisieren, und der werde doch von "Pazifisten" prinzipiell für verwerflich gehalten. Damit unterstreicht der Autor noch einmal, welcher Verlogenheit eine "pazifistische Position" fähig ist. (Nebenbei fertigt Greven diejenigen als "scheinheilig" ab, die aus völkerrechtlichen Gründen auf das Votum Chinas und Russlands im Sicherheitsrat Rücksicht nehmen wollen. Diese beiden Staaten seien der demokratischen Wertegemeinschaft nicht zuzurechnen.)

"Pazifismus", so das grundsätzliche Urteil von Greven, sei politisch "verantwortungslos", weil er das Handeln der Demokratien "letztlich von den Entscheidungen und dem Handeln anderer" (gemeint: Staaten) "abhängig" mache, im Balkanfall also von den Aktionen des "verbrecherischen jugoslawischen Systems". Der Schluss liege nahe: "Pazifisten" arbeiten dem Feind in die Hand. (Ähnlich hat es übrigens der CDU-Politiker Heiner Geißler zum Ausdruck gebracht, als er in einer Bundestagsrede 1982 die "Pazifisten" der Weimarer Republik für Auschwitz verantwortlich machen wollte.)
 

Eine derartige "Abrechnung" mit den "Pazifisten" ist in der seriösen deutschen Publizistik der Gegenwart bisher singulär. Vielleicht macht Greven jedoch Schule. Verzichtet wird dabei auf jede nähere Bestimmung dessen, was als "Pazifismus" abgeurteilt wird; die politischen Konzepte und Problemlösungsvorschläge der "Pazifisten" werden erst gar nicht zur Kenntnis gegeben. Die "Demokratie" - gemeint scheint nicht zuletzt die "Demokratie" des Staates Bundesrepublik Deutschland - wird in ihren politischen Entscheidungsstrukturen für sakrosankt erklärt. Kein Gedanke mehr daran, dass auch in demokratisch verfassten Staaten fragwürdige politische Interessen und Zielsetzungen am Werk sein könnten. Oder wenn, werden diese als "demokratisch" gerechtfertigt.

Im Krieg braucht es Eindeutigkeit: Hier die Demokratien, dort die Schurkensysteme. Und, nicht zu vergessen, deren Handlanger in demokratischen Ländern, die "Pazifisten". Da Michael Th. Greven, infolge einer anderen Gnade der späten Geburt, zu den bisher friedlichen Angehörigen einer Generation gehört, die für das militärische Handwerk jetzt nicht mehr qualifiziert sind, setzt er sich an der psychologischen Heimatfront ein. Schließlich kennt er sich mit "Pazifisten" aus. Da waren lange Jahre naher Bekanntschaft, auch Freundschaft, die sich mit Grevens Politikwende nun rückblickend für ihn als Feindberührung darzustellen scheinen.

Der Krieg, so bestätigt sich, ist der Vater vieler Dinge. Die deutsche Teilnahme am Nato-Krieg gegen Jugoslawien hat auch dies zur Folge: Ein angesehener Politikwissenschaftler, bisher einer der Theoretiker der Bürgerrechtsbewegung in der Bundesrepublik, übernimmt eine neue ideologische "Verantwortung" und bringt in den Diskurs "für Bürgerrechte" eine erstaunliche Wende: Kein Pardon mehr für "Pazifisten"!

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