Philippsburg Mitte Oktober 2000

Keine Chance für friedliche Demonstrationen gegen CASTOR-Transporte

von Elke Steven
Initiativen
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In der Zeit von Sonntag, den 15. Oktober 2000, bis Mittwoch, den 18. Oktober 2000, fanden rund um Philippsburg Proteste gegen den - so musste vermutet werden - bevorstehenden Transport von hochradioaktivem Müll aus dem Atomkraftwerk Philippsburg in die Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague (Frankreich) statt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Frankreich nicht bereit ist, weiteren Atommmüll aus Deutschland anzunehmen, bevor die Bundesrepublik Deutschland nicht ihren durch die Wiederaufarbeitung vermehrten Müll aus Frankreich zurücknimmt. Die Proteste im baden-württembergischen Landkreis gaben jedoch einen Vorgeschmack darauf, wie Politik und Polizei in diesem Bundesland gewillt sind, gegen Demonstrationen vorzugehen.

Deutlich wurde, dass Demonstrationen per se als störend behandelt werden, die das effektiv-glatte Umsetzen von Entscheidungen behindern. Demonstrationsteilnehmern und -teilnehmerinnen wurde - häufig abgeleitet aus aktionistischen Äußerungen einzelner oder kleiner Gruppen - grundsätzlich Gewaltbereitschaft zugeschrieben. Die Polizei handelte, als gelte es, alle gesetzlichen und polizeilichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Demonstrationen und den Aufbau von Kommunikationsstrukturen der Demonstrierenden untereinander und mit der anwohnenden Bevölkerung zu unterbinden. Das verfassungsrechtlich garantierte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wurde dabei gänzlich missachtet. So kommt Wolf-Dieter Narr in einer Stellungnahme zu den erlassenen Verfügungen (zu beziehen beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln) zu dem Schluss: "Das, was dieser Tage im Landkreis Karlsruhe rund um Philippsburg geschehen ist, belegt die geradezu systematische Einäugigkeit und Demonstrationsfeindlichkeit der zuständigen Instanzen und ihrer Vertreter."

Zum konkreten Ablauf: Oberflächlich betrachtet, konnte der "Sonntagsspaziergang" am 15. Oktober 2000 noch ungehindert und dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß stattfinden. Jedoch schon zu diesem Zeitpunkt wurden grundrechtswidrige Polizeisperren errichtet, Autos durchsucht und wurde die gesamte Veranstaltung mit Kameras überwacht. An die Stelle des vordergründig kooperativen Verhaltens der lokalen Behörden und der Polizei traten schnell massive Behinderungen, die demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen gänzlich spotten.
Schon vor dem Sonntagsspaziergang hatte der Bürgermeister die Bevölkerung in und um Philippsburg aufgerufen, die Demonstrierenden auf keinen Fall zu unterstützen. Anderenfalls, so die Drohung, mache man sich möglicherweise der Unterstützung von Straftaten schuldig. Die BürgerInnen, die ihr Privatgrundstück den Demonstrierenden für ein Camp zur Verfügung gestellt hatten, wurden Montag, den 16.10.2000, mit Absperrungen des Wohngrundstücks und Drohungen über entstehende Kostenpflichten eingeschüchtert. Das Zeltlager der ca. 200 Aktivisten wurde unter Verweis auf lokales Ordnungsrecht aufgelöst. Den "fremden" Bürgern und Bürgerinnen wurde immer weitergehend jede Grundlage zur Gestaltung ihres gemeinsamen Alltags entzogen. Die Küchenwagen wurden - entgegen anderslautender Abmachungen - beschlagnahmt und in eine Polizeikaserne verfrachtet. Der Bauwagen, der als Kundgebungsbühne diente und auf Privatgelände stand, wurde beschlagnahmt. Die Aufstellung der Toilettenhäuschen wurde untersagt. Der Gemeinderaum, der frühzeitig für eine Informationsveranstaltung am Dienstag abend, den 17.10.2000, gemietet worden war, wurde kurzfristig gekündigt.

Nach langen Verhandlungen wurde, da in und um Philippsburg kein Raum zu bekommen war, die Informationsveranstaltung auf dem Marktplatz in Wiesental genehmigt. Der hierfür notwendige Stromgenerator wurde jedoch kurzfristig ohne Begründung von der Polizei beschlagnahmt. Bei einer Blockade der Zufahrten zum AKW am Mittwoch, den 18.10.2000, wurden ca. 120 Demonstrierende mehrere Stunden in Gewahrsam genommen. Donnerstag, den 19.10.2000, wurden Büro und Lagerräume durchsucht und viele Gegenstände - Computer, Drucker, Handys, Geldcasetten, Werkzeug - beschlagnahmt. Anwohner, die den ihrer Küche beraubten Demonstrierenden Lebensmittel bringen wollten, berichten, dass sie daran polizeilich gehindert wurden. Andere mussten erst eine Durchsuchung über sich ergehen lassen.

Der versammlungsfeindliche Umgang mit den Demonstrationen wird deutlich anhand dreier uns vorliegender allgemeiner Verfügungen des Landratsamts und seines Straßenverkehrs- und Ordnungsamtes, die wortreich Räumungen und Beschlagnahmungen verfügen. Außerdem anhand eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, das die Durchsuchung von privaten Räumen für rechtens erklärt. Wolf- Dieter Narr kommt anhand dessen zu dem Schluss: All diese ordnungsamtlichen und gerichtlichen Verfügungen, Aus- und Einlassungen, Begründungen, Handlungen und Entscheidungen zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: - dass sie das Grundgesetz und in ihm das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht einmal zu buchstabieren versuchen, geschweige denn in Substanz und Form in Anschlag bringen; - dass sie durch eine Reihe von Bestimmungen lokaler Polizeiverordnungen, landesweiten Polizeigesetzen, Verwaltungsordnungen, Argumenten aus Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und schließlich auch des Strafgesetzes ein formell rechtsstaatlich geradezu perfektes Gespinst spinnen, in dem die beabsichtigte Demonstration und diejenigen, die daran teilnehmen wollen oder gehindert teilgenommen haben, samt allen nötigen infrastrukturellen Vorkehrungen geradezu perfekt eingefangen und anscheinhaft korrekt, immerhin verwaltungsgerichtsfest erdrosselt worden sind; - dass all diese formal rechtsstaatlich feinsinnigen Normfäden jedoch dazu herhalten müsssen, pauschal formulierte, im Sinne unbestimmter Rechtsbegriffe oder als Generalklauseln verwendbarer Zwecke dem Anschein nach korrekt zu vertäuen.

Als da sind vor allem die öffentliche Sicherheit und Ordnung, polizeiwidrige Zustände u.ä.m.; - dass demgegenüber die Demonstration und ihre (potentiellen) TeilnehmerInnen pauschal unter der Perspektive von Störern, Gesetzesbrechern und Gewalttätern betrachtet und behandelt werden. Demgegenüber erscheinen Eingriffe in ihre Rechte oder die Rechte von Bürgern, die ihnen helfen wollen, indem sie ihnen ihren Raum zu Verfügung stellen, durchgehend rechtens. Angesichts der ihrerseits pauschal behaupteten Gefahr im Verzuge ( drohende Gefahr ) für die nicht weiter ausgewiesene öffentliche Sicherheit ... ; - dass also die Verhältnismäßigkeit der Verbote, der Eingriffe, der Verfügungen nur im Rahmen der einseitig und zugleich pauschal vorgetragenen öffentlichen Sicherheit begründet wird und die zuständigen Ämter öffentliche Ordnung in ihrem engen institutionellen Sinne substantiell privatisieren, sprich bürgerlichem Gebrauch berauben."

Dementgegen gilt es für das unverkürzte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einzutreten.
 

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.