Irak

Keine Waffenlieferungen in den Nord-Irak

von Martin Singe

Die Bundesregierung hat in Sachen Rüstungsexporte/Kriegsunterstützung eine vollkommene Wende vollzogen. Jetzt sollen Waffen an die Kurden im Nordirak geliefert werden, damit diese die IS bekämpfen, obwohl niemand weiß, wo die Waffen am Ende landen werden. Viele Gruppen aus der Friedensbewegung haben sich mit den Argumenten der Bundesregierung auseinandergesetzt und Gegenpositionen formuliert und fordern statt Waffenlieferungen umfassende Hilfe für die Flüchtlinge vor Ort und großzügige Flüchtlingsaufnahme in Deutschland. In einer von Peter Grottian (Komitee für Grundrechte und Demokratie) initiierten Erklärung heißt es, hier nur auszugsweise zitiert:

Wir haben die Verfassung und die bundesdeutschen und europäischen Exportrichtlinien für Waffenlieferungen in Krisengebiete zu respektieren. Wer jetzt Entscheidungen für Waffenexporte in den Irak forsch mit der Brechstange fordert, zerstört den Rechtsrahmen, den wir uns mit guten Gründen im Geiste unserer Vergangenheit gezimmert haben. Kurzum: Ad hoc kann die Bundesregierung keine Waffen in diese Krisenregionen liefern. Finito. (…)  Die Bundesregierung muss auch alle Waffenlieferungen an die Staaten einstellen, die die IS-Milizen aufrüsten, wie z.B. Saudi-Arabien und Katar.

Statt nun Waffen in den Nord-Irak zu liefern, sollte die Bundesregierung eine umfassende humanitäre Intervention mit hohem finanziellem und personellem Einsatz bestreiten, die ihren Namen wirklich verdient. Natürlich mit der Billigung der Irak-Übergangsregierung. Das dürfte nicht nur die Hilfe der wenigen noch vorhandenen deutschen Hilfsorganisationen im Irak sein oder die vier Transall-Flugzeuge mit Zelten, Decken, Medikamenten und Wasseraufbereitungsanlagen, sondern entschieden mehr: Feste Flüchtlingscamps, stabile Lazarette inklusive medizinischer Versorgung, Unterstützung des Alltagslebens, Bildung, Weiterbildung, Aufbau von Dienstleistungen und Bewahrung kultureller Identitäten. (…) Flüchtende, die die Region verlassen wollen, sind zu unterstützen. Ihnen ist Asyl oder ein humanitäres Aufenthaltsrecht gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewähren.

Die Stunde der Exekutive mit einer humanitären Intervention bestünde darin, dass Merkel/Gabriel/Steinmeier/von der Leyen alle nach Berlin einberufen, die ein solches Engagement großzügig und kompetent stemmen können: u.a. die etablierten Hilfsorganisationen und die Gruppen der Zivilgesellschaft. Herr Schäuble, es werden deutlich mehr als 100 Millionen Euro sein, die Sie bereitstellen müssen.“ (…)

Auch die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ kritisiert den Beschluss der Bundesregierung, kurdische KämpferInnen im Norden des Iraks mit deutschen Kriegswaffen hochzurüsten. Nachdrücklich weisen die Kampagnensprecher Jürgen Grässlin und Paul Russmann „auf die desaströsen Folgen der anstehenden Waffentransfers“ hin.

Deutsche Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga sind falsch und in ihrer Wirkung fatal. Wer Waffen an eine Kriegspartei liefert, gießt Öl ins Feuer eines Krieges. Die Behauptung Menschenrechte im Irak und im Mittleren Osten schützen zu wollen, ist angesichts der langjährigen Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten in der Region völlig unglaubwürdig“, so Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Sprecher der Kampagne Aktion Aufschrei.

Deutschland exportiert einmal mehr Kriegswaffen und Rüstungsgüter in das Pulverfass Nahost, eine Region, in der es an vielem mangelt, am allerwenigsten aber an Waffen“, sagt Paul Russmann, Geschäftsführer von Ohne Rüstung Leben  (ORL) und Sprecher der Kampagne  Aktion Aufschrei. „Die Waffenexporte sind mittel- und langfristig destabilisierend, somit verantwortungslos und im Endeffekt kontraproduktiv. Deutschland muss endlich auf allen Ebenen Verantwortung als Weltfriedensmacht definieren. Dies verlangt von der Bundesregierung eine Vervielfachung humanitärer Leistungen und der Flüchtlingsaufnahme.

Die Aktion Aufschrei veröffentlichte Thesen gegen einen Waffenexport, hier können nur einige davon zitiert werden (vgl. aufschrei-waffenhandel.de):

Mit dem Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern in den Irak verstößt die Bundesregierung gegen den Geist des internationalen Waffenembargos, des Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetzes sowie der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung zum Rüstungsexport“.

Die Lieferungen deutscher Kriegswaffen und Rüstungsgüter an die Peschmerga als nichtstaatliche Empfänger deutscher Kriegswaffen sind ein Präzedenzfall, der als weiterer Türöffner für kommende Waffentransfers dienen kann. 

Die Ankündigung der Bundesregierung Rüstungsexporte künftig einzuschränken, wird mit den Waffenlieferungen in den Irak schlichtweg konterkariert. Die Jahrzehnte währende Tradition deutscher Kriegswaffenlieferungen in die Krisen- und Kriegsgebiete des Mittleren und Nahen Ostens wird ungehemmt fortgesetzt. Mit diesen Rüstungsexporten wird Öl ins Feuer von Kriegen gegossen und das Wettrüsten in der Region erneut angeheizt.

Im Pulverfass Nahost gibt es mehr Waffen als genug, zugleich mangelt es an staatlichen Strukturen, an Bildung und Gesundheit. Stabilität in der Region wird erst gewährleistet, wenn alle politischen und religiösen Kräfte angemessen in der irakischen Regierung vertreten sind und ihren Einfluss im Sinne des Gemeinwohls geltend machen können. Sunnitische Abgeordnete und Minister in der neuen irakischen Regierung können positiv Einfluss auf die IS ausüben.

Die Geschehnisse vergangener und gegenwärtiger Konflikte zeigt: Die exportierten Waffen wirken jahrzehntelang bei folgenden Militäreinsätzen destabilisierend, sind somit verantwortungslos und im Endeffekt kontraproduktiv. Durchaus realistisch aber ist, dass die nunmehr mit modernen Waffen hochgerüsteten Kurden im Nordirak einen eigenen Staat gründen wollen. Kommende Konflikte mit der Türkei sind vorprogrammiert, einmal mehr mit dem Einsatz deutscher Waffen beiderseits der Front.

Die Bundesregierung muss auf politischer Ebene massiv auf die befreundeten Staaten Türkei, Saudi-Arabien und Katar Druck ausüben, damit deren Unterstützung und deren Finanzierung der IS-Terroreinheiten sofort gestoppt wird.

Die DFG-VK hat aktuell noch ein 4-seitiges Flugblatt mit Argumenten gegen Waffenexporte in den Nord-Irak verfasst: Bestellungen an DFG-VK 0711-51885601, ba-wue [at] dfg-vk [dot] de.

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Rubrik

Krisen und Kriege
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".