Frieden und Klimawandel

Klimawandel muss Thema der Friedensbewegung werden

von Arnold Köpcke-Duttler
Hintergrund
Hintergrund

Wir dokumentieren im Folgenden eine Rede, die der Autor am 5. Dezember 2020 bei einer Kundgebung von „Abrüsten statt Aufrüsten“ vor dem Würzburger Dom hielt.

In seinem neuen Buch „Heißzeit“ umreißt Mojib Latif, Professor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, die komplexen Zusammenhänge zwischen Klima, Umwelt, Gesundheit, Wirtschaft, Sicherheit und Gesellschaftsordnung. In aller Dringlichkeit (Verschärfungen des Weltklimas sind seit Jahrzehnten bekannt und werden schon lange Zeit öffentlich diskutiert) wird die Transformation der Wirtschaft in Richtung auf eine fossilfreie Ökonomie angemahnt, ja beschworen. Die Sicherheitslage auf der Welt (die Verteidigungsministerin möge das hören) verschlechtere sich weiter, schritte die Erderwärmung ungebremst voran, zum Beispiel weil viele Menschen ihre Heimat wegen der extremen Witterungsverhältnisse verlassen müssten, was sie bereits heute zum Teil schon tun müssen, bzw. wozu sie zwangsweise umgesiedelt werden. Konflikte wegen der klimabedingten Migration und Flucht sind vorprogrammiert, was nicht allein die Klimaforscher*innen erkennen. (1) Latif sorgt sich darum, dass die Menschlichkeit auf der Strecke bleibe in derlei Notsituationen.

Unübersehbar und nicht zu leugnen ist schon seit Jahrzehnten die Gefahr, dass die Erderwärmung die ganze Menschheit in ihren Untergang zu stürzen droht, „und dies nicht nur wegen der klimatischen Auswirkungen, sondern auch wegen der weltwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Konsequenzen, wie auch wegen der negativen Einflüsse auf Gesundheit und Welternährung.“ (2)

Nicht nur von daher gehören die Friedensbewegung und die Klimaschutzbewegung untrennbar zusammen. Latif und viele andere sehen die Gefahr künftiger Kriege und plädieren für ein umfassendes Verständnis von Sicherheit, die mit militärischen Mitteln (mit atomarer, biologischer und chemischer Zerstörungsgewalt) gar nicht erreicht werden kann. Der Begriff der Sicherheit ist im Horizont des friedlichen Überlebens der Menschheit tiefergehend zu begründen und aus seiner militärischen, oft militaristischen Reduktion herauszulösen.

Im Folgenden lasse ich jetzt eine indische Frau sprechen. Vandana Shiva, Physikerin und Philosophin, stellt ebenfalls fest, dass die Erderwärmung das Überleben der Menschheit als Gattung, unser aller Überleben, gefährdet. In ihrem Buch „Leben ohne Erdöl. Eine Wirtschaft von unten gegen die Krise von oben“ unterscheidet sie zwischen Wissenschaften, die das Leben verteidigen, und Wissenschaften, die Leben vernichten. Die Verbindung zwischen Wissen und Macht sei ihr bewusster geworden. In einer Universitätsstadt darf nicht verschwiegen werden, wie soziale Unverantwortlichkeit in eine kriegs- und profitorientierte Wissenschaft fest miteingebaut werden kann. Die frühere Nuklearphysikerin hält mit dem Blick auf ein Kernenergieabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Indien fest, dass die Atomarisierung von Indiens Energie auch die Atomarisierung seiner militärischen Optionen sei. (3) Atommüll und die wachsende Gefahr eines nuklearen Krieges werden von ihr zusammengedacht. Ihr gewaltfreier Widerstand richtet sich gegen die gewaltvolle Behauptung, ein nuklearer Winter sei besser als eine globale Erwärmung. Sie geht aus von einer dreifachen Krise, von denen jede einzelne das Überleben der Menschheit gefährde:

„- Klima: Die Erderwärmung gefährdet unser Überleben als Gattung.
– Energie: Peak Oil bedeutet das Ende des billigen Brennstoffs, welcher die Industrialisierung der Produktion und die Globalisierung des Konsumismus antrieb.

– Nahrung: Die Hungerkrise entsteht als Folge des Zusammentreffens von Klimaveränderung, Peak Oil und Globalisierung, welches die Rechte der Armen auf Nahrung und eine menschenwürdige Existenzgrundlage bedroht.“ (14)
Die Entmenschlichung, die ökonomische Ungleichheit und die ökologische Katastrophe müssten gleichzeitig überwunden werden – gleichzeitig und gleich umfassend. (5) Die konkreten Zusammenhänge zwischen der Klimaveränderung, der Energiefragen und der ökonomischen Globalisierung müssen wahrgenommen  und verbunden werden mit der Kritik der Ungerechtigkeit gegenüber den Armen und allen Lebewesen, deren Leben und Zukunft geopfert werden, um Energie und Ressourcen für eine globalisierte, konsumistische Wirtschaft auszunutzen. Vandana Shiva kritisiert die folgende Sicht der Reichen: „Wie kann das Erdölvorkommen der Welt (durch Militarisierung) kontrolliert werden; und wie kann man gleichzeitig Alternativen zum Erdöl finden, bevor das Erdöl ausgeht und der Klimawandel die herrschende soziale Ordnung zerstört.“ (6)

In dieser reduktionistischen Analyse erhält das Militär seine Funktion. Gegen diese Reduktionismen ist zu sagen, dass Energie nicht eingeschränkt werden darf auf eine industriell auszubeutende Energieform. Die Physikerin fährt fort: „Außen vor bleibt die Energie, welche nicht industriell genutzt werden kann – die kreative Energie des Universums. Nicht berücksichtigt werden Gaias selbstgesteuerte Energie und die menschliche Energie, zu arbeiten und zu produzieren, zu organisieren und zu gestalten. Ebenfalls ausgelassen ist die Perspektive der Armen – vor allem der Armen in den nicht industrialisierten Gesellschaften der sogenannten Dritten Welt – und die Rechte anderer Spezies.“ (7)

Die Energie der Menschlichkeit konfrontiert sich mit der in Kriegen und klimatischen Verschärfungen sichtbar werdenden Verwundbarkeit, Verletzbarkeit der Menschheit. Vor diesem Dom (?) können die den Vereinten Nationen zugesprochenen Worte des Papstes aufgenommen werden, dass der Krieg die Negierung aller Rechte und ein dramatischer Angriff auf die Umwelt ist. Ein wirklicher und dauerhafter Frieden sei nur möglich im Anschluss an eine globale Ethik der Solidarität und Zusammenarbeit im Dienst an einer Zukunft, die von der Interdependenz und Mitverantwortlichkeit innerhalb der ganzen Menschheitsfamilie von heute und morgen gestaltet wird.“ (8)
Nachtrag aus einem anderen Kontinent, nämlich Abya Yala (in der indigenen Sprache der Kuna „Erde in voller Blüte“; bei uns „Lateinamerika“ genannt):

In der Internationalen Ökosozialistischen Erklärung von Belém/Brasilien aus dem Jahr 2008 (9) werden verschiedene radikale Umwälzungen verlangt, darunter:

  • Drastische und rechtlich verbindliche Reduktionen der Treibhausgase
  • Entwicklung von sauberen Energiequellen
  • Abschaffung der Atomenergie und der Kriegsausgaben

Die ökosozialistische Bewegung zielt darauf, den desaströsen Prozess der globalen Klimaerhitzung und zugleich den kapitalistischen Ökozid umzukehren und eine praktische Alternative gegen das unfriedliche kapitalistische Weltsystem aufzubauen. Die Armen und unterdrückten Indigenen geben ihren Beitrag zu einem mundanen Frieden.

Anmerkungen:
1 Siehe bereits Manfred Wöhlke: Umweltflüchtlinge – Ursachen und Folgen, München 1992
2 Mojib Latif: Heißzeit, Freiburg 2020, S. 106
3  Vandana Shiva: Leben ohne Erdöl, Zürich 2009, S. 55
4 ebd. S. 11 f.
5 S. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Anders Wijkman u.a.: Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt, 3. Aufl. Gütersloh 2017, S. 64 ff.: Atomwaffen – die verdrängte Bedrohung; S. 49 ff.: Die Klima-Herausforderung; S. 310 ff.:  Die Gemeinwohlwirtschaft
6 Vandana Shiva, Leben ohne Erdöl, a.a.O. S. 79 f.
7 Ebd. S. 80
8 Papst Franziskus: Die Enzyklika „Fratelli tutti“. Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft, Freiburg 2020, S. 116 (Ansprache über Atomwaffen, Nagasaki, Japan, am 24. November 2019)
9 Michael Löwy: Ökosozialismus. Die radikale Alternative zur ökologischen und kapitalistischen Katastrophe, Hamburg 2016, S. 170 f.

Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge.

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Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler ist Rechtsanwalt und Diplom-Pädagoge. Er hat verschiedentlich zu pädagogischen Themen und zu Gandhi und anderen VertreterInnen der Gewaltfreiheit publiziert.