Kongreß gegen NATO-Eingreiftruppe

von Berthold KeuneckeUlrich Nettelstroth

Es war exakt 10 Jahre nach der letzten großen Demonstration gegen die Raketenstationierung in Bonn, aber das war eher Zufall als Berechnung: Am 23. Oktober tagte in Bielefeld ein Kongreß zur Out-of-Area-Frage, zur Frage "Krieg des Nordens gegen den Süden“. Das Bielefelder Bündnis gegen die Schnelle Eingreiftruppe hatte den Tagungsort bewußter ausgewählt als den Termin: Er lag in unmittelbarer Nähe·zur Rippon-Kaserne, in der im Oktober '92 die Gründung des "Allied Command Europe Rapid Reaction Corps", der Schnellen Eingreiftruppe der NATO, festlich begangen wurde.

Die Protestaktionen, die sich im vergangenen Jahr gegen diese "Speerspitze" des Militärs gewendet hatten, waren regional begrenzt und schwach geblieben, und das, obwohl hier eine Struktur für die Kriege der reichen Länder gegen die Armen aufgebaut wurde, die der überwiegende Teil der Bevölkerung ablehnt; obwohl hier ein Instrument geschaffen wurde, das eine zentrale Rolle in der Militarisierung des Nord-Süd -Konflikts spielt. Doch hatte sich im Rahmen der Proteste das „Bielefelder Bündnis gegen die Schnelle Eingreiftruppe" gebildet, unter Mitwirkung eines breiten Spektrums von Gruppen vom DGB über die Grünen bis zum "Bund für Soziale Verteidigung". In diesem Kreis von Leuten aus Bielefeld und Umgebung wurde nun der eintägige Kongreß vorbereitet, der den politischen Horizont, die militärischen Planungen und die gewaltfreien Alternativen zu dem Krieg des Nordens gegen den Süden diskutieren sollte. Trotz mancher Pannen in der Vorbereitung ist er auch zustandegekommen, und es kamen rund 200 TeilnehmerInnen aus vielen Teilen des Bundesgebietes.

Den inhaltlichen Einstieg gaben zwei Referate von Katrin Fuchs und Otfried Nassauer. Katrin Fuchs, Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses für Abrüstung (SPD), wies daraufhin, daß sich die Bundesrepublik nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien inzwischen selbst als "Mittelmacht mit globalen Interessen" verstehe. Deutsche Soldaten im weltweiten Einsatz zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen, das sei das Szenario, das gegenwärtig in der Bonner Hardthöhe vorbereitet werde. Hierbei sei zu beachten, daß militärpolitische Entscheidungen in zunehmendem Maße von der Bundeswehrführung selbst getroffen und von der Regierung lediglich abgesegnet würden.

Demgegenüber malte der Hamburger Friedensforscher Otfried Nassauer ein Bild von einer "kränkelnden" NATO, die sowohl an fehlender Legitimierung wie an Spannungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu knacken habe. Die Aufstellung multinationaler Kampfverbände sei eine Reaktion darauf. Auch wenn die Schnelle Eingreiftruppe der NATO noch nicht wirklich einsatzbereit wäre, gäbe es doch weitreichende Planungen. Verschiedene Kommandostäbe sollten zusammen eine Streitmacht in Golfkriegsstärke, d.h von etwa einer halben Millionen Soldaten, in kurzer Zeit an jeden beliebigen Einsatzort mobilisieren können. Die Bundeswehr solle sich nach dem Willen ihrer Führung mit bis zu 70.000 Mann an diesen Kontingenten beteiligen.

Der Schwerpunkt und die Vielfalt des Kongresses lag jedoch in den zwölf Arbeitsgruppen: Da wurde z.B. die Rolle der UNO in dem Ost-West-Konflikt hinterfragt. Da wurden unter der Überschrift "Wie werden die Deutschen kampfbereit gemacht?“ die sprachlichen und "salami“-taktischen Mittel untersucht, mit denen die Bundesregierung Volk und Armee auf den Krieg vorbereitet. Es wurden aber auch Alternativen zum Militäreinsatz thematisiert: So konnte z.B, eine Gruppe zum ehem. Jugoslawien eine Parallelität von Entwicklungen in der Entstehung des Balkankrieges und dem Wachsen rassistischer Gewalt bei uns feststellen und konnte fragen, welches Eingreifen von außen wir uns im Fall einer Ausweitung der Gewalt wünschen würden. Nicht zuletzt diskutierte eine Gruppe auch die Möglichkeiten eines "Zivilen Friedensdienstes", also den Aufbau einer Institution, in der sich Tausende von Männern und Frauen in gewaltfreier Konfliktaustragung ausbilden lassen könnten und in freiwilligen Einsätzen in Konflikte bei uns und in anderen Ländern eingreifen könnten.

Angesichts der immer weiter um sich greifenden Gewalt und des Trends zur Militarisierung der internationalen Politik, die auf diesem Kongreß deutlich wurde, mögen manche resignieren wollen. Da war es gut, daß Mani Stenner den Teilnehmenden zum Schluß noch einmal eine mutmachende Einsicht vor Augen führte: Daß in unserem Land seit dem Desaster in Somalia die Erkenntnis wieder salonfähig werde, daß Militär nicht zur Konfliktbearbeitung taugt. Dazu beizutragen, daß diese Erkenntnis mehr als nur salonfähig wird, bleibt eine Hausaufgabe, die dieser Kongreß aufgab.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Berthold Keunecke ist Gemeindepfarrer, arbeitet im Bund für Soziale Verteidigung und Versöhnungsbund mit und in der Organisation der "Gewaltfreien Aktion GÜZ abschaffen".