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Waffenhandel in Europa
Kontrolliert, aber nicht beschränkt
vonDie Europäische Union ist nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte globale Waffenexporteur. Daher würde eine gute Waffenexportpolitik der EU zu globaler Stabilität und Frieden beitragen, während eine schlampige Politik große Risiken mit sich bringt. Die Rolle Deutschlands ist dabei entscheidend. Deutschland ist der größte Waffenexporteur in der EU und der drittgrößte Exporteur weltweit, mit einem 11-prozentigen Anteil an allen Rüstungsexporten in der Zeit zwischen 2006 und 2010, nach den USA mit 30% und Russland mit 23%.
Seit 1998 fällt der Rüstungsexport unter eine gemeinsame Politik der Europäischen Union. Für jeden Export von militärischer Ausrüstung und Technologie durch einen EU-Mitgliedsstaat wird eine Exportlizenz benötigt, die bei der zuständigen nationalen Behörde beantragt werden muss. Alle Lizenzanträge müssen nach bestimmten Kriterien überprüft werden, die Menschenrechte, bewaffneten Konflikt und die wirtschaftliche Lage in dem Käuferland betreffen. Die nationale Waffenhandelspolitik muss in Übereinstimmung mit der der EU sein, obwohl Mitgliedsstaaten eigene zusätzliche Richtlinien, die die EU-Gesetzgebung ergänzen, erlassen dürfen.
Eine administrative Einheit, COARM (Council Working Group on Conventional Arms Exports), trifft sich regelmäßig in Brüssel, um die Waffenexportrichtlinien der 27 EU-Mitglieder zu diskutieren und zu vergleichen. Ziel ist, die Richtlinien zu harmonisieren, um ein ebenes Spielfeld zu schaffen.
Die EU-Waffenhandelspolitik schließt einen transparenten Prozess durch die Veröffentlichung von jährlichen Berichten über Rüstungsexporte ein. Sie verlangt auch von den Mitgliedsstaaten, einen nationalen Bericht über ihre Exporte zu publizieren. Vierzehn Jahre nach dem Erlass dieser Richtlinien berichten viele Länder immer noch nicht vollständig über ihre Rüstungsexporte.
Stärkung der Rüstungsindustrie
Dass die EU den Waffenhandel kontrollieren und regulieren will, heißt nicht, dass sie ihn reduzieren möchte. Die militärischen Kräfte der europäischen Länder und die mächtige Rüstungsindustrie, die vom European Institute of Foreign Relations als das „Verteidigungsestablishment“ bezeichnet werden, haben einen großen Einfluss auf die EU. Dank ihrer enthält z.B. die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU eine Klausel, dass die EU-Mitgliedsländer sich um die ‚Stärkung einer europäischen technologischen und industriellen Verteidigungsbasis‘ bemühen müssen.
Die Rüstungsindustrie der großen EU-Waffenexporteure, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und die Niederlande, ist technologisch hoch entwickelt und marktführend. Sie bietet teure Waffensysteme für Kunden, die sich entweder solchen Luxus leisten können (was westliche Länder und Länder mit Rohstoffen für den Export, besonders Öl, sind), oder die Geldgeber für ihre Käufe finden können. Große Schulden aufgrund von Waffenimporten tragen zu Wirtschaftsproblemen bei. Man kann das am Beispiel Griechenlands sehen, das bis vor kurzem der größte Importeur von Waffen in der EU war und vor allem von Deutschland und Frankreich kaufte, und am Beispiel Ägyptens, das derzeit u.a. große Schulden an Großbritannien zurückzahlt, die durch den Bau einer Panzerfabrik und die Lieferung von Flugkörpern entstanden.
Neue Geldquellen
Um die Kürzungen in nationalen Verteidigungshaushalten zu kompensieren, versucht die Rüstungsindustrie, andere Geldquellen aufzutun. Eine von diesen ist „homeland security“, ein Feld, in das ein großer Teil des beträchtlichen EU-Forschungsbudgets fließt. Die EU kann die Rüstungsindustrie aufgrund politischer Empfindlichkeiten nicht unterstützen, aber sie kann „Forschung für innere Sicherheit“ fördern, was viel ziviler klingt. Ein 1,4 Milliarden Euro“European Security Research Programme” (ESRP) wurde für den Zeitraum 2007-2013 durch einen informellen Think Tank der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit großen europäischen Rüstungsunternehmen wie EADS, Thales und Finnmeccanica entwickelt, die auch die großen Nutznießer dieses Programmes sind.
Ein anderes Feld, wo die Haushaltsmittel weiter aufgestockt werden könnten, die der NATO-Raketenabwehrschirm. Die Rüstungsindustrie freut sich auf den NATO-Gipfel in Chicago im Mai, wo Entscheidungen erwartet werden, das Programm auszuweiten. „In technologischen Begriffen hat Europa einige Kompetenzen, die es beitragen kann“, sagte der Leiter von EADSs Astrium Weltraumabteilung, François Auque. „Die einzige wirkliche Frage ist die finanzielle.“ Bislang sind die Rüstungsindustrie und die NATO erstaunlich erfolgreich darin, die öffentliche Meinung in Europa zu überzeugen, dass ein Raketenschild gegen den Iran benötigt werde, obwohl die iranischen Raketen das europäische Kernland gar nicht erreichen können. Und als ein Schutz gegen Russland scheint der Raketenschild das Gegenteil von dem zu erreichen, was er tun soll. Anstatt die Sicherheit zu erhöhen, trieb er Russland dazu, seine militärischen Anstrengungen zu vergrößern. Der Raketenschild ist ein neuer Rüstungswettlauf im Stile des Kalten Kriegs, mit einem Milliarden-Dollar-Budget, von dem die Rüstungsindustrie immens profitieren wird.
Die Rüstungsindustrie hofft auch, von Haushaltslinien für nachhaltige Technologien einen Nutzen zu haben. „Ich denke, der Klimawandel ist eine echte Möglichkeit für die Luftraum- und Verteidigungspolitik“, sagte Lord Drayson, der frühere britische Staatsminister, der für die Reform von Anschaffungen im Bereich der strategischen Verteidigung zuständig war. 2011 organisierte die Rüstungsindustrie eine „Energy Environmental Defense and Security“ Konferenz, die von solchen Giganten wie Raytheon, Lockheed Martin, Finmeccanica und EADS finanziert wurde. In ihrer Ankündigung jubiliert sie: „Der Rüstungsmarkt weltweit hat einen Wert von einer Billion US-Dollar pro Jahr. Der Markt für Energie und Umwelt ist mindestens acht Mal so viel wert.“
Menschenrechte unter Feuer
Wenn der einheimische Markt schrumpft, ist mehr Export die Lösung. Die europäische Rüstungsindustrie versucht, den auswärtigen Markt zu vergrößern, aber die Exportregulierungen könnten im Wege sein. Der europäische Rüstungsexport wird von einem Set von acht Kriterien kontrolliert (s. Kasten), der die Mitgliedsstaaten dazu zwingt, mehr als nur ökonomische und militärische Interessen zu berücksichtigen. Die acht Kriterien setzen einen klaren Standard für eine ethische Rüstungshandelspolitik. Unglücklicherweise ist, wie die LeserInnen bemerken werden, die Formulierung der Kriterien weich. Die lizenzgebende Stelle muss Menschenrechte, bewaffneten Konflikt und die wirtschaftliche Situation im Empfängerland in Betracht ziehen, aber die Kriterien verlangen nicht, dass im Falle von Zweifeln eine Exportlizenz verweigert werden muss. Es liegt in den Händen des exportierenden Landes zu entscheiden, ob es die Kriterien strikt oder flexibel anwenden will. Nur im Falle eines Waffenembargos oder eines Krieges ist Export unzweifelhaft gegen die Regeln der EU. Aufgrund dieser Elastizität landen viele europäische Waffen immer noch bei Diktatoren und Menschenrechtsverletzern, in Konfliktregionen oder in Ländern, die für teure Waffen der EU eigentlich zu arm sind. Alle europäischen Länder genehmigen Lizenzen für Deals, die, würden die EU Exportrichtlinien strikt angewendet, nicht stattfinden dürften.
Dies wurde schmerzhaft deutlich während des Arabischen Frühlings 2011, als europäische Waffen gegen friedliche ZivilistInnen eingesetzt wurden, die für Demokratie auf die Straße gingen. Viele Jahre lang hatten die europäischen Regierungen die Warnungen von Friedens- und Menschenrechtsorganisationen ignoriert und im Zweifel für Exportlizenzen an arabische Diktatoren entschieden. Die französische Regierung z.B. genehmigte eine Exportlizenz für Tränengas an Tunesien im Dezember 2010. Dank eines aufmerksamen französischen Zollbeamten wurde der Transport an einem Flughafen in Frankreich gestoppt, aber die französische Regierung kassierte die Lizenz erst nach dem Sturz der Ben Ali Regierung. Das Vereinigte Königreich exportierte Schrotflinten, Kanister mit Tränengas und Betäubungsgranaten nach Bahrain, wo sie von der Polizei eingesetzt wurden, als sie den Pearl Roundabout räumte. Die Niederlande exportierten gepanzerte Fahrzeuge nach Ägypten und Bahrain, wo sie gegen zivile Demonstranten eingesetzt wurden. Deutschland verkaufte nicht nur eine Produktionslizenz für Gewehre an Saudi-Arabien, sondern exportierte auch Anti-Panzer-Geschütze u.a. an Algerien, Ägypten und Libyen. Die gepanzerten Fahrzeuge, die wortwörtlich über demonstrierende Kopten in Ägypten rollten, kamen höchstwahrscheinlich aus Deutschland. Nie zuvor wurde es so klar, dass die EU-Rüstungsexportpolitik versagt hatte. Dies gibt jetzt einen Anstoß für deren Verbesserung.
Stoppt den Rüstungshandel
Die Interessen an dem Rüstungshandel sind gigantisch, wirtschaftlich wie politisch. Zusammen geben die neun größten EU-Rüstungsfirmen fast 2,5 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus. Die Dachorganisation Aerospace and Defence Industries Association (ASD) hat einen jährlichen Haushalt von 4,7 Millionen Euro, von dem viel für Lobbyarbeit verwendet wird. Die Lobbyhaushalte auf nationaler Ebene sind unbekannt. Noch weiß man, wieviel für Korruption ausgegeben wird, aber wenn man die lange Liste von Skandalen ansieht, die oft hohe Politiker betreffen, muss es eine Menge sein. Trotzdem versuchen Friedens- und MenschenrechtsaktivistInnen, den Waffenhandel unter Kontrolle zu bekommen.
2012 wird die EU-Position zu Waffenexporten überprüft. Eine Koalition von Nichtregierungsorganisationen erforschte die EU-Exporte an Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas und formulierte Empfehlungen für die Verbesserung der EU-Richtlinien. Ebenso werden die Vereinten Nationen dieses Jahr einen Arms Trade Treaty beschließen, der den globalen Waffenhandel kontrollieren soll. Diese internationalen Abkommen stoppen natürlich nicht selbst den Waffenhandel, aber sie stellen einen Rahmen für nächste Schritte dar. Die Umsetzung muss auf der nationalen Ebene passieren. Deshalb sind nationale Kampagnen gegen Waffenhandel unverzichtbar. Und weil der Waffenhandel national kontrolliert wird, aber auf weltweiter Ebene stattfindet, müssen diese nationalen Kampagnen zusammenarbeiten. Zu diesem Zweck besteht ein Europäisches Netzwerk gegen den Waffenhandel (ENAAT, s. den Artikel von Andrea Kolling in diesem Heft).
Mehr Informationen über die EU-Exporte in den Nahen Osten: http://www.stopwapenhandel.org/sites/stopwapenhandel.org/files/BB2withHy... (englisch).
Übersetzung aus dem Englischen: Redaktion.