Platzbesetzung am Gefechtsübungszentrum

Krieg beginnt mit seinen Vorbereitungen hier - Frieden aber auch

von Ernst-Ludwig Iskenius
Initiativen
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Vom 18. auf den 19.9.2020 besetzten mehr als 20 Menschen Teile des Truppenübungsplatzes Altmark. In dieser Zeit wurde der Übungsbetrieb auf diesem Gelände von Seiten der Bundeswehr eingestellt. Auf dem über 230 km2 großen Gelände ist von Rheinmetall Europas modernstes Gefechtsübungszentrum (GÜZ) mit der "Kampfstadt Schnöggersburg" mitten in einem Naturschutzgebiet für die Bundeswehr und ihre "befreundeten" Armeen errichtet worden. (Betrieben wird er jetzt von Saab aus Schweden.) Alle Soldaten, die in Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt werden, üben hier moderne Kriegsführung, einschließlich Häuserkampf. Der Krieg, den Deutschland seit mehr als 20 Jahren in allen Regionen der Welt (mit)-trägt, wird hier vorbereitet.

Unsere Vorbereitung: Schon im November letzten Jahres setzten sich Personen aus dem Spektrum der örtlichen BI Offene Heide, dem Jungen Netzwerk für politische Aktionen (JunepA), dem Netzwerk ZUGABE, der KURVE Wustrow und Einzelpersonen  zusammen, um an den Widerstand in früheren Jahren anzuknüpfen und mit Aktionen des Zivilen Ungehorsams auf die rechtswidrigen Kriegsvorbereitungen aufmerksam zu machen. Mit diesem breiten Bündnis hofften wir, mehr Menschen in einer kraftvollen gewaltfreien Aktion in diesen Widerstand einzubinden. Wir einigten uns darauf, die Verknüpfung von Menschen gemachten Klimaveränderungen (die in dieser Region besonders greifbar sind) und Kriegsvorbereitungen in den Mittelpunkt zu stellen (z.B. „Wir haben keine Zeit für Kriege. Wir müssen das Klima retten").

Mitten in diese Vorbereitungen fielen dann die Beschränkungen durch die Corona-Pandemie. Im Gegensatz zu manchen anderen öffentlichen Friedensaktivitäten ließen wir uns aber nicht entmutigen, sondern passten unser Aktionskonzept den Erfordernissen des Infektionsschutzes an. Trotzdem mussten wir dann unsere geplante Aktion vom Juni auf den September verschieben, was sicherlich für manche potentielle Teilnehmer*innen zu Verwirrung und schließlich zur Absage führte. Zwar konnten wir anfangs durch die öffentliche Diskussion um Defender 2020 noch die Aufmerksamkeit auf das konkrete Gefechtsübungszentrum in der Altmark lenken, mit dem vorzeitigen Abflauen dieser Militärübungen geriet der Kriegsvorbereitungsaspekt aber erneut in Vergessenheit. Um nicht in unmittelbarer Konkurrenz zur Massenaktion von Ende Gelände im Rheinland zu geraten, einigten wir uns auf den Termin Mitte September. Leider gestalteten sich die vorbereitenden Informationsveranstaltungen und Aktionstrainings im Vorfeld als sehr zäh und nicht besonders ergiebig. Hier werden wir in diesem Jahr noch intensiver an einem Mobilisierungskonzept trotz staatlich auferlegter Beschränkungen durch die Pandemie arbeiten müssen. Das Thema, dass Deutschland seit über 20 Jahren extraterritorial Krieg führt, muss noch stärker in die Köpfe von Friedensaktivist*innen als dringende Notwendigkeit für widerständiges Handeln in den Blick genommen werden, die seit den 1090er Jahren schleichende Militarisierung der Gesellschaft ist noch kein fest verankertes gesellschaftliches Thema.

Camp und Aktionsvorbereitung
Ein solch ambitioniertes Vorhaben wie eine Besetzung des Truppenübungsplatzes bedarf der sorgfältigen Vorbereitung aller Teilnehmer*innen, ob sie schon erfahren sind oder sich zum ersten Mal der Erfahrung einer bewussten Regelübertretung aussetzen wollen. Allerdings konnte an früheren Aktionen zum GÜZ angeknüpft werden. Seit drei Jahren drang regelmäßig eine kleine Gruppe bis in das Herzstück dieses Kriegsübungsplatzes vor und weihte in einer der 500 leerstehenden Häuser  in der „Kampfstadt Schnöggersburg" ein Friedensübungszentrum ("FÜZ statt GÜZ") ein. Dieses Mal wählten wir das durch die NS-Kriegsmaschinerie zerstörte Dorf Salchau als unser Ziel. Schon in Vorbereitung auf den 2. Weltkrieg wurden damals die dortigen Heidebewohner*innen vertrieben und das Gelände für die Entwicklung einer damaligen weitreichenden "Wunderwaffe" genutzt. Reste dieser todbringenden Militäranlage kann man heute noch sehen. Mit "Neu Salchau" wurde ein neues Übungsdorf mit typischen Bauerngehöften errichtet, wie man sie in Afghanistan, Kosovo und anderen Interventionsländern sehen kann. Lediglich ein altes Kriegerdenkmal auf dem ehemaligen Friedhof erinnert an die getöteten Soldaten im Zweiten Weltkrieg.

Die Besetzungsaktion
Mehr als 20 Aktivist*innen brachen am Morgen des 18. Septembers von ihrem Basis-Camp in Niedersachsen in einem Soli-Bus aus Berlin gemeinsam auf und wurden bequem und sicher direkt zum geplanten Einsteigeort in das Militärgelände gebracht. Von dort musste mit einem Übernachtungsgepäck (Zelte, Planen, Aktionstoilette, Schlafsack, Isomatten und Lebensmittel einschließlich 3 Liter Wasser) noch ein Fußweg von etwa 5,5 km zum Zielort bewältigt werden. Denn es war unklar, wie lange wir uns ohne den Nachschub durch eine Aktionsunterstützung auf diesem Gelände hätten halten können. Bis kurz vor unserem Zielort blieben wir als Gruppe unentdeckt, begleitet von zwei Journalist*innen, die unsere Aktion dokumentieren und den Kontakt zu den Medien draußen aufrechterhalten sollten. Kurz vor unserem Ziel wurden wir von den Feldjägern entdeckt, allerdings nur die Journalist*innen wurden festgehalten und wieder herausgeführt. Den fast vergessenen Ort Salchau nahmen wir so in Besitz und errichteten an einem landschaftlich wunderschönen Ort neben dem ehemaligen Friedhof unsere Zelte und richteten uns bequem ein. Wir begannen wie geplant diesen Ort wieder zu beleben, errichteten unsere Zelte, hängten Banner und Wäsche zum Trocknen auf einer Wäscheleine auf, deckten einen gemeinsamen Tisch mit unseren mitgebrachten Lebensmitteln, legten Beete mit Blumensamen an, widmeten das alte Kriegerdenkmal in ein Antikriegsdenkmal („Krieg tötet") um und begannen mit unserem umfangreichen Workshop-Programm. Erst nach einigen Stunden, der militärische Übungsbetrieb war entsprechend unserer Ankündigung für diesen Tag (laut Bundeswehr wegen eines Computerfehlers) eingestellt, wurde unser Tun vorübergehend durch die Bundeswehr und zusammengezogene Polizeikräfte zur Personalienfeststellung unterbrochen. Wir wurden aufgefordert, den Weg, wie wir ins Gelände gekommen seien, noch am gleichen Tag zurückzugehen, ansonsten uns aber selbst überlassen. Wie schon vorher geplant, beschlossen wir, über Nacht zu bleiben und nicht "gehorsam" den Rückzug nach ihren Vorstellungen anzutreten. Wir setzten unser interessantes Programm nach dieser Unterbrechung fort und übernachteten an diesem Platz. Am nächsten Tag entspann sich innerhalb der verschiedenen Bezugsgruppen, die wir von Anfang an gebildet hatten, ein längerer zäher Diskussionsprozess über die Fortsetzung und dem Ende unserer bis dahin schon erfolgreichen Besetzungsaktion. Er mündete aber in ein für alle akzeptables Konzept für die Gestaltung unseres Rückweges. Gelebte Demokratie!!!

Gegen Mittag des folgenden Tages packten wir sorgfältig unsere Sachen wieder ein, säuberten den von uns besetzten Platz, um von uns keine müllartige Hinterlassenschaften in diesem wunderbaren Fleckchen zu lassen und zogen dann gemeinsam in das in der Nachbarschaft errichtete "Kampfdorf" der Militärs und sperrten es symbolisch mit Flatterband ab. Wir nahmen mit unseren Transparenten und Botschaften die Häuser symbolisch in Besitz und produzierten noch einige schöne Bilder für Öffentlichkeit und eigene Erinnerungen. Den Rückweg wählten wir bewusst nicht, wie uns vorgeschrieben worden war, sondern nahmen die ehemalige Route, über die am Ende des Zweiten Weltkrieges gefangene KZ-Insassen in ihrem sogenannten Todesmarsch über dieses Gelände getrieben worden waren. Damit machten wir uns noch einmal bewusst, in welcher Tradition Krieg und Kriegsvorbereitungen noch heute stehen und dass das Versprechen: Nie wieder Krieg und Faschismus an Aktualität nichts verloren hat. Müde, aber glücklich über unsere mehr als 30-stündige gelungene Besetzungsaktion und mit dem festen Vorsatz, in jedem Fall wiederzukommen, wurden wir an der Grenze des Militärgeländes von unserem Bus abgeholt und in unser Basis-Camp zurückgebracht. In einer ersten Auswertungsdiskussion waren wir uns einig, dass wir selbst als kleine Gruppe Krieg und Kriegsvorbereitungen erfolgreich in den Arm fallen können und hoffen nun, im nächsten Jahr unter günstigeren Rahmenbedingungen die nächste Aktion fortsetzen zu können. Wir verabredeten uns zur eventuellen juristischen Nachbereitung, die vor dem Amtsgericht Bonn geführt werden muss, auf ein koordiniertes Vorgehen und richteten dafür eine extra e-mail-Liste ein.

Kurzes Fazit
Noch ist es zu früh, unsere Aktion in ihrer Wirkung zu beurteilen. Das Medienecho war für diese kleine Aktionsgruppe vergleichsweise gut, wir konnten die historische Kontinuität von Kriegsvorbereitung und dem damit verbundenen Leid thematisieren und auch erfolgreich einer überwältigenden Kriegsmaschine, die Milliarden an Euros und gesellschaftlichen Ressourcen für Krieg statt für Frieden und zivile Konfliktlösungen vergeudet, in den Arm fallen und zumindest vorläufig ihren Übungsbetrieb außer Kraft setzen. Diese Aktionen des Zivilen Ungehorsams und der Regelübertretung ist weiter ausbaubar, und wir hoffen, im nächsten Jahr mit mehr engagierten Menschen unseren Widerstand fortzusetzen. Dazu laden wir jetzt schon herzlich ein.

Mehr Infos über www.gewaltfreie-aktion-guez-abschaffen de. Dort findet Ihr auch unsere Presseerklärungen und ein Spendenkonto. Wer an den Vorbereitungen und/oder Newsletter für die kommende Aktion interessiert ist, sollte an kontakt [at] gewaltfreie-aktion-guez-abschaffen [dot] de schreiben.

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Ernst-Ludwig Iskenius ist Mitglied in der IPPNW.