Zum Streit über Rechtsoffenheit

Krise, Krieg und Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung?

von Renate Wanie
Hintergrund
Hintergrund

Aktuell wird in der Friedensbewegung die Frage nach der Rechtsoffenheit diskutiert. Begonnen hat diese Debatte im Jahr 2014 nach der russischen Annexion der Krim in einer öffentlichen Auseinandersetzung mit den sogenannten „Mahnwachen für den Frieden“, denen sich zunächst auch links-alternative Kreise anschlossen.

Nach der Kritik an verschwörungsideologischen und antisemitischen Tendenzen in diesem Spektrum grenzten sich Gruppen aus der klassischen Friedensbewegung und linken Bewegungen von den Mahnwachen ab. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 verschmolzen viele Pandemie-Leugner*innen und neurechte Verschwörungstheoretiker*innen zu einer „Querfront,“ z. B. mit der von ihren Kritiker*innen als rechtsoffen betrachteten „Friedensbewegung 2.0“ sowie dem „Friedensbündnis NRW“. Die Wut gegen „die da oben“, gegen gesellschaftliche Autoritäten, allen voran gegen Staat und Wissenschaft, formierte sich in selbsternannte diverse neue Friedensbündnisse, in Teilen auch aus der traditionellen Friedensbewegung.

Wer sind rechtsoffene Bewegungen? Was bedeutet Rechtsoffenheit? Welche Rolle spielen aktuelle ökonomische, gesellschaftliche Krisen?

Rechte Friedensbündnisse am Beispiel NRW
Rechte Beeinflussungsversuche der Friedensbewegung und die Übernahme von Friedensthemen durch rechte Gruppen sind inzwischen unübersehbar. Nachfolgend exemplarisch einen Blick auf sog. Friedensbündnisse in NRW mit deutlichen Bezügen zur rechten Szene (siehe auch den Beitrag von Otmar Steinbicker in Friedensforum 3/2023).

Wer z. B. sind die Organisator*innen? Maßgeblich an der Gründung dieser „Friedensbündnisse“ beteiligt ist das „Friedensbündnis 2.0 und die „Außerparlamentarische Opposition Düsseldorf“ (APO), Akteur*innen und Unterstützer*innen aus der 2021 hervorgegangenen Bewegung der Pandemieleugner*innen und Impfgegner*innen. Unterstützung fanden sie vor allem von verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Gruppen aus dem „Querdenken“-Spektrum“ sowie aus Kleinstparteien wie „dieBasis“ und dem „Team Todenhöfer“, den „Patrioten NRW“, das Bündnis „Wir für Deutschland“ und die extrem rechten „Corona Rebellen Düsseldorf“. Neunzehn Gruppierungen werden dem Friedensbündnis NRW aktuell zugerechnet. (1)

Als außerparlamentarische, maßnahmenkritische Opposition in NRW kennzeichnet sich die „APO-Landeshauptstadt Düsseldorf“: „Wir sind die rote Linie - die außerparlamentarische, maßnahmenkritische Opposition. Wir zeigen Gesicht gegen die verfassungswidrige Pandemiepolitik, die gefährliche Kriegstreiberei und die verfehlte Energiepolitik unserer Bundesregierung.“ (https://aponrw.de/) Dieses Bündnis bezeichnet sich als die „radikalen Pazifisten“, die die kriegerische Eskalation in Osteuropa kritisiert und statt Sanktionen und Waffenlieferungen echte Lösungen fordert. Eine ex-Grüne und heutige Politikerin der Partei „dieBasis“, Mona Aranea aus Mönchengladbach, vertritt dieses Bündnis in der landesweiten Öffentlichkeit. Die Mitglieder verstehen sich als „Gegner der wissenschaftsfernen und demokratiefeindlichen Pandemiepolitik und als Verteidiger des Grundgesetzes.“ Sie fordern Demokratie vor Ort statt Lobbykratie und seien „die rote Linie gegen Globalismus und Transhumanismus.“ (ebd.)

Unter Fahnen mit Friedenstauben sowie mit altbekannten Bannern aus den Querdenken-Bewegungen fordern sie Friedensverhandlungen mit Russland. Personen, die Werbung machen für das extrem rechte verschwörungsideologische und antisemitische „Compact Magazin“ werden lediglich ans Ende einer Demonstration verwiesen. (2) Seit Beginn des Ukraine-Krieges wird als Zeichen der Unterstützung des politischen Kurses von Wladimir Putin insbesondere das zeitweise untersagte schwarz-orange gestreifte „Sankt-Georgs-Band“ eingesetzt, ein Symbol nationalistisch-militaristischer Kreise in Russland. (3)

Als Schlüsselfigur, ursprünglich aus der traditionellen Friedenbewegung in NRW kommend, gilt der Rechtsanwalt Jürgen Schütte, seit vielen Jahren aktives Mitglied im „Friedensbündnis Mönchengladbach“. Mit seinen Redebeiträgen auf den Demos der rechtsoffenen „APO“ stellt er eine Vernetzung zu dem Lager der Pandemieleugner*innen her und integrierte ein neues Thema: „Frieden mit Russland“. In den genannten Parolen und Personen sind eine Reihe von Überschneidungen von AfD-Aussagen, der Partei „dieBasis“ und dem „Friedensbündnis NRW“ herauszulesen. (https://terz.org/2023/06/)

Beispiele zum Vorwurf „rechtsoffen“
Was hat es auf sich mit dem Vorwurf, Friedensbewegungen seien „rechtsoffen“? Dient in den Medien der Begriff der Rechtsoffenheit der „bellizistischen Fraktion“ zur Diffamierung der Friedensbewegung? Oder ist er gar ein negativ besetzter ideologischer Kampfbegriff, um die traditionelle Friedensbewegung zu spalten? Der Vorwurf rechtsoffen zu sein, richtet sich i.d.R. an Organisator*innen von Friedensdemonstrationen, die keine Berührungsängste gegenüber Demo-Teilnehmenden zeigen, die hörbar rechte Slogans rufen oder auch sichtbar Flaggen aus dem rechtsextremen Spektrum tragen, und nicht einschreiten, um diese eindeutigen Auftritte der Demo zu verweisen. Dieser Vorwurf wiederholte sich gegenüber der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein!“, aktuell richtet er sich an die Einladung des österreichischen Rappers Kilez More in die Friedenswoche 2023 in Ramstein. Kilez More beteiligt sich an Mahnwachen, hat ein verschwörungsideologisches Image und verkauft in seinem Onlineshop T-Shirts mit der Aufschrift „The great reset“, ein anderes Stichwort für Verschwörungsmythen. (4) Auf der Website erklärt die Kampagne ihren Protest als antifaschistisch und lehnt jede Form des Rechtsradikalismus ab. Weshalb dieser gewisse Widerspruch?

Im Juli gab es in der „Jungen Welt“ einen Austausch von Leser*innenbriefen zwischen Unterzeichner*innen der Initiative „Frieden-links“ und der VVN/BdA. Bekannte Namen von „Frieden-links“ sind z. B. Reiner Braun und Willi van Oyen, die angesichts der politischen Situation möglichst viele Menschen ansprechen möchten. Der Landesausschuss der VVN-BdA hingegen wirft ihnen vor, dabei auch mit rechtsoffenen oder direkt rechten Gruppen zu kooperieren und z. B. bei ihnen eine Rede zu halten. (5)

Ein Beispiel für den Versuch, sich von rechten Auftritten während einer Demonstration zu distanzieren, ist der Appell der beiden Organisatorinnen des „Manifest für Frieden“ der Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer Anfang des Jahres 2023: „Auf unserer Kundgebung ist jeder willkommen, der ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchte.“ Rechtsextreme Flaggen und Symbole hätten dort nichts zu suchen, so der Versuch der Abgrenzung der Organisatorinnen. Doch was bedeutet die wenig politische und emotionalisierte Aussage des „ehrlichen Herzens für Frieden“? Wer soll mit dieser Aussage gewonnen werden? Bereits kurz nach Veröffentlichung des Manifestes zählte auch AfD-Chef Tino Chrupalla, zu den Unterzeichner*innen. Das rechtsextremistische „Compact"-Magazin spricht anschließend über eine neue „Querfront" für den Frieden. Es bleibt die Frage, welche „ehrlichen Herzen“ haben welches Verständnis von Frieden? Sollen alle ins Herz geschlossen werden - auch diejenigen, die rechtsoffen sind oder sich im rechten Spektrum organisieren?

Zum Verständnis von „rechtsoffen“
Was bedeutet es, rechtsoffen zu sein? Als „rechtsoffen“ werden Parteien, Organisationen, Initiativen oder Menschen bezeichnet, die sich auch nach rechts orientieren und sich nicht bewusst abgrenzen. Rechte Orientierungen können sich z. B. beziehen auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, also Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder auch auf Ideologien wie Faschismus, Nationalismus/Völkisches Denken, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit. Ebenso können militaristisches, anti-europäisches und anti-wissenschaftliches Denken, die Leugnung des Klimawandels, LGBTQ-Feindlichkeit sowie die Leugnung von Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine wie auch die Ablehnung demokratischer Grundrechte in die Kategorie „rechtsoffen“ fallen. Diese rechten Orientierungen treten auf in unterschiedlichen Kombinationen, was eine eindeutige Zuordnung oft erschwert.

Die Zuordnung „rechtsoffen“ wird oft mit „rechtsextrem“ gleichgesetzt. Nach dem Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber kursieren in der Öffentlichkeit wie auch in der Wissenschaft die unterschiedlichsten Bezeichnungen für „Rechtsextremismus“. Rechtsextremismus ist nach seiner Auffassung eine Sammelbezeichnung, deren gemeinsamer Kern die Überbewertung der ethnischen Zugehörigkeit ist, die Infragestellung der Gleichheit der Menschen sowie ein antipluralistisches autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis. Eng damit verbunden sind Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung. (6)

Krisen sind Zeiten der Kontrollverluste und Konflikte
Welche Rolle spielen aktuelle gesellschaftliche Krisen bei dieser gesellschaftlichen Entwicklung nach rechts? „Krisen sind Zeiten der Unübersichtlichkeit und des Kontrollverlustes. Beide Aspekte gelten als zentrale Voraussetzungen für die Wirklichkeit solcher Ideologien, bieten sie mit ihren dichotomen Weltbildern doch Klarheit und Orientierung.“ Diesen Gedanken vertritt Wilhelm Heitmeyer, Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zu Rechtsextremismus und sozialer Desintegration, in seinen 2020 veröffentlichten „Rechte Bedrohungsallianzen“. (7) Keine unbedeutende Rolle spielten z. B. im ökonomischen Bereich: die Umsetzung der Hartz-Reformen, 2008 die Finanz- und Bankenkrise, 2015 die Flüchtlingsbewegungen sowie 2015/16 die Silvesternacht in Köln. Aktuell komme die Inflation hinzu. Nach Heitmeyer war und ist das ein emotional ausbeutbares „Signal der Bedrohung“, das bei bestimmten Teilen der Bevölkerung eine soziale Krise auslöste – Beschleunigungsfaktor für die Ausbreitung autoritärer Versuchungen des „autoritären Nationalradikalismus“. (ebd.)

Heitmeyer spricht vom Zusammenwirken mehrerer Mechanismen bei dieser Entwicklung: zum einen die systemische Krise, die die gesamte Gesellschaft betreffe. Hinzu komme erfahrene oder gefühlte Kontrollverluste, dass man die äußeren Umstände nicht mehr selbst beeinflussen könne. Ein eskalationsträchtiger Konflikttyp bilde sich heraus. Entstehende Proteste sind ja etwas Positives. Das Gefährliche sei, so Heitmeyer, dass dabei eine Öffentlichkeit entstehe, in der nicht mehr gestritten wird. Und er benennt die aktuellen Kommunikationswege (soziale Medien) „abgedichtete Echokammern“, die nicht auf Auseinandersetzung ausgelegt seien, sondern sich „aufschaukelnde Selbstbestätigungsmaschinen“.

Personengruppen, vor allem Einzelpersonen, die sich in den genannten „Echokammern“ bewegen, auch wenn sie nicht aus dem rechtsautoritären oder rechtsextremistischen Spektrum kommen, "lassen sich sozusagen gefangen nehmen". (8) Hier sind eindeutige Grenzziehungen, z. B. der Organisator*innen von Demonstrationen, notwendig. Rechtsoffenheit birgt die Normalisierung von Rechtsradikalismus.

Wie weiter?
Um die zusammenwirkenden Mechanismen aus dem rechten Spektrum zu unterbrechen, sind konkrete Maßnahmen und Aktivitäten notwendig. Vom 18.-24. September organisiert z. B. ein breites Bündnis um die DFG-VK und attac Aktionstage: „Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!“. Mit dem Ziel der Abgrenzung sowie der Nicht-Zusammenarbeit mit rechtsoffenen Gruppen ruft z. B. das Kölner Friedensforum in seiner Erklärung gegen Nationalismus und Rechtsextremismus (Juni 2023) alle friedliebenden Menschen auf. Sie mögen „ihre Stimme erheben und für die Verwirklichung einer Friedenslogik statt der aktuellen Kriegslogik auf die Straße zu gehen. Mit rechtsextremen und nationalistischen Kräften ist kein Frieden zu machen.“ (9)

Anmerkungen

(1) Burkard, Tom (3.6.2023): in Stattzeitung TERZ, seit 1991 eine links-alternative „autonome    Stattzeitung für Politik und Kultur“ in Düsseldorf und Umgebung (https://terz.org/2023/06/)
(2) Mit rechten und rechtsoffenen Kräften ist kein Frieden zu machen. https://nrw.dfg-vk.de/mit-rechten-und-rechtsoffenen-kraeften-ist-kein-fr...
(3)Tagesschau Faktenfinder, 14.02.2023
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Kilez_More
(5) https://www.jungewelt.de/artikel/454210.aus-leserbriefen-an-die-redaktio... und  https://nrw.vvn-bda.de/2023/06/24/nie-wieder-krieg-und-nie-wieder-faschi...
(6) Pfahl-Traughber, Armin (2006): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Beck
(7) Heitmeyer, Wilhelm / Manuela Freiheit / Peter Sitzer (2020): Rechte Bedrohungsallianzen.    Edition Suhrkamp
(8) Heitmeyer, Wilhelm: Wer nicht wahrgenommen wird, ist ein Nichts. Frankfurter Rundschau vom 05.07.2023
(9) Link des DFG-VK Landesverbands NRW: https://nrw.dfg-vk.de/mit-rechten-und-rechtsoffenen-kraeften-ist-kein-fr...

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