Buchhinweise

Lesenswertes für den Sommer

von Christine SchweitzerUlrich Frey

NATO-Aufmarsch gegen Russland
Selten wird ein Buch so schnell nach dem Erscheinen (Erstausgabe: 2016) aktualisiert wie dieses Buch von Jürgen Wagner von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung IMI. Die vorliegende zweite aktualisierte Auflage enthält ein zusätzliches Kapitel mit Einschätzungen, wie sich die Wahl Donald Trumps auf das künftige westlich-russische Verhältnis auswirken wird. In dem Buch beschreibt der Autor die Entwicklungen bei der NATO und wichtigen Akteuren – USA, Europäische Union und auch Deutschland – die seit 1989 zu einer neuen Blockkonfrontation geführt haben. Von den USA angeführt, wurde die NATO zu einem globalen Akteur und Interventionsbündnis. Als Beispiele führt Jürgen Wagner die Kriege in Jugoslawien (Kosovo) und Afghanistan an. Schon sehr schnell ging es dabei auch darum, die NATO nach Osten auszuweiten und Russlands Einfluss zu beschneiden. Die EU betrieb dabei eine komplementäre Expansionspolitik. Mit der Ukraine-Krise 2014 wurde dann die heutige Situation eingeläutet, die dadurch gekennzeichnet ist, dass auf einer „Vielzahl von Feldern auf Konfrontationskurs mit Russland gegangen“ wird (S. 120). Dabei spielt auch Deutschland eine wichtige Rolle, und seit dem Brexit scheint auch der Weg für eine verstärkte militärische Rolle der EU frei zu sein.

Wer die Publikationen der IMI regelmäßig verfolgt, für den ist das Buch eine gute Zusammenfassung dessen, was man sich sonst aus verschiedenen Artikeln mühsam zusammensuchen müsste. Die fakten- und datenreiche Darstellung ist ein gutes Nachschlagewerk für all jene aus der Friedensbewegung, die nach Material in der Debatte um NATO-Osterweiterung, Konfrontation mit Russland, Modernisierung der Atomwaffen und die Rollen der EU und Deutschlands suchen. Ob der März 2017 der richtige Zeitpunkt für eine Aktualisierung war, möge dahingestellt bleiben, da man derzeit ja beobachten kann, wie schnell sich die außenpolitischen Signale der neuen US-Regierung verändern. Aber vielleicht gibt es ja auch im Herbst 2017 eine erneute Aktualisierung …

Besprechung von Christine Schweitzer, Redaktion Friedensforum
Jürgen Wagner (2017) NATO-Aufmarsch gegen Russland – oder wie ein neuer Kalter Krieg entfacht wird, Berlin: BEBUG, 2. Auflage, ISBN 978-3-95841-056-5,  221 S., 9,99 €

Sicherheit neu denken – Die christliche Friedensbewegung in der Nachrüstungsdebatte 1977 – 1984
Was Gegenstand der Auseinandersetzung um den Doppelbeschluss der NATO vom 12. Dezember 1979 in Europa gewesen ist, zeichnet der Historiker Jan Ole Wiechmann in seinem Buch „Sicherheit neu denken – die christliche Friedensbewegung in der Nachrüstungsdebatte 1977 – 1984“ auf 465 Seiten präzise nach. Er untersucht die Konzepte und das Agieren der christlichen Gruppen der Friedensbewegung als ihren Beitrag zu den politischen, gesellschaftlichen und sozialkulturellen Veränderungen dieser Zeit. Deren wichtigstes Thema war die Realisierung  einer „gemeinsamen Sicherheit“ als Voraussetzung für Frieden in Europa. .

Zentral ist die Erforschung der Motive und  Handlungsweisen von acht Organisationen der christlichen Friedensbewegung, der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), die die erste Großdemonstration und Kundgebung mit 300.000 (nicht 250.000, S. 68) Teilnehmenden im Bonner Hofgarten am 10.10.1981 verantworteten. Untersucht werden auch Ohne Rüstung leben, die Evangelischen Studentengemeinden, Pax Christi, die Initiative Kirche von unten, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und die Gruppe „Schritte zur Abrüstung“. Diese Gruppen und Organisationen agierten interkonfessionell und wahrhaft ökumenisch. Sie waren nicht auf ihre Kirchen fokussiert, sondern arbeiteten mit säkularen Initiativen, Institutionen und Einrichtungen zusammen. Sie kooperierten mit gleichgerichteten Initiativen in Europa und dem „anderen Amerika“ in den USA sowie mit den Kirchen in der DDR. Das zentrale Organisationszentrum war der Koordinationsausschuss der Friedensbewegung in Bonn mit bis zu 30 Organisationen aus verschiedenen „Spektren“, der die Großaktionen der Friedensbewegung organisierte. Kritisch gegenüber der Friedensbewegung stellte sich die Organisation „Sicherung des Friedens“ auf.

Fünf Kapitel gliedern das Buch: Sicherheitspolitik in der Krise: Der NATO-Doppelbeschluss und die neue Friedensbewegung (1977 – 1984). Die christlichen  Gruppen orientierten sich am „Nein ohne jedes Ja zu den Massenvernichtungswaffen“ des Interkirchlichen Friedensrates (IKV) in den Niederlanden und niederländischer Kirchen. Die christlichen Gruppen der Friedensbewegung folgten in Anlehnung an die DDR-Kirchen der „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“. Die unter Mitwirkung von Olof Palme entwickelte Konzeption der „gemeinsamen Sicherheit“ und der „Sicherheitspartnerschaft“ war die politische Maxime der christlichen Gruppen der Friedensbewegung.

Wiechmann attestiert der christlichen Friedensbewegung trotz politischen Scheiterns „Ausdruck und Katalysator allgemeiner gesellschaftlicher und sozialkultureller Entwicklungen  in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren“ (S. 406) zu sein. Was die positiven gesellschaftlichen und politischen Effekte der sicherheitspolitischen Debatte betrifft, so sei die Friedensbewegung „erfolgreich gescheitert“  (Roth/Rucht, S. 408). Ohne die Initiativen der damaligen Friedensbewegung gäbe es heute keinen Zivilen Friedensdienst und keine etablierte, aber immer noch zu schwache zivile Konfliktbearbeitung. Die aktuelle Diskussion zu „Friedenslogik statt Sicherheitslogik“ hat ihre Wurzeln in dem Engagement der früheren Friedensbewegung. So ermutigt Jan Ole Wiechmann heute, die Maxime der gemeinsamen Sicherheit heute erneut zu einem Kern aktueller Außen- und Sicherheitspolitik zu erheben.

Besprechung von Ulrich Frey, ehemals Geschäftsführer der AGDF und heute im Ruhestand.
Jan Ole Wiechmann, Sicherheit neu denken – Die christliche Friedensbewegung in der Nachrüstungsdebatte 1977 – 1984, Nomos-Verlag Baden-Baden, 1. Auflage 2017, ISBN 978-3-8487-3141-1, 465 S., 84 €

Naturwissenschaft – Rüstung - Frieden
Welchen Unterschied zehn Jahre für Frieden und Freiheit in der Welt ausmachen können, macht die aktuelle Neuauflage des Buches  „Naturwissenschaft – Rüstung - Frieden. Basiswissen für die Friedensforschung“ aus der Reihe Friedens- und Konfliktforschung deutlich. Konflikte werden nicht mehr nur durch Waffenexporte angeheizt, der Zugang zu gesellschaftlich disruptiver und oft tödlicher Kriegstechnologie ist leichter geworden durch die Abhängigkeit verletzlicher IT-Infrastrukturen auf der einen Seite und auf der anderen Seite, Waffen, Trägersysteme, Sprengstoffe und schädigende Chemikalienmixturen im Selbstelaborat.

Aus einem ursprünglich für BeobachterInnen klassischer Konflikte konzipierten Buch wurde durch die aktuellen Entwicklungen daher mehr und mehr ein Buch zum Verständnis für naturwissenschaftliche Fakten und Hintergründe in den global um sich greifenden Konflikten. Dementsprechend umfangreich fiel die Aktualisierung der Beiträge aus, die sich weiterhin an den für die Kriegsführung bedeutsamen Disziplinen Physik, Chemie, Biologie und Informatik ausrichten. Allen düsteren Aussichten und Rüstungsbemühungen zum Trotz, kommen die Ansätze zur Rüstungskontrolle nicht zu kurz.

Text der Verlagsankündigung.
Altmann, Jürgen; Ute Bernhardt, Kathryn Nixdorff, Ingo Ruhmann, Dieter Wöhrle (2017): Naturwissenschaft – Rüstung - Frieden. Basiswissen für die Friedensforschung. Reihe Friedens- und Konfliktforschung, Wiesbaden:Springer, 2. Auflage, ISBN 9783658019730, 49,99 €

Ruling tactics
Der australische Friedensaktivist Brian Martin befasst sich in seinem neuesten Buch, das ganz auf das Phänomen Trump abgestellt ist, damit, wie Nationalismus und seine staatlichen Ausprägungen und Anwendungen (Überwachung usw.) so organisiert und gerechtfertigt werden, dass die BürgerInnen ihnen zustimmen. Herrschende verwenden dabei eine Kombination verschiedener Taktiken, die zum einen das positiv darstellen und interpretieren, das man erreichen will und gleichzeitig all das, was diesen Interpretationen entgegenläuft, entweder verbirgt oder diskreditiert. Zu den Taktiken gehören auch die Belohnung von AnhängerInnen und die Einschüchterung von KritikerInnen. Brian Martin belässt es nicht bei der Beschreibung solcher Taktiken, sondern, wie in all seinen Büchern, liegt sein Interesse darauf, wie man den Taktiken der Herrschenden entgegentreten kann. Er endet mit den Sätzen: „It is helpful to remember that countries, borders and states are human creations. They are all fairly new, and are neither inevitable nor necessary aspects of the way humans organise themselves. … System-support tactics are just tactics, not guaranteed to succeed. Understanding them makes it easier to resist them more effectively.” (S. 255)

Das Buch ist eine spannende Reflektion darüber, wie Politiker wie Trump oder seine europäischen Counterparts agieren und ihre AnhängerInnenschaft manipulieren, und hilft dabei, sich über Gegenstrategien klar zu werden. Wer sich mit Englisch etwas schwer tut: Brian Martin benutzt eine sehr einfache Sprache, die auch jenen zugänglich sein sollte, die nicht jeden Tag fremdsprachige Bücher lesen.

Besprechung von Christine Schweitzer.
Martin, Brian (2017) Ruling tactics. Methods of promoting everyday nationalism, how they serve rulers and how to oppose them. Sparsnäs: Irene Publishing, ISBN 978-91-88061-17-1, 261 S., 20.63 €

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.
Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.