Eine falsche Diagnose

Militarisierung der Polizei?

von Heiner Busch

Nach gewalttätigen Polizeieinsätzen, insbesondere gegen Demonstrationen, ist die Linke schnell dabei, vor einer Militarisierung der Polizei bzw. der Inneren Sicherheit zu warnen. Was aber taugt der Begriff der Militarisierung?

Das Militär, das auf streikende Arbeiter schießt; militarisierte Polizeitruppen, die mit Maschinengewehren und Handgranaten die „Ordnung“ in den Städten wiederherstellen – diese Bilder sind in Deutschland nicht mehr denkbar – und das nicht erst seit gestern. Der Kampf gegen „von Osten einrückende bewaffnete Banden“ bildete jedoch bis in die 1960er Jahre den Bezugspunkt des Aufbaus und der Entwicklung der Polizei in Westdeutschland. Der Notstand wurde in großen Manövern  vom Bundesgrenzschutz (BGS) geübt, der in den 1950er Jahren zunächst als Ersatz für die noch nicht existierende Bundeswehr aufgebaut wurde, und von den Bereitschaftspolizeien der Länder. Sie waren in der Tat militarisierte Polizeien, die genau deshalb für die Auseinandersetzung mit den zivilen Protestbewegungen der Bundesrepublik ungeeignet waren.

Die Notstandsgesetze von 1968 bildeten eine Wasserscheide in der Entwicklung des bundesdeutschen Gewaltapparates: Zwar wurde der Einsatz des Militärs im Inneren nun legalisiert. Was folgte, spielte sich jedoch unterhalb der Schwelle des Notstandes ab. Die Bereitschaftspolizeien musterten 1969 ihre Granatwerfer aus. Der BGS zog Anfang der 1970er Jahre seine mit leichten Kanonen bestückten Panzerfahrzeuge aus dem Verkehr. An die Stelle der schweren traten „nicht-tödliche“ Waffen – vom Schlagstock über den Wasserwerfer bis zu den verschiedensten Formen des Tränengases –; an die Stelle der militärischen eine polizeiliche Ausbildung. 1974 verlor der BGS auch formell seinen Kombattantenstatus. Genau diese Abkehr vom eigentlich militärischen Modell und eine weitere Grundgesetzänderung 1972 machten es möglich, dass der BGS zu einer Bundespolizei werden und im Verein mit den Bereitschaftspolizeien zum Instrument der gewaltsamen „politischen Erziehung“ für die auf die Studentenbewegung folgenden Protestgenerationen werden konnte. Dass diese technokratische Entmilitarisierung keine Demokratisierung darstellte, dass die „nicht-tödlichen“ Waffen keineswegs ungefährlich sind, bedarf kaum einer weiteren Erläuterung.

Amtshilfe
Es waren und sind vor allem SicherheitspolitikerInnen aus der CDU/CSU, die seit den 1990er Jahren immer wieder forderten, die Bundeswehr stärker in den Kontext der „vernetzten (inneren) Sicherheit“ der neuen BRD einzubinden. Wer sich Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft von 2006 oder den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 ansieht, wird die Rolle der Bundeswehr vor allem in einer breitflächigen Amtshilfe bewundern dürfen: als Quartiermacher, Verköstiger und Sanitäter für die zu Tausenden eingesetzten PolizistInnen, als Drohkulisse mit entsprechenden Fahrzeugen, als Überwachungsinstrument: Dass Tornados der Luftwaffe die Protestcamps rund um Heiligendamm überflogen und „aufklärten“, blieb in nachhaltiger Erinnerung. Weniger wahrgenommen wurde die Überwachung des Luftraums zum Schutz vor feindlichen Flugobjekten anlässlich des „Sommermärchens“ von 2006 durch AWACS-Flugzeuge bei der NATO und das „Nationale Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum“ (NLFZ) in Kalkar, in dem damals 56 Soldaten der Luftwaffe, sieben Bundespolizisten und ein Vertreter der zivilen Flugsicherung arbeiteten. Die Auseinandersetzung am Boden mit den Fußballfans, respektive den Protestierenden, blieb den PolizistInnen vorbehalten. Auch die vom damaligen Bundesinnenminister Schäuble angekündigte schnelle Grundgesetzänderung, die die Folgen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Luftpolizeigesetz wettmachen sollte, fand nicht statt.

Militarisierte Außenpolitik
Militär und Polizei rücken weniger im Inland, sondern bei den diversen Auslandseinsätzen unter dem Mandat der UN, der NATO oder der EU zusammen. Ob im Kosovo oder in Afghanistan arbeiten die zur Sicherung der Ordnung oder zur Ausbildung der lokalen „Sicherheitsbehörden“ entsandten Polizeien regelmäßig im Kontext der Militärs. Während andere EU-Staaten wie Frankreich mit seiner Gendarmerie, Spanien mit seiner Guardia Civil oder die Niederlande mit ihrer Marechaussee über Polizeikräfte verfügen, die formell dem Verteidigungsministerium untergeordnet sind und den Kombattantenstatus haben, können die Bundespolizei oder die betreffenden PolizistInnen aus den Bundesländern nicht einem militärischen Kommando unterstellt werden. Die BRD ist deshalb auch nicht an der European Gendarmerieforce beteiligt, die formell nicht Teil der EU ist, aber von den beteiligten Staaten auch für „robuste“ Polizeieinsätze unter militärischem Kommando aufgeboten wird. In Afghanistan etwa durften denn auch die Feldjäger, die im innenpolitischen Geschehen keine Rolle spielen, bei der Ausbildungshilfe mitmischen. 

Zu erwähnen bleibt schließlich, dass gerade bei der Forschung und in der Sicherheitsindustrie eine Annäherung von militärischem und polizeilichem Bereich stattfindet. Neben den diversen Start-ups sind es vor allem die großen Rüstungsfirmen, die in der neuen „homeland security“ ihren Einfluss geltend machen und beispielsweise zu Hauf neue Instrumente der Grenzüberwachung und –kontrolle entwickeln. Bei der Analyse dieser neuen Entwicklung wird die klassische Militarisierungsthese aber kaum weiter helfen.

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