NATO am Pranger

von Hans Peter Richter
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In Berlin fand vom 2.-3. Juni 2000 das Europäische Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien statt. An beiden Tagen waren jeweils 600 Menschen gekommen. Angeklagt waren wegen schweren Völkerrechtsbruches Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer, US-Präsident Clinton, US-Außenministerin Albright und weitere verantwortliche Politiker und Militärs der 19 NATO-Staaten, darunter alle Bundestagsabgeordneten, die für die Beteiligung der deutschen Luftwaffe an der Bombardierung Jugoslawiens gestimmt hatten.

Das Tribunal war von Friedens- und Menschenrechtsorganisationen aus 15 europäischen Ländern sowie den USA getragen. Den Vorsitz hatte der Hamburger Völkerrechtler Prof. Norman Paech. Die Anklage wurde von den Rechtsanwälten Ulrich Dost (Berlin), Pierre Kaldor (Paris) und dem bulgarischen Akademiemitglied und Abgeordneten Prof. Velko Valkanoff (Sofia) vertreten. Die 10 Richter kamen aus den Ländern Deutschland, Italien, Russland, Polen, Tschechische Republik und der Ukraine.

Aus Jugoslawien waren 17 Zeugen und Sachverständige geladen worden; sie konnten am ersten Tribunaltag nicht erscheinen, weil sie von der deutschen Botschaft mit fadenscheinigen Begründungen keine Visa erhalten hatten. Erst am zweiten Tribunaltag gelang 6 von ihnen die Einreise, nachdem ihnen die jugoslawische Regierung Diplomatenpässe ausgestellt hatte.

Sämtliche angeklagten Politiker und Militärs hatten die detaillierte Anklageschrift zugeschickt bekommen und wurden zur Verhandlung geladen. Kein einziger reagierte darauf, deswegen wurde eine Pflichtverteidigerin ernannt.

In seiner Einleitung begründete Norman Paech die Notwendigkeit des Tribunals, das sich die Russel-Tribunale gegen den Vietnamkrieg Ende der 60er Jahre zum Vorbild genommen hatte. Am selben Tag hatte die Chefanklägerin des Jugoslawientribunals in den Haag erklärt, sie sehe keine Grundlage für Ermittlungen gegen die NATO, weil die NATO nicht absichtlich zivile Ziele bombardiert habe. Gerade weil die Organisatoren des Tribunals schon vorher von der Einseitigkeit des Haager Tribunals überzeugt waren, wollten sie die Wahrheit ans Licht bringen. Paech betonte, dass es ausschließlich um die rechtliche Bewertung des NATO-Krieges ginge, nicht um die politische oder moralische. Seine Verhandlungsführung war äußerst sachlich und ohne jede Polemik.
 

Nach der Verlesung der Anklageschrift durch den Rechtsanwalt Ulrich Dost berichteten Vertreter aus Österreich, Ungarn, der Tschechischen Republik, Italien, der USA und der Ukraine über Hearings und Tribunale, die in ihren Ländern zuvor stattgefunden hatten. Der Vertreter aus den USA machte besonders auf den Zusammenhang von Globalisierung und Militarisierung aufmerksam. Dann kam die Beweisaufnahme:
 

  •  Vorführung einer Panorama-Sendung vom Mai 2000
     
  •  Verlesung des Berichtes des Auswärtigen Amtes vom 19.3.1999 zur Lage im Kosovo
     
  •  Verlesung eines Berichtes von Heinz Loquai (General a.D.) zum "Hufeisenplan"
     
  •  Vortrag des Sachverständigen Ralph Hartmann (ehem. Botschafter der DDR in Jugoslawien): er lieferte eine Kette von Beweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der 90er Jahre vorsätzlich auf die Zerstückelung Jugoslawiens hinarbeitete
     
  •  Vortrag des Sachverständigen Juristen Klaus Eichner (Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde) zum nachrichtendienstlichen Hintergrund des Hufeisenplanes
     
  •  Vortrag des Juristen Prof. Martin Kutscha zu den verfassungsrechtlichen Fragen
     
  •  Vortrag von Diana Johnstone zur Neuen Weltordnung und die geostrategischen Überlegungen der US-Regierung nach Ende des Kalten Krieges.
     
  • Am zweiten Tag wurde der zweite Teil der Anklageschrift zum Bereich Kriegshandlungen verlesen. Es ging um den:
     
  •  Angriff auf einen Personenzug auf der Eisenbahnbrücke über die Grdelica-Schlucht am 12.4.99
     
  •  Angriff auf einen Flüchtlingskonvoi nahe den Dörfern Madanaj und Meja am 14.4.99
     
  •  Angriff auf das Studio von RADIO TELEVIZIJA SRBIJA(RTS) am 23.4.99
     
  •  Angriff auf das "Dragisa Misovic"-Krankenhaus am 20.5.99
     
  •  Einsatz von DU-Geschossen mit abgereicherten Uran 238
     
  •  Gebrauch giftiger und besonders grausamer Waffen
  •  
  • Es wurden folgende Zeugen vernommen:
     
  •  Dejan Sumrak, Arzt (Belgrad)
     
  •  Irena Dinic, Übersetzerin (Belgrad)
     
  •  Marjana Brudar, Angestellte des Post- und Telegrafenamtes (Belgrad / Pristina)
     
  •  Milan Simonovic, Techniker (Belgrad)
     
  •  Djordje Ivic, Arbeiter (Dolovo)
     

Die Zeugen gaben erschütternde Berichte über das Leiden ziviler Personen und die Zerstörung o.g. ziviler Objekte. Danach waren die Sachverständigen an der Reihe: Prof. Ernst Woit (Dresden), Elmar Schmähling (Admiral a.d.), Dr. med. Ljiljana Verner (IPPNW) und Prof. Claudia von Werlhof (Insbruck). Herr Prof. Woit und Frau Prof. v. Werlhof sprachen über die zivilen Opfer und die sog. "Kollateralschäden". Frau Dr. Verner sprach über die Folgeschäden der eingesetzten geächteten Waffen, insbesondere der Munition mit abgereichertem Uran. Elmar Schmähling wies auf die Gefahr hin, dass durch die hochtechnisierte Kriegsführung Soldaten immer mehr bereit seien, das Genfer Abkommen zu missachten.

Im Rahmen der Schlussplädoyers sprachen sich von Seiten der Anklage Rechtsanwalt Pierre Kaldor (Internationale Vereinigung der demokratischen Juristen, Paris), Velko Valkanoff (Mitglied des Parlaments Bulgariens) und Rechtsanwalt Ullrich Dost (Berlin) für eine Verurteilung aus. Ullrich Dost rief dazu auf, alle juristischen Mittel zur Verteidigung des Grundgesetzes auszuschöpfen. Die Verteidigerin Valetina Strauss (Russland) bezeichnete den Krieg nach den vorliegenden Fakten als einen Aggressionskrieg. Sie könne deshalb nicht die Verbrechen verteidigen, sondern ihre Aufgabe sei es, die Angeklagten zu verteidigen. Sie betonte vor allem eine Mitschuld der UNO, der OSZE und des Internationalen Roten Kreuzes, die nicht rechtzeitig Mittel zur friedlichen Konfliktlösung ergriffen hätten. Auch die Massenmedien hätten die Politiker beeinflusst. Sie warf der Anklage vor, die Schuld einzelner Angeklagten nicht hinreichend dargelegt zu haben.
 

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Hans-Peter Richter ist Vorstandsmitglied des Deutschen Friedensrates (Berlin) und aktiv in der Tribunal-Vorbereitungsgruppe.