Friedensaktivist*innen appellierten an die Mitglieder des Bundesrates in Berlin und an den Bundespräsidenten in Bonn

Nein zum 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr!

von Armin LauvenSusanne Weipert
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Am 3. Juni 2022 stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag dem 100 Mrd. Euro Sondervermögen für die Bundeswehr und der damit verbundenen Grundgesetzänderung in namentlicher Abstimmung (1) zu. Gegen dieses im Eiltempo beschlossene, historische Aufrüstungsprogramm protestierten am Tag der Abstimmung zahlreiche Friedensorganisationen, darunter ICAN, die IPPNW und die DFG-VK vor dem Bundestag.

Eine Woche später, am 10.6.2022, stand die Grundgesetzänderung dann bereits zur Abstimmung im Bundesrat (der jeder Grundgesetzänderung zustimmen muss). Die katholische Friedensbewegung pax christi – Deutsche Sektion e.V. beschloss daraufhin spontan auch einen Protest vor dem Bundesrat zu organisieren und konnte die IPPNW für eine gemeinsame Planung gewinnen. Zusammen mit Vertreter*innen von ICAN, urgewald e.V., DFG-VK und weiteren Organisationen bildeten die Friedensaktivist*innen zwar nur eine kleine Gruppe, aber dennoch gelang es, den gemeinsamen Appell „Nein zum Sondervermögen“ an einen Teil der Vertreter*innen der Bundesländer unmittelbar, nur getrennt durch ihre teilweise verspiegelten Autoscheiben, zu richten und ihre Ablehnung sichtbar zu machen. Ein Fotograf von der dpa war vor Ort, und ein Bild des Protests schaffte es sogar in die FAZ. Für hoffentlich viele Menschen stellvertretend kam gegen Ende der Aktion ein Mitarbeiter im Bundesrat kurz auf sie zu und sagte „Danke, dass Sie da sind“ und ging rasch durch das Eingangstor.

Pax christi und die IPPNW lehnen das Sondervermögen u.a. deswegen ab, weil in der Folge eine neue Rüstungsdynamik droht und die Neubeschaffung atomwaffentragfähiger F-35 Kampfflugzeuge die Wahrscheinlichkeit einer atomaren Eskalation erhöht. Es ist auch ein Schlag ins Gesicht für alle, deren Forderungen nach Investitionen in soziale Sicherheit, das Gesundheitssystem, Bildung, Umweltschutz und Klimaanpassung, Zivile Konfliktbearbeitung u.v.m. mit dem Verweis auf fehlendes Geld und die Schuldenbremse abgewiesen werden. Außerdem zeigte jüngst eine Studie der Universität Hamburg (2) im Auftrag von Greenpeace, dass im Beschaffungswesen der Bundeswehr rund dreißig Prozent der Mittel verschwendet werden. So wird z.B. selten der Kostenvorteil durch eine gemeinsame Beschaffung innerhalb der EU und NATO genutzt. In der Folge gibt es innerhalb der EU 16 verschiedene Typen von Schützenpanzern. Entsprechend sei das Problem nicht fehlendes Geld, sondern die Verwendung.

Darüber hinaus steht die massive Aufrüstung der Bundeswehr in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der scharf verurteilt wird. Dieser Krieg wird dadurch nicht gestoppt. Vielmehr könnten die dadurch fehlenden Geldmittel die Bewältigung der Nahrungsmittel- und Energiekrise, der Klimaverwerfungen und der Armutsbekämpfung verhindern, die wiederum Quellen neuer Kriege auf der Welt zu drohen werden.

Deshalb formulierten die Aktivist*innen ein klares Nein zu 100 Mrd. Euro zusätzlichen Schulden für die Bundeswehr und forderten den Bundesrat auf, seine Zustimmung zur Grundgesetzänderung zu verweigern. Die überwiegende Mehrheit der Bundesländer stimmte jedoch zu. Nur die Länder mit Regierungsbeteiligung der Linken - Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen - enthielten sich.

Da der Bundespräsident jedoch anschließend jedes Gesetz zur sogenannten Ausfertigung erhält, bei der geprüft wird, ob es verfassungsgemäß zustande gekommen ist und nicht inhaltlich offenkundig gegen das Grundgesetz verstößt, und diese Prüfung bis zu zwei Wochen in Anspruch nehmen kann, entstand die Idee, auch an Bundespräsident Steinmeier zu appellieren, das Sondervermögen abzulehnen. Ein Blick in seinen offiziellen Terminkalender ergab, dass er bereits eine Woche nach der Abstimmung im Bundesrat in seinem Zweitsitz in Bonn einen Tag der Offenen Tür abhalten würde. Daraufhin wurden die Mitglieder von pax christi Bonn motiviert vor Ort für eine Aktion zu mobilisieren.

Dass sich hunderttausende Friedensbewegte in (und aus) Bonn zum Protest gegen die beschlossene Grundgesetzänderung versammeln würden, wie Jahrzehnte zuvor, als Bonn noch Sitz von Parlament, Regierung und Bundespräsident war, konnte natürlich nicht erwartet werden. Dennoch gelang es, eine kleine Gruppe Aktiver zu bewegen, den Bundespräsidenten mit einer Mahnwache zur Verweigerung seiner Unterschrift aufzufordern, was die Lokalzeitung „Bonner General-Anzeiger“ immerhin zu einer Sechs-Zeilen-Meldung (integriert in die Berichterstattung über den „Tag der offenen Tür“ in der Villa Hammerschmidt) veranlasste. (3)

Das Anliegen erläuternde Flugblätter wurden – wie gewohnt – gerne bis widerwillig genommen, klare Ablehnung, aber auch Zustimmung artikuliert; Letzteres vor allem von den drei (!) zuständigen (uns sehr zugetanen und kooperativen) Einsatzleitern der Polizei.

Pax christi Bonn wird selbstverständlich den Protest und Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg weiterhin unverzagt aus der Provinz in alle Welt tragen, wohl wissend, dass die regionalen Kräfte überschaubar sind, zeichnet doch pax christi Bonn seit einigen Jahren für Kundgebungen und Mahnwachen zum Jahrestag des Inkrafttretens des Atomwaffenverbotsvertrags (22. Januar), zur Hauptversammlung des Rüstungskonzerns Rheinmetall (Mai), des sog. Flaggentages (8. Juli), den Auftakt der Bonner Friedenswochen am Anti-Kriegs-Tag (1. September) sowie für die Solidaritätsarbeit im Zusammenhang mit den in Bonn stattfindenden GÜZ-Prozessen verantwortlich.

Anmerkungen
1 Das Votum der einzelnen Abgeordneten ist entsprechend auf www.bundestag.de/abstimmung dokumentiert.
2 https://www.greenpeace.de/frieden/sondervermoegen-bundeswehr-verschwendet
3 Wenn der Bundespräsident das Gesetz ausgefertigt hat, wird es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist damit verkündet. Ist kein besonderes Datum des Inkrafttretens im Gesetz genannt, gilt es automatisch ab dem 14. Tag nach der Ausgabe des Bundesgesetzblattes.

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Armin Lauven ist Mitglied der Pax-Christi-Gruppe Bonn.
Susanne Weipert ist Referentin für Rüstungsexporte und Koordinatorin der Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! in Berlin.