Pax Christi Bonn befragt SPD Abgeordnete zum Asylkompromiß

von Martin Singe

Wir wollten es vorher wissen. Mit unserer Pax Christi-Gruppestarteten wir deshalb Ende Februar eine Befragungsaktion, gerichtet an die SPD­ Bundestagsabgeordneten. In einem Brief begründeten wir unsere ab­lehnende Haltung und fragten konkret:

 

  1. Wie wollen Sie sich bei. der Abstim­mung bzgl. Art. 16 a GG verhalten?
  2. Mit welcher persönlichen Begründung wollen Sie dafür bzw. dagegen stimmen?
  3. Wovon machen Sie Ihr Abstim­mungsverhalten abhängig, wenn es zum jetzigen Zeitpunkt  noch nicht feststeht?

 

Jede/r von unserer Gruppe bekam ca. 20 der 239 SPD-Abgeordneten zugeteilt, denen der Brief mit persönlicher Unterschrift zugeleitet wurde. Nach vielen Nachfragen und manchen Telefonaten hatten wir dann bis zum 21.5. -also 5 Tage vor der Abstimmung im Bundestag folgendes Ergebnis:

76 schriftl. Antworten, 69 telefonische, insgesamt also 145. Nach sechs Katego­rien hatten wir die Antworten zugeord­net: klares Nein 62, eher Nein 9, im Entscheidungsprozeß 25, eher ja 1, klar Ja 25, unklar oder ausdrückliche Ant­wortverweigerung 15.

Wir haben dann zu unseren "klaren Neins" die Kompromißablehnerlnnen aus den früheren Fraktionsabstimmun­gen, die uns nicht geantwortet hatten, hinzugerechnet und kamen dann mit unseren "eher Nein“-Leuten auf 105 Nein­stimmen. Da sehr viele sich als "im Ent­scheidungsprozeß befindlich" eingeordnet hatten, war zu hoffen, daß etliche dieser Abgeordneten noch auf die Nein­ Seite gehen. Damit aber war nicht mehr klar, wie die SPD-Fraktion eine klare Mehrheit zum Asylkompromiß hinbe­kommen soll. Als wir unser Befragungsergebnis am 21.5. in einer Pressekonferenz der Friedenskooperative vier Tage vor der SPD­ Fraktionsabstimmung vorstellten, stei­gerte sich gerade die Aufregung in der SPD. Am Wochenende vor den ent­scheidenden Abstimmungen überschlu­gen sich die Meldungen: Klose drohte öffentlich die SPD brauche zum Wahl­kampf 94 gar nicht mehr antreten, wenn jetzt im letzten Moment der Asylkom­promiß kippe; ein Streit entbrannte, ob im Falle einer Fraktionsmehrheit gegen den Asylkornpromiß die SPD-Minder­heit mit der Regierung die Asyl­rechtsänderung im Bundestag durch­pauken dürfte (nur rund 60 reichten ja zur 2/3 Mehrheit, aber in der  Fraktion brauchte man eben über 120) oder ob dies der  "Super-Gau" für die Partei wäre, wie es in einem Zeitungskom­mentar hieß. Noch am Sonntag hat der in dieser Frage einflußreiche Hans-Jo­chen Vogel in Interviews seine ableh­nende Haltung zum Asylkompromiß vor allem wegen des vollständigen Wegfalls der Rechtswegegarantie deutlich gemacht. Nun denn - am Dienstag bei der Fraktionsabstimmung sah alles anders aus: Vogel war gekippt und der Asyl­kornprorniß hatte mit 133:96 Stimmen (bei 2 Enthaltungen; 231 abgegebenen Stimmen) eine Mehrheit in der Fraktion bekommen. Der hinterhältige Trost für die Kipper, denen die Parteidisziplin und die Rettung von Klose wichtiger als der Erhalt eines Grundrechts waren: sie könnten ja im Bundestag bei der Asylverfahrensgesetzabstimrnung mit NEIN stimmen, denn dort sei ja die konkrete Regelung des Wegfalls der Rechtswegegarantie geregelt. Und für dieses Gesetz reichte aber eben erst nach der Grundgesetzänderung, die ein solches die Rechtswegegarantie kippendes Ver­fahrensgesetz ermöglicht, wiederum die einfache Mehrheit, so daß man sich um ein Kippen des Asylkompromisses insgesamt keine Sorgen mehr machen brauchte. Knapp hundertdreißig SPD-Abgeordnete haben gegen das Asylver­fahrensgesetz gestimmt (eben auch H.J. Vogel, Otto Sehily u.ä.), aber nur 101 SPDler gegen die Grundgesetzänderung, die ja das Asylverfahrensgesetz erst möglich macht. Kann man sich schizo­phreneres Verhalten vorstellen?

Die Beseitigung des Asylrechts aus der Verfassung mit den Stimmen der SPD gehört zu den Höhepunkten in der Geschichte der  Peinlichkeiten dieser "aufrechten" Sozialdemokratenpartei. Der nächste Umfall in Sachen "out-of-­area" zeichnet sich derweil schon immer schärfer am Horizont ab.

Diese Trauerspiele zeigen zugleich die Verkommenheit einer Demokratie, die von Parteien beherrscht ist, deren wich­tigster Grundsatz jeweils der Erhalt der eigenen Macht ist.

Nun - wir haben über das hier Berichtete hinaus viele weitere konkrete und interessante Erfahrungen bei der Befra­gung gemacht; auch viel Dank von den wirklich Aufrechten erhalten, die sich über die Unterstützung ihrer Position ehrlich freuten. Natürlich gibt es auch herrlich-peinliche Antwortbriefe wie z.B. vom Büro  Gerlinde Hämmerle, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD:

"Innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion gibt es eine Absprache, daß Briefe zu einem bestimmten Sachverhalt wie Ihre beiden Schreiben vom fachlich zustän­digen Abgeordneten beantwortet wer­den. Im Bereich Asyl ist dies der Abge­ordnete Gerd Wartenberg. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß sowohl aus zeitökonomischen als auch aus ökologi­schen Gründen so verfahren wird." - - Eine originelle Antwort auf insbeson­dere unsere 2. Frage "Mit welcher persönlichen Begründung wollen Sie dafür bzw. dagegen stimmen?"!

Einige weitere interessante Erfahrungen für unsere Gruppe in Stichpunkten

- in erster Linie haben Abgeordnete geantwortet, die gegen den Kompro­miß eingestellt waren: offensichtlich waren die anderen in der Defensive und in Begründungsnöte geraten;

- viele Abgeordnete verweigerten die Auskunft: Dialogenwilligkeit und Arroganz waren mitunter deutlich spürbar;

- es gab Abgeordnete, die sich in ihrer Positionsfindung von der Sache her sehr unsicher fühlten und zum Teil  noch von uns Materialien wünschten (so haben wir sehr vielen die Presse­artikel vom Expertenhearing zu­kommen lassen, da die Ergebnisse des Hearings vielen nicht bekannt waren).

Wen das alles näher interessiert, kann. uns gerne anschreiben. Wir können fol­gende Materialien anbieten:

  1. Anfragebrief vom Februar, Ergebnis­ Pressemitteilung vom 21.5., Pres­seecho 22.-25.5. (8 Seiten = Kopien + Porto 3,-DM)
  2. wie 1. + ausführliche Dokumentation der schriftlichen Antworten (ca. 175 Seiten =  Kopier- und Portokosten 23,- DM)

Pax-Christi-Gruppe Bonn, Oscar-Ro­mero-Haus, Heerstr. 205, 5300 Bonn 1, Tel. über Martin Singe, 0228-264615, d. 0221/523056.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".