Der UN-Reform-Bericht gibt grünes Licht für "präemptive" militärische Maßnahmen gegen nicht genau definierte "unmittelbare" Bedrohungen

Problematische Grauzone bei Gewaltanwendung

von Andreas Zumach

Wie lässt sich der Wille eines Staates, gegen eine von ihm als unmittelbar empfundene Bedrohung militärisch unilateral vorzugehen, mit den Bestimmungen der UNO-Charta vereinbaren? Seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 und verschärft seit dem anglo-amerikanischen Irakkrieg vom Frühjahr 2003 steht diese Frage ungelöst im Raum.

Als UNO-Generalsekretär Kofi Annan im Herbst 2003 den "High Panel" berief, gab er ihm den Auftrag, eine Antwort zu formulieren. "Das ist unmöglich", "das wäre die Quadratur des Kreises", merkten Kritiker damals an. Tatsächlich ist die Antwort des Panels höchst ambivalent ausgefallen. Zum Einen hält er in seinem Bericht - deutlicher als in einem früheren Entwurf - fest, es gebe keine Notwendigkeit zur Neuformulierung oder auch nur zur erweiterten Anwendung von Artikel 51 (Selbstverteidigung) oder anderer Bestimmungen der UNO-Charta. Der Bericht betont die Notwendigkeit, die kollektive Fähigkeit des Sicherheitsrates zu stärken, damit der Rat auf Bedrohungen so rechtzeitig und wirksam reagieren kann, dass gar nicht erst die Situation entsteht, in der ein UN-Mitglied meint, unilateral militärisch handeln zu müssen. Auf der anderen Seite billigt der Rat dann aber doch einzelnen Staaten das Recht zu, auf "unmittelbare" (imminent) Gefahren "präemptiv" zu reagieren - ohne vorherige Ermächtigung durch den Sicherheitsrat. "Unmittelbar" wird in dem Bericht nicht eindeutig definiert. Damit bleibt die Entscheidung darüber, was eine "unmittelbare" Gefahr ist, letztlich den jeweiligen Staaten überlassen. Zwar erklären Mitglieder des Panels auf Nachfrage, vom Irak sei im Frühjahr 2003 keine "unmittelbare" Gefahr ausgegangen, die eine "präemptive" militärische Reaktion gerechtfertigt hätte. Das Dilemma bleibt jedoch, dass die USA und Großbritannien seinerzeit ihren Krieg u.a. mit einer solchen "unmittelbaren" Gefahr gerechtfertigt hatten (u.a. mit der Behauptung, Saddam Hussein sei in der Lage, innerhalb von 45 Minuten Atomraketen auf Westeuropa oder die USA abzuschießen).

Für Bedrohungen, die noch nicht "unmittelbar" sind, hält der Bericht zwar fest, dass "präventive" militärische Maßnahmen gegen derartige weiter entfernte Gefahren nur nach Beschluss des Sicherheitsrates möglich sein sollen. Mangels klarer Definition und Abgrenzung von sowie zwischen "unmittelbaren" und "mittelbaren" Bedrohungen bleibt hier allerdings eine problematische Grauzone. Welche Bedrohungen "präemptive" und welche "präventive" militärische Reaktionen erfordern bzw. rechtfertigen, ist damit im Ernstfall der Entscheidung einzelner Staaten überlassen.

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