In der deutschen Rüstungsindustrie knallen die Champagnerkorken

Profiteure des Ukrainekriegs

von Jürgen Grässlin
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Vor zwanzig Jahren bereits hatten die NATO-Staaten den Grundstock für Aufrüstung und Militarisierung gelegt. Die heutigen Umsatz- und Gewinnsteigerungen bei den Waffenschmieden der westlichen Welt beruhen auf den Beschlüssen der NATO-Gipfel von Prag (2002) und Wales (2014). Dort wurde das Ziel festgeschrieben, fortan zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für „Verteidigung“ auszugeben. Allein in den letzten acht Jahren beschlossen die jeweiligen Bundesregierungen immense Zuwächse beim Einzelplan 14 von 32,44 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 50,33 Milliarden Euro 2022. (1)

Das Militärmagazin Europäische Sicherheit & Technik verkündete in seiner Unternehmensanalyse einen beachtlichen Aufschwung: „Airbus 2021 mit starkem Gewinnzuwachs", „Rolls-Royce Power Systems mit stark gestiegenem Gewinn", „MTU Aero Engines: Umsatz und Ergebnis verbessert" und "Umsatz und Ergebnissteigerung im 20-Prozent-Bereich" bei Hensoldt. (2)

Am Stammsitz nahe München verbuchte der Elektronik- und Sensorikhersteller Hensoldt einen Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro, bei einer Steigerung von 37 Prozent im ersten Quartal 2022. (3) Im Mai 2022, zu einem Zeitpunkt, da sich der Krieg Russlands in der Ukraine noch nicht in der Bilanz bemerkbar machte, frohlockte der Finanzvorstand Björn Krönert von Heckler & Koch: Diese sei „das beste Jahresauftakt-Quartal der Firmengeschichte". Laut Analyse des H&K-Chefs Jens Bodo Koch stockten Staaten an der Ostflanke der NATO ihre Waffenbestände auf oder erneuerten sie. H&K exportierte in größerer Stückzahl Sturmgewehre an Norwegen, Litauen und Lettland. (4)

Derlei wirtschaftlichen Entwicklungen sind kein Einzel-, vielmehr der Regelfall in der deutschen Rüstungsindustrie.

Geld ist genug da: 100.000.000.000 Euro Sondervermögen
Gerade mal drei Tage nach der völkerrechtswidrigen Intervention Russlands in der Ukraine verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung "eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents". Für die Bundeswehr werde eigens ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro eingerichtet. (5) In Zeiten knapper Kassen würde von nun genug Geld da sein für die Neubeschaffung neuer atomwaffenfähiger Kampfbomber, Kriegsschiffe, Kampfpanzer, Militärdrohnen. Geld genug für NATO-investive Aufgaben und kommende Auslandseinsätze der Bundeswehr in aller Welt.

Die angekündigte Zeitenwende ließ die Führung von Rheinmetall einen weiteren Wachstumsschub von bis zu fünfzehn Prozent für dieses Jahr prognostizieren. (6) Gerade das 100-Milliarden-Militär- und Rüstungspaket lässt die Champagnerkorken in der deutschen Waffenindustrie lautstark knallen. „Der Hensoldt-Konzern befindet sich angesichts der Weltlage auf steilem Wachstumskurs", meldete die Süddeutsche Zeitung. Bei der diesjährigen Hauptversammlung ließ der Vorsitzende Thomas Müller die Aktionäre wissen, dass sich "eine ganze Reihe an Auftragspotenzialen" ergäben. (7)

Krieg ist gut fürs Geschäft
Im Juni 2022 wurde die Geheimhaltung für Waffenlieferungen an Kiew aufgehoben. Bereits exportiert waren 14.900 Panzerabwehrminen, 500 Flugabwehrraketen vom Typ Stinger, 2700 Strela-Fliegerfäuste, 100.000 Handgranaten, 2700 Fliegerfäuste, 100 Maschinengewehre MG3 nebst 16 Millionen Schuss Handwaffenmunition, 5.300 Sprengladungen, 100.000 Meter Sprengschnur, 100.000 Sprengkapseln, 350.000 Zünder u.v.a.m., zudem umfassende Ausrüstung in Form von Militärfahrzeugen, Gefechtshelmen etc. Des Weiteren geliefert werden sollten noch 30 Flugabwehrpanzer Gepard, 40 Aufklärungsdrohnen und 54 gepanzerte Truppentransporter. (8) Da diese zumeist aus Bundeswehrbeständen kommen, wird vielfach bei der Rüstungsindustrie nachbestellt werden.

Mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine stehen der Rüstungsindustrie goldene Zeiten bevor. Gleich in den ersten Kriegstagen meldeten die Händler des Todes exorbitant hohe Kurssprünge, entgegen dem Kursverfall nichtmilitärischer Aktien an den Börsen.

Mitte März hatte der in Oberndorf ansässige Schwarzwälder Bote jubiliert: „In der Tat kurbeln der Krieg in der Ukraine und dessen Folgen die Nachfrage nach Rüstungsgütern derzeit an." (9) Die Jubelarie ließ sich auch mit der Aktienkursexplosion zu Kriegsbeginn erklären. Hatte der Wert der H&K-Aktie am 3. Februar noch bei 90,0 Euro gelegen, so katapultierte er nur eine Woche nach Einmarsch der russischen Armee auf 246,0 Euro.

Auch bei Hensoldt war Partystimmung angesagt. War die Aktie Anfang des Jahres noch bei knapp 13 Euro gelegen, so schoss sie nach Kriegsbeginn auf rund 29 Euro in die Höhe. Anders war der Wert der Rheinmetall-Aktie, der bereits mit Beginn des Truppenaufmarsches russischer Streitkräfte geradezu explodierte: von 91,2 Euro am 7. Februar auf 217,1 Euro am 22. des Monats. Letztlich erfolgte eine Stabilisierung auf hohem Niveau.

Aktiengesellschaften im Rüstungssektor gehören zu den Profiteuren des Kriegs in der Ukraine. Aktionäre verdienen sich mit Blutaktien eine goldene Nase.

Unsere Zeitenwende: 100 Milliarden für Bildung, Gesundheit und Pflege
Mit der exorbitanten Steigerung des Einzelplanes 14 auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr und mit dem 100-Milliarden Sondervermögen wird Deutschland zum Global Player avancieren. "Wollen wir die drittgrößte Militärmacht werden?", fragte mein Kollege im BundessprechInnenkreis der DFG-VK, Thomas Carl Schwoerer, in der Frankfurter Rundschau. Ja, wir werden Nummer 3 nach den USA und China. (10)

Das Problem: Werden 100 Milliarden in Militär und Rüstung investiert, dann fehlt Geld an anderer Stelle. Was wir stattdessen brauchen, ist ein Friedens-, Sozial- und Ökologiefonds im Volumen eben dieser 100 Milliarden Euro. Einen Fonds für Bildung und Erziehung, für Kunst und Kultur, für Gesundheit und Pflege, für den Ausbau der regenerativen Energiequellen, für die sozial-ökologische Transformation und damit für ein zukunftsfähiges Deutschland.

Ja, wir brauchen eine Zeitenwende – aber in die richtige Richtung.

Anmerkungen
1 „Wie schnell kann die Industrie die Ausrüstungslücken der Bundeswehr schließen?" in Europäische Sicherheit & Technik April 2022, S. 26
2 „Unternehmen & Personen" in ES&T April 2022, S. 94 f.
3 „Gewinnbringende Zeitenwende" in Süddeutsche Zeitung vom 13.05.2022
4 „Bestes Auftaktquartal Waffen von Heckler & Koch sind weltweit gefragt" in n-tv.de vom 06.05.2022
5 Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27.02.2022, siehe https://www.bundesregierung.de
6 „Denn es ist Krieg" in der Süddeutschen Zeitung vom 07.05.2022
7 siehe Anmerkung 3
8 „Geheimhaltung aufgehoben", in SPIEGEL online vom 21.06.2022
9 „Krieg kurbelt die Nachfrage an" in Schwarzwälder Bote vom 12.03.2022
10 „Wollen wir die drittgrößte Militärmacht werden?" in der Frankfurter Rundschau vom 07.04.2022

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und der DFG-VK sowie Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros. Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte, Militär- und Wirtschaftspolitik.

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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).