Saudi-Arabien und Syrien

Saudi-Arabiens dunkle Rolle in der Syrienkrise

von May Darwich
Schwerpunkt
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Seit der Gründung der modernen Staaten Syrien und Saudi-Arabien hat die Beziehung zwischen den beiden Ländern ein ‚Paradox‘ in den internationalen Beziehungen des Nahen Ostens dargestellt. Auf der einen Seite standen die beiden oft auf gegensätzlichen Seiten: Sie repräsentierten diametral gegensätzliche Ideologien, stießen über Stellvertreter immer wieder in der gesamten Region zusammen und wählten unterschiedliche Alliierte während größerer regionaler Kriege. Auf der anderen Seite entwickelte sich die Beziehung zwischen dem Regime Assads und den al-Saud mit der Zeit zu einer dauerhaften Verbindung.

Zum Beispiel waren beide Länder in den letzten beiden Jahrzehnten, besonders seit dem Irak-Krieg von 2003, Bestandteile der sog. „Widerstandsachse“, zu der auch Iran, die Hisbollah und die Hamas gehörten. Die al-Sauds hatten lange Zeit kalkuliert, dass eine Isolation des Assad-Regimes oder ein Versuch, es zu stürzen, kontraproduktiv sein und voraussichtlich zu weiterer Radikalisierung des Regimes und der Konsolidierung seiner Allianz mit Iran führen würde. Während der frühere Präsident Hafiz Assad relativ freundschaftliche Beziehungen mit dem saudischen Königreich pflegte, war die Beziehung unter Bashar Assad weniger herzlich. Als Bashar im Jahr 2000 seinem Vater nachfolgte, sah das Königreich eine Chance, Syrien vom Iran wegzuziehen. Doch mit der Ermordung von Rafik al-Hariri 2005 im Libanon verschlechterte sich die Beziehung zwischen Bashar al-Assad und König Abdullah, was einen Höhepunkt erreichte, als Assad König Abdullah und andere arabische Führer als „halbe Männer“ bezeichnete, weil sie dem Libanon nicht in dem Krieg von 2006 beistanden.

Als sich im März 2011 die syrischen Aufstände entzündeten, waren die Saudis in ihrem Vorgehen bezüglich der Krise eher vorsichtig. Sie sahen Assad als einen stabilen Führer, der Isolation, Rebellion und die US-Politik im Irak überlebt hatte, und er verdiente sich weiteres Wohlwollen durch seinen Verzicht darauf, die saudische Intervention in Bahrain im März 2011 zu verurteilen. Während der frühen Phasen des Aufstandes ermutigte Saudi-Arabien Assad, Reformen anzugehen und die Proteste nicht gewaltsam zu unterdrücken.

Es ging anfänglich darum, Assad gegen begrenzte Konzessionen zu unterstützen – insbesondere die Distanz zu Iran zu erhöhen. König Abdullah sandte seinen Sohn Abdulaziz bin Abdullah Al Saud, damals stellvertretender Außenminister, dreimal zu Treffen mit Assad, um den iranischen Einfluss auf Syrien zu bremsen. Doch alle drei Male weigerte sich Assad, sich mit Abdulaziz zu treffen, was die saudische Initiative zum Scheitern brachte.

Im Spätsommer 2011 veränderte sich die saudische Herangehensweise an die Krise in Syrien: Statt weiter zu versuchen, Syrien unter saudischen Einfluss zu bringen, versuchte man, Assads Regime zu stürzen. Das saudische Königreich sah in Assads Unfähigkeit, die Krise zu bewältigen, eine geostrategische Chance, die syrisch-iranische Achse zu brechen. Dies kündigte König Abdullah im August 2011 an, als er unter dem Vorwand, aus humanitären Gründen in den Konflikt einzugreifen, Assad warnte, „die Tötungsmaschine zu stoppen“. (1) Das saudische Königreich griff dann zu mehreren Strategien und Taktiken, um das Assad-Regime zu stürzen. Dazu gehörte die Unterstützung des Syrian National Council (SNC), seine dominante Rolle in der National Coalition for Syrian Revolutionary and Opposition Forces (SOC), Bewaffnung der Freien Syrischen Armee (FSA), Unterstützung der Islamischen Front und der Empfang verschiedener bewaffneter syrischer Gruppen 2015. Trotz der Entwicklung des Konflikts und des Erstarkens extremistischer Gruppen – besonders der Jabhat al-Nusra und des Islamischen Staats (IS) – blieben die Saudis entschlossen, Assad zu stürzen. Während internationale Verhandlungen mit dem Ziel stattfanden, Anstrengungen zur Bekämpfung des wachsenden Extremismus zu vereinigen, bestand der saudische Außenminister al-Jubeir darauf, dass „Bashar Assad gehen oder sich einer militärischen Option stellen“ müsse. (2)

Religion oder Geostrategie?
Während wenige AnalystInnen die zentrale Rolle Saudi-Arabiens in der Syrien-Krise bestreiten, gibt es Uneinigkeit in Bezug auf die Faktoren, die sein Verhalten gegenüber Assad bestimmen. Die üblichste Erklärung ist die religiöse. Sie betrachtet den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten als den primären Faktor, der die Feindseligkeit Saudi-Arabiens gegen Assad und seine Verbündeten – vor allem Iran und die Hisbollah – bestimmt. Aber ein ausschließlicher Fokus auf Religion als ein Motiv verfälscht erheblich die Analyse der saudischen Politik bezüglich Syriens und anderenorts. Obwohl das Königreich insbesondere in Syrien, Jemen, Bahrain und Irak religiöse Diskurse manipuliert hat, um seine regionale Politik zu legitimieren, sind die Motive hinter dieser Politik alles andere als religiös. Riad hat die sunnitisch-schiitische Verwerfungslinie öfters überschritten, um regionale Verbündete in der Region zu gewinnen, Syrien eingeschlossen. Trotz seiner Gegnerschaft zu einigen Gruppen mit einem schiitischen Hintergrund, wie die Huthis in Jemen und die Hisbollah im Libanon, haben die Saudis ihre Allianzen nicht auf Mit-Sunniten begrenzt, noch haben sie jede sunnitische Gruppe im Nahen Osten unterstützt. Im Irak stützte Riad bei den Wahlen 2005 und 2010 säkulare Parteien, wie die Iraqiya-Partei von Iyad Allawi. Religion war auch kaum die Basis, auf der die Saudis regionale Allianzen oder lokale Verbündete in Syrien gesucht haben. Anfänglich unterstützten sie die am wenigsten religiösen Gruppierungen im Konflikt, wie die FSA. Nachdem die FSA keinen militärischen Fortschritt erzielte, begann Saudi-Arabien, die Islamische Front und andere salafistische Gruppen zu unterstützen.

Die zweite Erklärung geht davon aus, dass der syrische Konflikt ein Stellvertreterkrieg ist, in dem die saudisch-iranische Rivalität eine bestimmende Rolle spielt und in dem religiöse Narrative nur Instrumente eines Machtkampfs sind. Ihr zufolge betrachtet Riad einen Regimewandel in Syrien als eine entscheidende Gelegenheit, den Einfluss des Irans in der Region zu schwächen und die syrisch-iranische Achse zu zerstören. Ein saudischer Politiker sagte, „Syrien ist Irans Einfallstor in die arabische Welt. … Stürzt Assad und ihr fügt Iran einen strategischen Schlag zu“. (3) Während die Aufstände 2011 die vorherrschende Sicht verstärkt haben, dass der Iran in der arabischen Instabilität Möglichkeiten findet, seine regionalen Hegemoniewünsche zu erfüllen, stellt die regionale Konfiguration ernstliche Grenzen für die Fähigkeit des Irans dar, seine Macht auszudehnen. Seine militärischen Fähigkeiten sind begrenzt und werden oft übertrieben. Sie sind denen des Golf-Kooperationsrates deutlich unterlegen. Für 2014 wurde geschätzt, dass die Staaten des Kooperationsrates 114 Milliarden US-Dollar für ihr Militär ausgäben, der Iran 16 Milliarden.

Weder rein strategische noch rein religiöse Elemente erklären die saudische Politik in Syrien. Stattdessen kann Saudi-Arabiens Verwicklung in Syrien als Streben nach regionaler Führerschaft gesehen werden. Die plötzliche Chance eines Sturzes von Assad tauchte als Gelegenheit für das Königreich auf, die syrisch-iranische Achse zu vernichten und seine regionale Führerschaft in der Region zu stärken. Das saudische Königreich betrieb aggressive Politik in Syrien in der Hoffnung, sich selbst als regionaler Führer zu etablieren. Darüber hinaus bekam der Konflikt in Syrien seine eigene Dynamik, die die Entscheidungsmöglichkeiten Saudi-Arabiens komplexer machten. Auf der einen Seite wollen die Saudis radikale Gruppen wie den IS besiegen. Auf der anderen Seite fürchten sie den Aufstieg der Muslimischen Bruderschaft in Syrien, nachdem sie diese in Ägypten besiegt hatten. Kurz gefasst wollen die Saudis den Niedergang von Assad zugunsten eines alternativen loyalen Regimes sichern, das weder extremistisch (IS oder Jabhat al-Nusra) noch die Muslimische Bruderschaft ist.

Veränderungen in der Regierung Saudi-Arabiens 2015 brachte eine neue Generation an die Macht, was zu bedeutsamen Veränderungen in der Außenpolitik des Landes geführt hat. Aber in Bezug auf Syrien hat es kaum Änderung gegeben. Die saudische Unterstützung syrischer Rebellen wurde ebenso wie diplomatische Bemühungen, Bashar Assad zu stürzen, fortgesetzt. Syrien ist jedoch in der regionalen Prioritätenliste Saudi-Arabiens mit dem Beginn der von Saudi-Arabien geführten Koalition im Jemen im März 2015 nach unten gerutscht. Die höchste Priorität von Kronprinz Muhammed Bin Salman ist, den Krieg im Jemen zu gewinnen.

Fazit
Es wäre einfach, die saudische Politik in Syrien als Versagen zu beurteilen. Diplomatischer und wirtschaftlicher Druck auf Bashar al-Assad führten nicht zu seinem Untergang, und der Konflikt in Syrien ging weiter. Die saudische Politik in Syrien ist impulsiv und ohne jede große Strategie gewesen, was bedeutende Auswirkungen auf die Fragmentierung der Opposition und deren Unfähigkeit, eine wirksame militärische Aktion gegen das Regime durchzuführen, gehabt hat. Dieser Mangel an strategischer Planung ist in der hastigen Unterstützung von bewaffneten Gruppen zu erkennen, ohne dass man sich über sie vorher informierte, und Stammes- und private Kontakte waren die Wurzel von Beziehungen mit den Oppositionsgruppen. Die Saudis haben auch religiöse Diskurse auf einheimischer und regionaler Ebene gepredigt und riskierten damit, den Konflikt zu einem Religionskrieg zu machen, während sie religiöse Spannungen im Nahen Osten, besonders zwischen sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften am Golf, anheizten. Kurz gesagt: Wie andere internationale Akteure auch, schätzte Saudi-Arabien die Überlebensfähigkeit des syrischen Regimes falsch ein, das sich erfolgreich an den Iran, Russland und die Hisbollah wandte, um sich zu retten. Doch steht Saudi-Arabien in Bezug auf seine negativen Wirkungen auf den Konflikt keineswegs allein da. Andere Golfstaaten, Russland, der Iran, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben ebenfalls zur Verschlimmerung der Situation in Syrien beigetragen.

Anmerkungen
1 Babak Dehghanpisheh, ‘Saudi King Condemns Syrian Regime’, The Daily Beast, 9. August 2011, http://www.thedailybeast.com/articles/2011/08/09/saudi-king-abdullah-con....
2 ABC News, ‘Assad Must Go or Face “Military Option”: Saudi Arabia Foreign Minister’, Text, ABC News, 30. September 2015, http://www.abc.net.au/news/2015-09-30/assad-must-go-or-face-military-opt....
3 Zitiert nach Kevin Sullivan, ‘Abdullah Lashes out at Al Assad Regime’, Gulf News, 8 October 2012, http://gulfnews.com/news/gulf/saudi-arabia/abdullah-lashes-out-at-Assad-....

Übersetzung aus dem Englischen: C. Schweitzer.

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