Scheitern in Afghanistan

von Mani Stenner

Sie schaffen es nicht.

Was für Friedensgruppen schon von Anfang an klar war, wird jetzt Allgemeingut. Der Krieg läuft für die NATO im neunten Jahr so schlecht wie nie. Die groß angekündigte Offensive in Kandahar wurde abgesagt, der Juni 2010 war der Monat mit den bislang höchsten Verlusten unter den ISAF / OEF-Truppen. Immer öfter geraten auch die Bundeswehrangehörigen im vormals als sicher geltenden Norden Afghanistans in tödliche Gefechte mit aufständischen Taliban. Selbst das US-amerikanische Oberkommando unter dem Irak-erprobten General Petraeus glaubt nicht mehr daran, dass ein militärischer Sieg möglich sein könnte. Und dann veröffentlicht wikileaks.org auch noch 91.713 als geheim eingestufte Dokumente von der Front in Afghanistan und Pakistan, die ein für die Interven­tionsmächte deprimierendes Bild der Lage in einem schmutzigen Krieg zeichnen.

Die Wikileaks-Dokumente bringen die US-Regierung und ihre Mitstreiter in große Bredouille und sind der GAU für den Kampf um die öffentliche Meinung an den Heimatfronten. Weltweit berichtet wird in vielen Einzelheiten, was für interessierte Beobachter gar nicht besonders neu ist:

  • Die Aufständischen sind effektiver und besser bewaffnet als die US-Militärs es bisher darstellten. Sie können z.B. US-Hubschrauber mit wärmesuchenden Raketen abschießen.
  • Am militärischen Misserfolg haben die korrupte afghanische Regierung und die vielen Überläufer aus den von den Verbündeten ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräften einen großen Anteil.
  • Der pakistanische Geheimdienst ISI ist auf Seiten der afghanischen Taliban noch stärker beteiligt als bisher schon bekannt. Die Veröffentlichung macht das Agieren der US-Regierung gegenüber Pakistan nicht leichter, dass ja für eine politische Lösung gebraucht wird.
  • CIA und Pentagon führen Killerkommandos wie die „Task Force 373", die auf Todeslisten geführte Taliban, Al. Quaida-Kräfte oder Drogenbarone gezielt töten und dabei mehr als bisher bekannt Opfer unter afghanischen Zivilisten fordern. Ähnliches passiert bei den Drohneneinsätzen, die aber auch viele Pannen haben.

Die Bundesregierung dürfte in Verlegenheit bringen, dass ca. 300 Mann der „Task Force 373" auf dem Gelände des deutschen Lagers in Masar-i-Scharif stationiertsind und dem Verteidigungsministerium etliche der jetzt öffentlichen Einzelheiten bekannt gewesen sein dürften, ohne dass es so etwas auch nur den Geheimnisträgern im Verteidigungsausschuss zugänglich gemacht hätte.

Bei der jüngsten Internationalen Afghanistankonferenz in Kabul haben sich die vertretenen Außenministerinnen und der kriegsverdrossenen Heimat nochmal Mut zugesprochen. Ab 2014 soll demnach die militärische Verantwortung an die afghanische Regierung übergeben werden können. Eigentlich wollen alle raus aus Afghanistan. Sie wissen auch den Preis, den sie nicht gerne laut verkünden: Eine Einigung mit den Taliban und deren zumindest teilweise Rückkehr an die Macht. Und sie folgen auch dabei einer sehr verqueren Logik. Zunächst weitere Aufstockung der Truppen, noch mehr Krieg und Opfer unter der Zivilbevölkerung, um dann die geschwächten Taliban zu Zugeständnissen am Verhandlungstisch zu bringen. Auch das wird nicht klappen.

Sie schaffen es auch nicht mehr an der Heimatfront. Die Kommentare der deutschen Presse zum Afghanistankrieg sind skeptisch wie nie, die Oppositionsfraktionen fordern fortan regelmäßige qualitative Untersuchungen über die (Un)wirksamkeit der militärischen und zivilen Maßnahmen, die Mehrheit der Abgeordneten für eine nochmalige Verlängerung des Einsatzes bröckelt.

Was tun? — Was tun!

In dieser Situation hat die zur Zeit nicht besonders gut aufgestellte Friedensbewegung gute Chancen, den Widerstand gegen den Bundeswehreinsatz zu erhöhen. Zusätzlich zur Unterschriftensammlung der Friedensbewegung (siehe Beilage in diesem Heft) wollen wir eine formelle Petition — getragen von Organisationen —an den Bundestag richten. Ergänzt wird dabei die für viele friedenspolitisch orientierte Gruppierungen wichtige Forderung nach Verhandlungen als Weg zu einer Konfliktlösung mit allen Beteiligten. Unterschriftenkampagnen gibt es auch von etlichen weiteren Initiativen. Viele Diskussionsveranstaltungen tragen zur Aufklärung bei (siehe Internet-Terminkalender der Friedenskooperative). Gerade zur Debatte um die Wikileaks-Dokumente können Leserinnen-Briefe und Internetforen beitragen. Zum 4./5. September sind eine Aktionswoche gegen den Krieg und Veranstaltungen zum Jahrestag des Kunduz-Massakers geplant. Eine Konferenz mit NGOs aus der Entwicklungspolitik, die sich gegen die Einbindung in die militärischen Konzepte wehren, wird für 2011 vorbereitet. Zur geplanten Mandatsverlängerung im Februar 2011 werden massive Kampagnen für ein NEIN vorbereitet.

Mani Stenner ist Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative.

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