Der Zivile Friedensdienst leistet Gewaltprävention durch zivile Konfliktbearbeitung

Sie scheuen keine Konflikte!

von Christoph Bongard

Sie begrüßen sich herzlich, so wie alte Freunde, umarmen einander innig und klopfen sich auf die Schultern. Lachen. Der eine schmal, sein Arm endet unterhalb des Ellenbogens in einem Stumpf. Der andere groß, breitschultrig, trägt eine Fliegerjacke. Sie treffen sich in der kroatischen Stadt Sibenik, dort wo Anfang der 1990er Jahre die Frontlinie in einem der Balkankriege verlief. Beide waren sie dabei, haben gekämpft, auf unterschiedlichen Seiten. Hätten sich mit der Waffe in der Hand gegenüberstehen können. Das alles scheint weit weg und zugleich sehr nah in der Sonne von Sibenik.

Miki, damals serbischer Soldat, verlor seinen Arm, als er von einer Panzerfaust getroffen wurde. Sein Gegenüber Ivica kämpfte als Freiwilliger auf kroatischer Seite. Die Freundschaft der beiden Veteranen ist ein Erfolg des Zivilen Friedensdienstes. Miki und Ivica engagieren sich in ihren Ländern in Veteranengruppen, die sich für Dialog und Versöhnung einsetzen. Nun wagen sie erste gemeinsame, öffentliche Dialoge. Damit wollen sie die Bevölkerung auf dem Balkan wachrütteln, die Aufarbeitung der Kriegsgräuel, die so viele Menschen in sich tragen, voranbringen. Es ist so gut wie einmalig auf dem Balkan, dass ehemalige Kämpfer zusammenarbeiten, Wege zur Versöhnung suchen. Bis dahin war es ein langer Weg. Kaum zu glauben, dass eine 55-jährige deutsche Verlagskauffrau dabei eine zentrale Rolle gespielt hat. Ursula Renner hat als Friedensfachkraft im Zivilen Friedensdienst zunächst den Aufbau eines Traumazentrums in Serbien unterstützt – Miki gehörte zu den Teilnehmern des ersten Therapieseminars. Später vermittelte sie gezielt Kontakte zwischen kritischen Veteranenverbänden verfeindeter Länder und Gruppen in Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina.

Ursula Renner ist eine von mehr als 700 sogenannten Friedensfachkräften im Zivilen Friedensdienst, die seit Beginn des Programms im Jahr 1999 im Einsatz waren. Die Idee für den Zivilen Friedensdienst wurde in der Friedensbewegung entwickelt. Die BefürworterInnen schlossen sich schließlich im Forum Ziviler Friedensdienst zusammen. Diesen Gruppen gelang im Schulterschluss mit zahlreichen Entwicklungsorganisationen ein großer politischer Erfolg: Die Bundesregierung griff die Idee auf und etablierte das Programm „Ziviler Friedensdienst“. Das Forum Ziviler Friedensdienst wurde eine der acht ZFD-Trägerorganisationen.

Gemeinschaftswerk von Zivilgesellschaft und Staat
Beide Seiten, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf der einen und die beteiligten zivilgesellschaftliche Organisationen auf der anderen Seite, wagten und wagen im ZFD eine besondere Form der Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die Rahmenbedingungen für die Einsätze im ZFD werden im Dialog aller Träger, die sich im Konsortium Ziviler Friedensdienst zusammengeschlossen haben, mit dem BMZ vereinbart. Der Staat erkennt damit an, dass zivilgesellschaftliche Organisationen besondere Stärken in der Friedensförderung haben, zum Beispiel aufgrund ihrer vielfältigen Verbindungen zu Partnern in den Gesellschaften der Konfliktländer und weil sie im Unterschied zu staatlichen Organisationen unabhängiger agieren können.

Gewalteskalation verhindern – Konfliktursachen bearbeiten
Oberstes Ziel des Zivilen Friedensdienstes ist ein nachhaltiger Frieden. Das bedeutet nicht die Ausräumung aller Konflikte, sondern die zivilen Kräfte der Gesellschaft dabei zu stärken, Konflikte friedlich zu regeln. ZFD-Fachkräfte kommen also nicht kurzfristig zum Einsatz, wenn „es brennt“, um Gewalt einzudämmen. Sie arbeiten mit langem Atem an den Ursachen von Gewalteskalation, um diese zu verhindern. Die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen aus den betroffenen Gesellschaften spielt eine zentrale Rolle im ZFD. In allen Konfliktregionen findet man Menschen und Gruppen, die sich für Frieden einsetzen. Sie wissen meist am besten, „wo der Schuh drückt“, wie Probleme angegangen werden müssen. Was ihnen häufig fehlt, ist das Handwerkszeug, um ihre Ideen umzusetzen, Unterstützung, auch finanzieller Art, dafür zu erhalten oder weitere Mitstreiter für ihre Arbeit zu gewinnen. Dank der Unterstützung der eingangs vorgestellten Friedensfachkraft konnte aus der ehrenamtlichen Initiative einiger Psychiaterinnen und Psychiater in Serbien ein Traumazentrum aufgebaut werden, das mittlerweile Projekte in der ganzen Region durchführt. 

Allparteiliche Dritte, die zu allen Beteiligten in Konflikten Vertrauen aufbauen können, sind oft die Einzigen, die Dialog über Konfliktlinien hinweg anstoßen und auch bei Rückschlägen in Friedensprozessen aufrecht erhalten können. Auch dies ist eine Aufgabe der Fachkräfte im ZFD. Zunehmend arbeiten auch Menschen aus den Konfliktregionen selbst als Fachkräfte im Rahmen des ZFD.

Arbeitsfelder des ZFD
Stärkung der Zivilgesellschaft
Wichtige Friedens- und Versöhnungsinitiativen nehmen ihren Anfang in der Zivilgesellschaft, oft bevor sie von Regierungen aufgegriffen werden. Wo Staaten nicht in der Lage oder bereit sind, ihre Bürger zu schützen und Konflikte zu regeln, übernehmen die Menschen oft selbst die Verantwortung. In Nachkriegsländern sind die gesellschaftlichen Strukturen durch Gewalt und Vertreibung meist zerstört. Der ZFD unterstützt den (Wieder-) Aufbau vor allem durch Beratung und Fortbildung der Bürger/-innen.

Mitsprache für benachteiligte Gruppen
Der ZFD unterstützt benachteiligte Gruppen dabei, ihre Interessen in Konflikten gewaltfrei zu vertreten. Durch den Klimawandel und die Ausweitung von Anbauflächen für sogenannten Ökosprit entstehen weltweit neue Konflikte, zum Beispiel zwischen indigenen Bevölkerungsgruppen und nationalen Konzernen und Regierungen oder zwischen Bauern und Viehzüchtern. Dies betrifft so unterschiedliche Länder wie Niger, Kolumbien oder die Philippinen.

Traumaarbeit
Traumata der Betroffenen stehen nach gewaltsamen Konflikten einer Aussöhnung entgegen. Ehemalige Kämpfer, oftmals traumatisiert, treten häufig als Gewalttäter und Gegner von Dialog und Versöhnung auf. Der ZFD unterstützt den Aufbau von Traumazentren und damit die Reintegration von Veteranen in die Gesellschaft.

Orte für den Dialog
Die Friedensfachkräfte im ZFD nehmen die Rolle einer dritten, unabhängigen Partei im Konflikt ein. Sie können Gruppen aus den Konfliktparteien zum Dialog einladen und vermitteln.

Friedensjournalismus
Medien können Konflikte anheizen oder deeskalieren und durch sachliche und an der Wahrung der Menschenrechte orientierte Informationen den Abbau von Feindbildern befördern. Der ZFD bildet Journalistinnen und Journalisten lokaler Radiosender aus, damit sie in ihrer Berichterstattung allen Gruppen eine Stimme geben, statt Konflikte zu verschärfen und Feindbilder zu bestätigen. Der ZFD unterstützt Kooperationen unabhängiger Medienzentren und Menschenrechtsorganisationen, so dass Gewaltakteure die Öffentlichkeit fürchten müssen, wenn sie Rechte der Zivilbevölkerung verletzen oder Waffenstillstände brechen.

Vergangenheit aufarbeiten, Versöhnung ermöglichen
Die Fachkräfte des ZFD unterstützen die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ermöglichen den Dialog zwischen ehemaligen Gegnern, Tätern und Opfern. Sie tun dies beispielsweise mit der Unterstützung von Wahrheitskommissionen auf dem Balkan oder von Friedenskomitees, die Begegnungen von Opfern und Tätern nach dem Völkermord in Burundi organisieren.

Den Kinderschuhen entwachsen
In rund elf Jahren wuchs die jährliche Förderung auf aktuell 29 Millionen Euro an. Im Jahr 2011 waren weltweit rund 250 Friedensfachkräfte im Einsatz. Im letzten Jahr wurde außerdem die erste umfassende Evaluierung des Zivilen Friedensdienstes veröffentlicht. Sie bescheinigt dem ZFD Wirkungen in der Friedensförderung, insbesondere auf lokaler Ebene – also dort, wo Veränderungen für die Menschen besonders spürbar werden.

Entscheidend für die nächste Phase des ZFD wird sein, das 'Denken in Projekten' ein Stück weit zu überwinden. Wandel in Konflikten passiert nicht in vergleichsweise kurzen Zeiträumen von zwei bis drei Jahren durch punktuelle Projekte. Das forumZFD will den ZFD deshalb zukünftig in längerfristigen Programmen der Konfliktbearbeitung über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Jahren denken. Zugleich geht es darum, erfolgreiche Beispiele der Konfliktbearbeitung von der lokalen Ebene in die Prozesse der Konfliktbearbeitung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene und in die politischen Prozesse einzubringen. Dass dies durchaus schon möglich ist, zeigt zum Beispiel die langjährige Arbeit des forumZFD in Mazedonien. Dort hat das gesamte Bildungssystem wesentliche Anstöße durch anfangs kleine Projekte bekommen. Das waren zunächst Projekte interethnischer Zusammenarbeit an einzelnen Schulen. Inzwischen ist daraus eine Beratung des Bildungsministeriums entstanden. Eine solche Kombination aus Modellprojekten und Beratung gesellschaftlicher und politischer Entscheidungsträger ist ein Weg des zukünftigen ZFD.

Schrittmacher von Friedenspolitik
Der ZFD ist mehr als nur ein Instrument der Friedensförderung. Er ist - und das ist vielleicht ebenso wichtig wie die konkreten Erfolge der Projekte - ein Stück Institutionalisierung der zivilen Konfliktbearbeitung. Eine Chance zur Erprobung von Konzepten der Gewaltfreiheit. Nicht nur der ZFD hat in den letzten Jahren an vielen Stellen bewiesen: Ja, es funktioniert. Ziviler, nichtmilitärischer Umgang mit Konflikten ist erfolgreich. Die Lehren, die daraus zu ziehen sind, haben auch für andere Politikbereiche Relevanz. Bedenkt man, wie viele Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte (!), wie viele Milliarden in die Perfektionierung der Kriegsführung investiert wurden, so wird deutlich, dass zwölf Jahre Ziviler Friedensdienst – ja insgesamt das junge Feld professioneller ziviler Konfliktbearbeitung - erst der Anfang einer Entwicklung sein können.

Bislang sind im Durchschnitt etwa vier bis sechs Fachkräfte im ZFD in einem Land eingesetzt. Was wird der Zivile Friedensdienst in zehn Jahren für den Frieden leisten können, wenn die Politik die Herausforderungen der Zeit endlich annimmt und den Zivilen Friedensdienst ausbaut?

Links: www.forumZFD.de, www.ziviler-friedensdienst.org, www.ziviler-friedensdienst.org/de/dokumente (Evaluierung des ZFD)

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Christoph Bongard ist Leiter der Abteilung Kommunikation des Forum Ziviler Friedensdienst e. V.